Open Source Software für KMU - Antworten von Integratio

08.09.2023
4 Min.
Im Business-Software-Markt gibt es erst wenige Open Source-Lösungen. Doch OSS gewinnt auch hier an Boden, denn die Vorteile, besonders auch für KMU, sind bemerkenswert. Wir haben uns mit vier Fachpersonen unterhalten, hier finden Sie die Antworten von Henriette Baumann von Integratio.
 

Henriette Baumann

 
Es gibt viele Vorurteile, wenn es um Open Source Software geht: Sie sei unsicher, man müsse auf Support verzichten, sie sei ungeeignet für kritische Infrastrukturen oder sie sei qualitativ minderwertig sind nur einige davon.
 
Doch nichts davon ist wahr. Im Gegenteil: Gerade, weil so viele Entwicklerinnen ein Auge darauf werfen, ist es schwierig, dort irgendwelche Hintertürchen einzubauen. Fehler werden jeweils rasch entdeckt und korrigiert, die Software wird so stetig weiterentwickelt und ausgebaut.
 
Um mit diesen Vorurteilen aufzuräumen und die Vorteile von Open Source Software im Business-Bereich aufzuzeigen, haben wir uns mit vier Fachleuten darüber unterhalten. Hier finden Sie die Antworten von Henriette Baumann von Integratio.
 

Ein paar Fragen zu Open Source Business Software für KMU

Welche Unternehmen setzen Open Source Business Software ein? Gibt es dabei ein Muster? 

Ein wirkliches Muster konnte ich bisher nicht erkennen. Unternehmen, die selbst sehr innovativ sind, interessieren sich stärker für Open-Source-Systeme und führen als Argument häufig die grössere Unabhängigkeit und Flexibilität an. Auch Unternehmen, die in Nischen tätig sind und deren Produkte und Prozesse nicht in bestehenden Standard-Systemen abbildbar sind bzw. für die es keine Branchenlösungen gibt, greifen zu Open-Source-Business-Software und passen diese auf ihre Bedürfnisse an.  

 

Warum setzen diese Unternehmen OS Business Software ein? Gibt es dazu ganz bewusste Entscheidungskriterien – ausser Funktionalen?

Ja, es gibt durchaus bewusste Entscheidungskriterien. Kosten können eine Rolle spielen, da viele Open-Source-Systeme lizenkostenfrei einsetzbar sind. Auch Dienstleister liegen preislich häufig unter den Beratungshäusern grosser Softwareanbieter.
 
Nicht zu unterschätzen ist bei lizenzkostenfreien Open-Source-Systemen der Aufwand für die Verwaltung von Lizenzen entfällt, d.h. die Systeme können unternehmensintern wie -extern in beliebiger Zahl eingesetzt werden. Dies kommt insbesondere bei Unternehmen und Unternehmensgruppen zum Tragen, die Kunden, Lieferanten oder Partnerunternehmen ihre Open-Source-Software zugänglich machen möchten beispielsweise für die Automatisierung von unternehmensübergreifenden Prozessketten.
 
Natürlich ist auch die Anpassbarkeit und Erweiterbarkeit von Open Source Business Software ein Kriterium. Sofern das Know-How und die Experten vorhanden sind, kann Open-Source-Business-Software individuell angepasst und erweitert werden um neue Schnittstellen oder anderweitige Anbindungen, funktionale Erweiterungen, technische Optimierungen usw.
 
Auch die Datenschutz-Compliance kann eine Rolle spielen: Open-Source-Software ist transparent und prüfbar. So kann ein datenschutzrechtlich verantwortliches Unternehmen beispielsweise selbst prüfen oder durch Software-Experten prüfen lassen, wie und wie sicher Personendaten bearbeitet werden oder  ob Personendaten unrechtmässig an Dritte oder ins Ausland abfliessen. 
 

Für welche Unternehmensgrössen eignet sich ein Open-Source-ERP? Gibt es beispielsweise Grenzen gegen oben oder unten? 

