KMU müssen KI ganzheitlich denken – und die richtigen Prioritäten setzen

02.04.2024
5 Min.

Es gibt kein Medium ohne einen täglichen Beitrag über Künstliche Intelligenz – kein Wunder, dass von einer KI-Müdigkeit die Rede ist. Doch können wir die sich überschlagenden Meldungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz ignorieren? Kaum. Denn es geht längst nicht nur um das Rennen der Tech-Giganten, es geht ums Überleben des eigenen Unternehmens.

Zusammenspiel der unterschiedlichen Arten von KI (Quelle: Hase & Igel GmbH)

 

An besagter KI-Müdigkeit dürften einerseits Schlagzeilen wie «OpenAIs KI hat jetzt Kochtipps und Wanderführer» schuld sein, anderseits aber auch die sehr einseitige Berichterstattung über generative KI, wie wir sie von ChatGPT, Gemini, DALL-E oder Midjourney kennen. Gerade so, als würde man bei Skirennen nur über die Abfahrt der Herren und dort nur über Marco Odermatt, Cyprien Sarrazin, Manuel Feller und Loïc Meillard berichten. Dabei gibt es etliche andere Disziplinen und Titelkandidierende im Skizirkus.

Bei der Künstlichen Intelligenz sind dies die analytische KI, die uns mit Modellierung und Prognosen über zukünftige Entwicklungen zu schnelleren und fundierteren Entscheidungen verhelfen, sowie die Robotic Process Automation (RPA), mit der sich etliche Prozesse von der Beschaffung über die Produktion bis zum Marketing automatisieren lassen.

Während die generative KI in jüngster Zeit besonders grosse Sprünge gemacht hat und sich leicht und unterhaltsam ausprobieren lässt, um beispielsweise Texte und Bilder zu erstellen, sollten Unternehmen ihren Blickwinkel weiten und das ganze Bild vor Augen haben. Denn wenn es um Effizienzsteigerung, Risikominimierung oder Kundenzufriedenheit geht, liegen die anderen Arten von KI oftmals vorn.

Den grössten Return on Investment erzielen Unternehmen aber mit einer geschickten Kombination von generativer KI, analytischer KI und robotischer KI (RPA).

Ein von Hase & Igel, einem international ausgezeichneten Start-up im Bereich der KI-gestützten Data Analytics, entwickeltes Modell veranschaulicht, wie die drei Arten von KI am Beispiel von Marketing und Vertrieb erfolgreich zusammenarbeiten können:

Analytische und generative KI im Verbund für Strategie und Inhalte

Jedem Unternehmenserfolg geht eine fundierte Marketing- und Vertriebsstrategie voraus. Bei der Erarbeitung der Strategie kann uns die generative KI vielleicht mit einer Anleitung zu den einzelnen Strategieschritten unterstützen. Auf keinen Fall aber sollte man sich auf diese Art von KI verlassen, wenn es darum geht, strategische Entscheidungen zu treffen. Basis hierfür sind belastbare Daten zu Markt, Nachfrage, Wettbewerb und Umfeld.

Dabei werden die Daten, z. B. zu Verbraucherverhalten, Bewertungen und Äusserungen im Web, statistischen Daten, Geo-Daten, Daten aus Studien und vielen weiteren Quellen, mit den eigenen Unternehmensdaten (First Party-Daten) zusammengeführt. Aus den so aggregierten Daten erkennt die analytische KI Muster, Trends und Hebel, und erstellt auf dieser Basis zuverlässige Prognosen für verschiedene Szenarien. Völlig transparent und nachvollziehbar, ganz im Gegensatz zu generativer KI, die auch schon mal halluziniert und nicht offenlegen kann, auf Basis welcher Daten und «Überlegungen» sie zu einer Schlussfolgerung gelangt. Aussagen werden begründet und Quellen offengelegt, wir müssen keine Verzerrungen durch Voreingenommenheit (Bias) oder Klischees befürchten, weil sie sich auf belastbare Daten stützt und darauf trainiert ist, die Welt möglichst nüchtern zu sehen.

Neben Erkenntnissen zu Nachfrage-Trends und Präferenzen der Zielgruppen, liefert uns die analytische KI auch Informationen darüber, welche Art von Inhalten unsere Zielgruppen aktiviert. Damit können wir die generative KI wesentlich besser instruieren («prompten»), damit sie geeignete Kommunikationsmittel mit bei der Zielgruppe resonierenden Argumenten, im passenden Stil und der richtigen Sprache erstellt, z. B. Anzeigen, Erklärvideos, Beschreibungen zu Produkten, personalisierte Landing Pages oder Antworten für einen Chatbot. Sie beschleunigt damit die Content-Produktion und senkt die Kosten in der Kreation. 

Analytische KI – die Basis für Segmentierung, Targeting, Positionierung und Automation

Welcher Marketer kennt sie nicht, die «Heilige Dreifaltigkeit» im Marketing: Segmentierung, Targeting und Positionierung? Beginnen wir mit der Segmentierung: Die analytische KI liefert Marketern auf Basis belastbarer Daten Empfehlungen für die richtige Einteilung des Marktes in möglichste homogene Segmente von Zielkunden mit gleichartigen Bedürfnissen und einem ähnlichen Kaufverhalten, die alle den gleichen Marketingansatz erfordern. Verbraucher und Konsumentinnen (B2C) lassen sich darüber gruppieren, wer sie sind (Demografie), wo sie sich aufhalten (Geografie), welche Einstellungen und Wünsche sie haben (Psychografie) oder wie sie einkaufen (Verhaltensanalyse). Oder auch nach deren Wertvorstellungen, die sich zum Beispiel in den Sinus-Milieus wiederfinden.

