Von der Idee zum Prototyp

02.07.2021
5 Min.
Ohne Innovation kann kaum noch eine Firma erfolgreich sein und bleiben. Die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen bedingt einen steten Strom von neuen Ideen. Genauso wichtig ist es, unter den vielen Einfällen die erfolgversprechenden zu identifizieren und wenig Ressourcen mit den anderen zu verschwenden. Prototyping ist die zentrale Methode aus der agilen Welt, um die Spreu vom Weizen zu trennen und der erste Schritt auf dem herausfordernden Weg von der Idee zur Umsetzung.
 
(Bild: greenliff / shutterstock yp_Studio)
 
Folgendes Szenario: Sie haben eine Idee für ein neues digitales Produkt. Doch die Umsetzung ist wohl zeit- und kostenintensiv. Dabei ist noch nicht einmal sicher, ob die Idee bei der Zielgruppe oder am Markt überhaupt ankommt und ob sie Ihr Unternehmen nachhaltig voranbringt. Nichts ist schlimmer als viele Ressourcen in etwas zu stecken, das kein Mensch will und in einem finanziellen Desaster endet. Prototypen helfen, Ideen schnell und kostengünstig zu testen, ohne zu stark auf absolute Perfektion zu setzen. 
 

Was ist Prototyping?

Prototyping ist ein Verfahren zum Austesten von angestrebten Ergebnissen mittels einer Serie von aufwandsarmen, günstigen Testversionen. Prototyping bezeichnet die Kombination aus dem Bau und dem Test eines Prototypen. 
 
Beim Bau geht es darum, mit möglichst geringem Aufwand einen Prototypen zu erhalten, von dem wir lernen können. Indem wir uns bei jedem Prototypen auf nur wenige Aspekte konzentrieren, die wir besser verstehen möchten, bleibt der Aufwand klein und unsere Annahmen können schnell verifiziert oder widerlegt werden, zum Beispiel indem wir Benutzer- und Kundenfeedbacks einholen. Die gewonnenen Erkenntnisse können in den nächsten Zyklus und in den nächsten Prototypen einfliessen.
 
 

Der Wert von Prototyping

Der Wert von Prototyping liegt nicht im Ergebnis, sondern im Lernprozess. Unter dem Gesichtspunkt, dass die Entwicklung innovativer, digitaler Produkte sinnvollerweise als ein Lernprozess aller Stakeholder verstanden wird, ist Prototyping als effiziente Lernmethode enorm wertvoll. 
 
Der Begriff des Prototypen leitet sich vom Griechischen «proto typos» ab und bedeutet so viel wie «erster Eindruck». Der Mensch hat Mühe, rein gedankliche Ideen oder abstrakte Konzepte zu beurteilen. Ideen müssen visualisiert, in eine Geschichte verpackt oder anderweitig in eine Form gebracht werden, die es für die Menschen einfacher macht, sie zu verstehen, ja sogar wortwörtlich zu begreifen. 
 
Selten bietet sich das etwas abgewandelte geflügelte Wort mehr an als hier: Ein Prototyp sagt mehr als 1000 Meetings.
 
 

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Das richtige Mindset

Wie bei allen Methoden aus der agilen Welt ist ein gemeinsames Mindset bzw. eine bestimmte Kultur der Zusammenarbeit und eine offene Haltung aller Beteiligten die Voraussetzung, damit sie erfolgreich eingesetzt werden können. Im Zusammenhang mit Prototyping sind das die wichtigsten Prinzipen:
  • Unsere Ideen, nicht meine Ideen: 

    Hauptziel beim Prototyping ist es gemeinsam die verschiedenen Produkt- und Design-Alternativen zu entdecken und zu erforschen. Es geht nicht darum, die eigene Idee durchzudrücken, sondern zusammen die beste Idee zu finden. Das Team ist mehr als die Summe aller Mitglieder.
  • Kill your darlings: 