Das hängt wie bei allen ERP-Systemen von der Funktionalität und Auslegung des jeweiligen ERP-Systems ab. Es gibt Open-Source-ERP-Systeme, die auf kleine oder mittelgrosse Unternehmen ausgerichtet sind und sich  infolgedessen nicht für grosse Unternehmen eignen. Gleichwohl gibt es Open-Source-ERP-Systeme, die in Grossunternehmen im Einsatz sind mit Tausenden von Nutzern. Diese Open-Source-ERP-Systeme haben umfassende, konfigurierbare Funktionalitäten und sind hoch skalierbar.
 
Obergrenzen sehe ich durchaus bei sehr grossen Datenmengen und hohen Anforderungen an die Performance und bei der Notwendigkeit spezifischer Technologien, die  vor allem im Hochpreissegment verfügbar sind.    
 

Auf was sollten KMU Anwender achten, wenn sie sich für eine Open Source Business Software Lösung interessieren? Was gilt es zu beachten? 

Auch hier gilt: Wie bei allen Business Software Lösungen sollte eine präzise Anforderungsanalyse erfolgen, damit der passende Schuh gefunden wird. 
 
Zudem müssen Dienstleister gefunden werden, die die Betreuung übernehmen, was die Einführung, Anpassung, Erweiterung und den Support umfassen sollte. Ich habe hier bewusst die Mehrzahl gewählt, da es ein Risiko darstellt, wenn nur ein einziger Dienstleister verfügbar ist – auch dies gilt ebenso für Nicht-Open-Source-Business-Systeme. 
 
Nicht zuletzt muss ein KMU Anwender prüfen, wer die Open-Source-Business-Software-Lösung herstellt. Dies kann durch ein einziges Unternehmen erfolgen, das wie jeder andere Closed-Source-Software-Hersteller als Hersteller agiert, seine hergestellte Software unter eine Open-Source-Lizenz vertreibt und zu definierten Bedingungen auch die Gewährleistung übernimmt. Hierbei gibt es meist keine Unterschiede zwischen Closed-Source und Open-Source-Herstellern. Stellt der Hersteller die Weiterentwicklung der Software ein, hat man als Anwender eines Open-Source-System jedoch noch eine Chance, den Source-Code selbst oder durch ein geeignetes Software-Entwicklungsunternehmen weiterentwickeln zu lassen.
 
Eine Open-Source-Software kann auch durch eine Open-Source-Community entwickelt werden. Hierbei gibt es keinen Hersteller per se, sondern eine Community, die gemeinschaftlich an der Software weiterentwickelt. Der Nachteil einer solchen Community ist, dass eine Weiterentwicklung nicht garantiert werden kann und keine Gewährleistung für die Software besteht. Der Vorteil dieser Communities ist, dass der Anwender der Software Weiterentwicklungen selbst in Auftrag geben und die Weiterentwicklung damit beeinflussen kann. Dies kann man in der Praxis auch schon bei kleineren Unternehmen antreffen, die sich personell und finanziell in diese Communities einbringen. Diese Herstellerfrage muss jeder KMU Anwender prüfen und die für sich optimale Variante auswählen.

 

Kann ich Open-Source-Software in meine bestehende IT-Infrastruktur integrieren? Und kann ich spezialisierte Drittsysteme problemlos an ein Open-Source-ERP anschliessen? 

Ja, da Open-Source-Systeme naturgemäss «open» sind, d.h. es existieren offene Schnittstellen und Datenbankzugänge. Das Problem bei Integrationen und Anbindungen sind im Regelfall nicht die Open-Souce-Software-Systeme, sondern die geschlossenen «Closed-Source»-Systeme. 
 
Zudem sind die meisten Open-Source-Softwaresysteme für verschiedene Betriebssysteme und Plattformen verfügbar. 

 

Wie wird Open Source Software weiterentwickelt oder angepasst? 

