New Work – Hype oder Hoffnung?

30.11.2020
4 Min.
New Work war nie für die Wirtschaft gedacht. Doch genau hier ist dieses Konzept nun als Megatrend angekommen. Dabei scheint New Work ein «Containerbegriff», in welchem sich alles unterbringen lässt: New Office, New Leadership, New Everything. Doch wie konnte es dazu kommen? Der Versuch einer Erklärung.
 
Die ökonomischen Spielregeln der Märkte haben sich in den letzten Jahren massiv verändert. Bis etwa zum Jahr 1900 hatten die meisten wegen hoher Transportkosten nur eine geringe Reichweite. Sie waren lokal, eng und Konkurrenten konnten einander nur schwer ausweichen. Dieser direkte Kontakt erzwang Kreativität und erzeugte Dynamik. Die dominierende Form der Wertschöpfung war das Handwerk: Flexibel, kundenorientiert, innovativ – geprägt durch Meister und kleine Familienbetriebe.

(Bild: mr. whiskey / shutterstock.com)
 
 

Die Veränderung der Märkte

Mit Erfindung des Automobils und der Ausbreitung des Schienennetzes sanken die Transportkosten rapide. Vor allem für grössere Entfernungen entstanden neue Massenmärkte mit hoher Kaufkraft. Diese waren weit und träge, Konkurrenten konnte man gut ausweichen. Die Kreativität der Unternehmen wandte sich nach innen, auf Prozesse und Kosten. Gleichzeitig wurden immer mehr Maschinen erfunden. Frederick Taylor entwickelte den theoretischen Hintergrund industrieller Produktion und Henry Ford war einer der Ersten, der dies spektakulär praktisch nutzte. Die industrielle Produktivität stieg auf das Hundertfache in nur zwei Generationen. Die Arbeiter in den Industriebetrieben mussten sich diszipliniert an vorgegebene Anweisungen, Regeln und Prozesse halten. Mitdenken und Kreativität waren kontraproduktiv. Die Menschen in den Betrieben sollten wie Maschinen funktionieren. Alles basierte auf verlässlichen und skalierbaren Ursache-Wirkungs-Prinzipien. Stabile Prozesse mit dem Ziel der Produktmaximierung stellten maximale Wertschöpfung sicher. 
 
Mit Beginn des Internetzeitalters und der damit verbundenen Netzwerkökonomie agierten viele Unternehmen weltweit. Musste man früher über ausreichend Kapital und eine gewisse Grösse verfügen, ist dies heute irrelevant. Grenzkosten, die Kosten, die durch Herstellung einer zusätzlichen Einheit entstehen, laufen in digitalisierten Prozessen gegen Null. Dies führt dazu, dass Unternehmen immer mächtiger werden und Monopole bilden. Damit ist für etablierte, global tätige Unternehmen Wachstum in der Fläche ohne Weiteres kaum möglich. Die Märkte sind abrupt an Grenzen gestossen. Erneut ist es eng und dynamisch, was bestehende Marktteilnehmer herausfordert und verunsichert. Um heute erfolgreich zu sein, müssen sich Unternehmen effizient sowie tayloristisch aufstellen und die richtigen Ideen zur richtigen Zeit umsetzen. Der Kundschaft muss dabei eine Beziehung zum Unternehmen ermöglicht werden, damit diese verstehen, warum sie genau hier kaufen sollten. Doch nicht allein Grösse und Geschwindigkeit entscheiden heute den Wettbewerb. Immer öfter ist es die skalierbare Umsetzung der passenden Idee.
 
Die Musikindustrie bekam dies als eine der ersten zu spüren, die Tageszeitungen rund zehn Jahre später. Die Reaktion der betroffenen Unternehmen und Branchen ist oft fatal. Statt neue Geschäftsmodelle zu finden, wird oft wenig erfolgreich versucht, die alten per Lobbyismus zu schützen. Während die Veränderungen der beiden genannten Branchen verhältnismässig langsam abliefen und halbwegs vorhersehbar waren, hat es andere abrupt erwischt. Die exponentielle Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts spaltet dabei die Lager: in jene, die noch mitkommen wollen, können und dürfen – und solche, die bereits resigniert haben. Doch diese Entwicklung teilt Gesellschaften in Gewinner und Verlierer und ist damit häufig Grund sozialer Unruhen. 
 
 

New Work – der Ursprung

Der österreichisch-amerikanische Philosoph und Anthropologe Frithjof Bergmann entwarf die New-Work-Vision als Sozialutopie und Gegenentwurf zum kapitalistisch geprägten Arbeitsmodell mit dem Ziel, dass vorherrschende Lohnsystem zu überwinden. Bergmann lehrte und forschte in den 1970er Jahren an der University of Michigan und beriet General Motors in Flint (Michigan, USA), wo er 1981 das Center for New Work gründete. 
 
Die technologische Entwicklung schritt massiv voran. Die Automatisierung in den Fabriken ersetzte immer öfter die menschliche Arbeitskraft. Um drohende Massenentlassungen zu vermeiden, hatte Bergmann die Idee, die Arbeiter aus den Automobilwerken an Stelle von zwölf nur sechs Monate zu beschäftigen. In den übrigen sechs Monaten sollten sie unterstützt in «Zentren neuer Arbeit» herausfinden, was sie wirklich, wirklich wollen. Dabei ging es Bergmann vor allem um die Unterstützung als Mittel, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Hierfür war er überall in der Welt aktiv, von Mumbai über Zentralafrika bis Österreich. Bergmann postulierte einen Dreiklang von eigener Herstellung, sozialer Teilhabe (Lohnarbeit) und Berufung (Arbeit, die man wirklich, wirklich will). Hinter der Idee stand der Gedanke, dass man eine gewisse Menge Geld benötigte, um zu überleben. Dieses könnte durch Lohnarbeit verdient werden. Um davon nicht abhängig zu sein schlug Bergmann vor, dass sich Menschen in Gemeinschaften zusammenfinden und wichtige Dinge nach aktuellem Stand der Technik selbst produzieren: von Urban Gardening bis zu industriellen Gütern, welche nach und nach die klassische Lohnarbeit verdrängen. Auch der Verzicht auf Konsum wurde mitgedacht, fehlt jedoch ebenso wie der Punkt der Selbstversorgung in der heutigen Debatte. 
 