    Je früher wir merken, dass eine Idee nicht funktioniert, desto weniger Kosten verursacht sie. Je mehr das Team von einer Idee begeistert ist, desto kritischer sollte sie mit einem Prototypen und mit echten Kunden und Benutzern überprüft werden. Jeder Prototyp ist ein Experiment. Der Wert eines gescheiterten Experiments kann kaum hoch genug eingeschätzt werden; insbesondere, wenn wir davon lernen.
  • Mut zur Lücke: 

    Detailverliebtheit hält uns davon ab, Entscheide zu treffen. Die Konzentration auf einige wenige Aspekte garantiert Fokus auf das, was im aktuellen Zyklus erforscht werden soll. Der Prototyp kann schneller und günstiger gebaut werden. 
  • Emotionen wecken: 

    Gute Nutzererlebnisse sind keine Spezifikationen, sondern Geschichten. Indem wir Prototypen bauen, die diese Geschichten erzählen, können sich Stakeholder, Benutzer und Kunden emotional mit dem zukünftigen Produkt auseinandersetzen und wertvolles Feedback geben. Ein Produkt ist heutzutage nur noch erfolgreich am Markt, wenn es bei den Benutzern ein positives Erlebnis erzeugen kann.
  • Mit echten Menschen sprechen: 

    Der Endbenutzer steht im Zentrum jeder modernen, digitalen Produktentwicklung. Produktmanager, Designer und Entwickler liegen aber bei der Beurteilung neuer Ideen wegen der «Innensicht» oft falsch. Prototyping ist die Möglichkeit, diese Ideen mit echten Benutzern und Kunden zu testen.
  • Kurze Zyklen: 

    Eine kurze time-to-market ist ein zentrales Ziel in der agilen Welt. Prototyping erlaubt den Zyklus von bauen, testen, lernen extrem schnell zu durchlaufen, manchmal innerhalb von Stunden. Damit ermöglicht Prototyping viel schneller zu lernen und damit viel rascher zu einem marktreifen Produkt zu kommen.
  • Das Andere wagen: 

    «Wer immer wieder das gleiche tut, aber andere Ergebnisse erwartet, ist verrückt.» Nutzen Sie Prototyping, um auch einmal etwas auszuprobieren, was Sie noch nie gemacht haben.
 

Vorgehensweise

In der agilen Softwareentwicklung und der DevOps-Welt wird das Produkt in kurzen Zyklen oder Sprints von typischerweise ein oder zwei Wochen Dauer weiterentwickelt. Alle Änderungen, die implementiert werden sollen, werden in einem «Backlog» festgehalten. 
 
Am Anfang jedes Sprints wird festgelegt, welches die wichtigsten Änderungen oder Erweiterungen sind und wie viele davon im aktuellen Sprint umgesetzt werden (Product Delivery). Dies definiert einen konstanten Idea-Build-Launch-Learn-Zyklus (siehe Bild1).
 
(Bild: Greenliff)
 
In der modernen, digitalen Produktentwicklung legt man noch einen Prototyping-Zyklus darüber, der aus Prototyp und Test besteht. Während das Team pro Sprint typischerweise eine bis vier Änderungen implementiert, können 10 bis 20 Ideen im Prototyping-Zyklus parallel dazu ausprobiert werden. Es werden nur Ideen in den Backlog aufgenommen, die ausgereift und vielversprechend sind (Product Discovery). Zusätzlich nutzt dieses Vorgehen das Potenzial interdisziplinärer Teams, um Probleme iterativ zu lösen. Dafür werden für das Prototping je nach zu bearbeitender Idee und je nach Bedarf Team-Mitglieder (Product Owner, Entwickler, Designer, Architekt, DB-Spezialist, Tester etc.) und unterschiedliche Experten und Mitarbeitende aus anderen Abteilungen (Verkauf, Marketing, Produkt-Management, Support usw.) für die Product Discovery zugezogen.
 