Siehe oben. Die Weiterentwicklung erfolgt entweder durch Software-Hersteller, die ihre entwickelte Software unter einer Open-Source-Lizenz anbieten. Hier können – sofern die Hersteller das unterstützen - auch Entwicklungen von Dritten, z. B. von Anwenderunternehmen einfliessen, da die Source-Codes offen zugänglich sind. Oder durch Open-Source-Communities, bei denen Entwickler unternehmens- und länderübergreifend zusammenarbeiten. Bei Open-Source-Communities ist es für KMU Anwender wichtig zu wissen, dass sie die Entwicklungen beeinflussen können, wenn sie in den Communities mitwirken, beispielsweise durch die Beauftragung und Finanzierung von Weiterentwicklungen. 
 
Anpassungen von Open-Source-Software können Dienstleister vornehmen (Dienstleistungen der Hersteller oder der Communities), aufgrund der Source-Code-Verfügbarkeit aber auch Software-Experten mit entsprechendem Know-How oder interne IT-Experten im Anwenderunternehmen. Durch die Source-Code-Verfügbarkeit ist ein Anwenderunternehmen weniger eingeschränkt bei der Anpassung der Software – allerdings hängt dies natürlich auch von der Qualität des Source Codes ab.  
 
 

Wie gut ist der Investitionsschutz, gibt es sowas wie eine Update-Garantie?

Eine Update-Garantie gibt es nicht. Die gibt es jedoch auch nicht bei jedem Nicht-Open-Source-Hersteller. Es gab ja bereits Fälle, in denen eine Branchenlösung eingestellt wurde oder ein Softwarehersteller sein Unternehmen ohne Nachfolge geschlossen hat.
 
Hier ist bei der Auswahl der Open-Source-Software eben auch die Herstellung zu prüfen – wie breit aufgestellt und wie finanzstark ist der Software-Hersteller, wie aktiv und wie gut finanziert ist eine Community? Wie ist meine Einflussmöglichkeit als Anwenderunternehmen und kann ich Updates in Auftrag geben? Die Source-Code-Verfügbarkeit schützt die Investition aufgrund der Herstellerunabhängigkeit.
 
Sollte ein Hersteller oder eine Community die Weiterentwicklung einstellen, besteht immer noch die Chance, den Source-Code weiterentwickeln zu lassen. Je nach Qualität des Source-Codes kann dies punktuell zu Mehraufwand führen, aber nicht zu einem Ausfall der gesamten Investition.  
 

Wie aufwendig ist die Implementierung einer Open Source Software im Vergleich zu einer Standardlösung, vom zeitlichen und vom preislichen Aspekt her?

Das hängt stärker davon ab, ob die Software zur Anforderung passt oder nicht und ob die Software out-of-the-box einsetzbar ist oder grundsätzlich zunächst konfiguriert werden muss als davon, ob die Software eine Open-Source-Software oder eine Closed-Source-Lösung ist. 
 
Preislich liegen Open-Source-Softwarelösungen meist unter den Closed-Source-Lösungen, da die Lizenzkosten in der Regel wegfallen. Zeitlich konnte ich keine Unterschiede feststellen. Wenn eine Software out-of-the-box passt, dann geht es schnell. Wenn nicht, dann dauert es länger. Unabhängig davon, ob eine Software open-source oder closed-source ist.

 

Oft wird die Sicherheit von Open Source Lösungen angezweifelt. Hat das was?

Nein. Auch hier kann man dies nicht pauschal beurteilen. Es gibt auch genügend Closed-Source-Lösungen, die nicht sicher sind. Was man sicher sagen kann, ist , dass Open-Source-Lösungen von Entwicklern weltweit laufend auf Sicherheitslücken geprüft werden, was durch die Quelloffenheit in stärkerem Mass möglich ist als bei Closed-Source-Software. Auch das Schliessen von Sicherheitslücken erfolgt auf diesem Weg oft sehr schnell. 

 

 
 
 
 
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