Somit wird der «New Work» Diskurs verengt auf die Begriffe Lohnarbeit und Berufung geführt und bewegt sich im organisationalen Raum wertschöpfender Unternehmen. Diese benötigen entsprechende Fähigkeiten, um auf die veränderten Marktbedingungen reagieren zu können, wie beispielsweise die der Innovation. Diese wird begünstigt durch Räume zum Ausprobieren und einen klugen Umgang mit informalen Entwicklungen. Innovation benötigt dabei immer Führung, denn sie sorgt stets für Irritation und löst damit Widerstand aus. Führung muss dabei nicht von oben kommen, denn die intellektuellen Ressourcen werden an der Spitze eines Unternehmens nicht zwangsläufig grösser. Viel eher ist man hier abhängig von Informationen und kann somit auch gut geführt werden. Bei der Entwicklung neuer Produkte stehen häufig die Bedürfnisse der Kunden im Vordergrund. Denn ist dieser zufrieden, so die landläufige Meinung, funktioniert auch das Unternehmen. Damit dies gelingt, bekommen Mitarbeitende mehr Entscheidungsfreiheit. Diese führt in Folge ebenfalls zu mehr Verantwortung. Hierarchien werden flacher gestaltet oder ganz abgeschafft, Führungskräfte sollen mit ihrem Team nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe kommunizieren. 
 
Unternehmen setzen bei solchen New-Work-Transformationen nicht mehr auf den hierarchischen Druck, sondern auf die innere (intrinsische) Motivation der einzelnen Mitarbeitenden. Hier wirken orts- und zeitlich flexible Arbeitsmodelle unterstützend. Nicht alle Massnahmen eignen sich jedoch für jedes Unternehmen und jede Branche. Deswegen sind New-Work-Methoden vor allem im Bereich der sogenannten «white collar worker» (Wissensarbeiter) zu beobachten, erst allmählich bahnen sich die Konzepte ihren Weg in handwerkliche Betriebe. New Work verspricht dabei für die Mitarbeitenden angenehmere und erfüllendere Arbeit, für Unternehmen bessere Ergebnisse und für Kunden passgenauere Produkte. 
 
 

Eine Einladung zum Diskurs

Mit fortschreitender technologischer Entwicklung, die den Umbau ganzer Branchen beschleunigt, immer fragileren Sozialsystemen, ökologischen Herausforderungen und der aktuellen COVID-19-Pandemie ist die New Work Idee erneut in den gesellschaftlichen Fokus gerückt. So spricht das Zukunftsinstitut von New Work als Megatrend, Politiker ziehen damit in den Wahlkampf und die Businessplattform «XING» firmierte sich gar um in die «New Work SE». 
 
Unsere Gesellschaft ist an der Wirtschaft ausgerichtet und ihr damit untergeordnet. Das ökonomische System beeinflusst politische Entscheidungen, dabei haben viele Unternehmen weniger das Gemeinwohl im Blick als die Interessen der Geldgeber. Der konsum- und wachstumskritische Ansatz Bergmanns bleibt in der aktuellen Diskussion unberücksichtigt. Der Rest folgt unternehmerischer Logik. Doch die Frage wie wir leben und arbeiten möchten, wird dabei auch durch die Möglichkeiten der Führung und Organisation in unseren Unternehmen bestimmt. Aktuelle New-Work-Massnahmen wirken bisher jedoch eher an der Oberfläche. So ergab eine Online Befragung von 459 Teilnehmenden (Schermuly, 2020), dass Veränderungen, die auf radikale Weise traditionelle Organisationsstrukturen in Frage stellen, bisher kaum Anwendung finden. Soziokratie, Holokratie oder die Wahl von Führungskräften werden selten praktiziert. 
 
Da soziale Entwicklungen häufig wirtschaftlichen Veränderungen folgen, bleibt die Hoffnung, dass Unternehmen mutiger den Weg zu wirklicher Veränderung beschreiten. In Folge wird es dabei durch systemische Abhängigkeiten ebenfalls zu politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Anpassungen kommen. Mut und unternehmerische Verantwortung werden in Konsequenz in individuellem Handeln aufgehen. Denn die aktuelle COVID-19-Krise verändert nicht die Welt, sondern sie zeigt uns, wie die Welt sich verändert hat. Dabei scheint klar, dass wir an einem Scheideweg stehen. Ein Weg führt in eine grünere Zukunft sozialer Inklusion, der andere Weg ist die Fortsetzung des bisherigen – mit fatalen Folgen. 
 
 

Die Autorin

Katja Schwedhelm
Katja Schwedhelm ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Arbeits- und Organisationspsychologin. Als Studiengangsleiterin am Institut für Wirtschaftspsychologie der Kalaidos FH beschäftigt sie sich unter anderem im CAS FH New Work & Collaboration mit den Bedingungen, unter denen Mitarbeitende bereit sind, ihre Werte mit denen eines Unternehmens zu teilen. Dabei kommt sie mit allen damit in Verbindung stehenden Themenfeldern in Berührung: Agilität, Organisationsformen, Methoden, Evolutionspsychologie und Resilienz. 
 
 

 

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