Low-Fidelity-Prototyp: 

Ein Lo-Fi Prototyp ist eine Visualisierung eines Digitalen Produkts (z. B. einer Website oder einer mobile App), bei der der Fokus auf der Navigation und der Interaktion liegt und nicht auf dem finalen Design. Lo-Fi Prototypen können digital sein oder oft auch einfach auf Papier gemacht werden (siehe Bild 2). Oft sind es einfache Wireframes in schwarz-weiss, um gemäss dem Motto «Mut-zur-Lücke» den Fokus auf das Navigationskonzept und die Struktur des Produktes zu richten und nicht mit toller Typografie, Farbverläufen oder Illustrationen davon abzulenken. Und natürlich ist der Aufwand zur Erstellung eines Lo-Fi-Prototyps mit modernen Tools geringer und es können schneller mehr Ideen getestet werden.
 

High-Fidelity-Prototyp: 

Die Abgrenzung zwischen Lo-Fi und Hi-Fi-Prototyp hängt immer vom konkreten Produkt ab. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass der Hi-Fi-Prototyp dem fertigen Produkt schon sehr ähnelt und viel mehr Fragen beantwortet als der Lo-Fi-Prototyp (siehe Bild 2). 
 
Typischerweise beantwortet er Fragen wie zum Beispiel: Was machen alle Buttons? Wie viele Screens gibt es und wie navigiere ich zwischen diesen? Mit modernen Tools ist es möglich, interaktive Hi-Fi-Prototypen zu bauen, die sich an der Oberfläche nicht vom Endprodukt unterscheiden. 
 
 

Design Sprint: 

Ein Design Sprint ist ein mehrtägiger Prozess zur Beantwortung relevanter Geschäftsfragen durch Design, Prototyping und das Testen von Ideen mit echten Menschen, wobei abteilungsübergreifend gearbeitet wird. 
 
Design Sprints sind eine weit verbreitete und eigenständige Methode, von der viele Varianten existieren. Wir haben aber sehr gute Erfahrung gemacht mit einem 5-tägigen Sprint:  
  • Am ersten Tag wird das Problem genau identifiziert, indem alle Teilnehmenden zusammen die Fragestellung festlegen und den Fokus bestimmen. 
  • Am zweiten Tag werden verschiedene Lösungen auf Papier skizziert. 
  • Am dritten Tag entscheidet sich das Team für einen Lösungsweg und überführt die Ideen in testbare Hypothesen. 
  • Am vierten Tag wird ein High-Fidelity-Prototyp gebaut.
  • Am letzten Tag wird die Idee mit echten Benutzern und Kunden getestet und die Erkenntnisse aus dem Design Sprint analysiert. Und je nach Bedarf wird der Sprint dann wiederholt.
 
 

Schlussfolgerung

Der Erfolg eines digitalen Produkts wird heutzutage weniger durch ein effizientes Product Delivery als durch ein erfolgreiches Product Discovery bestimmt. Prototyping ist die zentrale Methode, um neue Ideen und Funktionen schnell und mit minimalem Risiko zu validieren und Fehlentscheidungen zu vermeiden. Prototypen ermöglichen es, Produktvarianten, Ideen, Designs und Konzepte zu visualisieren und zu testen. Kritische Fragen können durch User Research, Experimente und Validierung mit echten Kunden beantworten werden, ohne hohe Kosten in aufwendige Entwicklungsarbeiten stecken zu müssen. 
 
 
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Der Autor

Markus Pilz absolvierte seinen Master in Business Administration mit Schwerpunkt IT Systems Management an der Universität Zürich. 2004 gründete er die Greenliff. Ursprünglich im Bereich des Softwaretests gestartet, arbeitet das Unternehmen heute an der Schnittstelle zwischen Technologie und Design, um so erfolgreiche Digitale Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.
 
 

 

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