Organisationen (B2B) wiederum können nach demografischen Merkmalen (z. B. Grösse und Standort des Unternehmens), der aktuellen Geschäftslage, die Art und Weise, wie das Unternehmen einkauft, wer in seinem Namen einkauft («Buying Center» oder auch «Demand Unit») und wie es arbeitet (operative Variablen), segmentiert werden. Für sämtliche einer Segmentierung zugrunde liegenden Variablen liefert die analytische KI verlässliche Daten und schlägt vor, wie sich der Markt sinnvoll unterteilen lässt, damit er effektiv bearbeitet werden kann.

Eng mit der Segmentierung verbunden sind die Positionierung und das Targeting. Wie wir uns als Unternehmen in den einzelnen Segmenten gegenüber den Mitbewerbern richtig positionieren, welches Sortiment wir diesem Segment anbieten oder welche Bundles wir promoten, hängt von den zuvor erwähnten Markdaten ab. Wie und in welchen Kanälen wir die vorgängig bestimmten Zielgruppen erreichen, hängt stark von den ermittelten Daten zu Informations- und Kaufverhalten ab.

So offenbaren analytische Algorithmen überprüfbar, welche verschiedenen Segmente es unter den Zielgruppen und Nutzern gibt, wie wir uns in diesen Segmenten positionieren und wie sich die Eigenschaften einer Zielgruppe auf die angestrebten Kommunikationsziele auswirken – zum Beispiel auf die Begeisterung für einen Inhalt oder den Kauf eines Produktes.

Es ist also wichtig, die einzelnen Segmente möglichst passgenau anzusprechen. Damit bewegen wir uns im Bereich des Targetings und der Ausgestaltung einer datengetriebenen Mediastrategie – also der Frage, wann wir auf welchem Kanal mit welchem Werbemittel wen wie oft ansprechen, on- und offline.

Die Kombination aus Big Data und analytischer KI macht mit Verhaltensdaten den Effekt von Werbung schnell und klar messbar – unabhängig von den Angaben der Vermarkter und auch für Kanäle oder physische Standorte, die als «untrackbar» gelten. Machine Learning zeigt die Muster – zum Beispiel durch eine Massnahme zusätzlich erzieltes Produktinteresse, Umsatz-Uplift oder die Aktivierungswahrscheinlichkeit je Tag und Uhrzeit – und liefert ein Media Mix Modelling, das präzise auf die Ziele in den einzelnen Segmenten ausgerichtet ist. Statt auf blosser Performance liegt der Fokus auf der Wirkung. 

Robotische Prozessautomatisierung für mehr Effizienz in der Werbung

Nun können wir die dritte Karte im KI-Blatt spielen, um unsere Arbeit noch wesentlich schneller und effizienter zu gestalten: Robotic Process Automation (RPA). Für ein Targeting-Modell und einen Mediaplan aus der analytischen KI sorgt diese zum Beispiel dafür, dass Werbeplätze aufgrund deren Verfügbarkeiten zu aktuell attraktiven Preisen (abhängig vom Bidding der Mitbewerber) automatisch gebucht werden, dynamische, auf die jeweilige Zielgruppe angepasste Anzeigen zu Produkten – erstellt unter Zuhilfenahme generativer KI – automatisch ausgespielt werden, oder auf Webseiten, Landing Pages oder in E-Mails personalisierter Content passgenau erscheint. Dabei lässt sich im Sinne von A/B-Testing auch mit Varianten experimentieren, zum Beispiel indem man unterschiedliche Headlines, Grafiken oder Bilder testet. Die RPA sorgt in diesem Fall dafür, dass Budgets automatisch in Richtung der performanteren Variante alloziert werden.

Mit RPA lassen sich ganze Kampagnenstrecken automatisieren. Gemeint ist hier die klassische Marketing Automation. RPA im Tandem mit analytischer KI sorgt aber auch dafür, dass Werbemails zum richtigen Zeitpunkt verschickt werden (Send-Time Optimization) oder die Menge der E-Mails den individuellen Bedürfnissen der Empfänger entspricht (Fatigue Analysis). Und dass wir beim Onlineshopping dazu verleitet werden, noch etwas mehr zu bestellen – ein ähnliches Kleidungsstück, ein Buch der gleichen Autorin – oder uns einen weiteren Film anzusehen, der uns gefallen müsste (Next Best Offer). Durch die automatische Ausspielung entsprechender Inhalte kann RPA aber auch verhindern, dass Kunden abwandern (Churn), beispielsweise mithilfe einer passenden Promotion oder einem einmaligen Rabatt bei Vertragsverlängerung.

Darüber hinaus sorgt RPA natürlich auch im Back Office für viel Effizienz, zum Beispiel durch die Automatisierung in Einkauf und Disposition, optimale Lagerhaltung, kontinuierliche Kommunikation zu Lieferterminen, Versand oder Ausständen. 

Die Kombination als Gamechanger für Unternehmen und Kunden

Der Einsatz von analytischer und generativer KI im Verbund mit RPA ist ein wahrer Gamechanger. KMU sollten sich dringend mit allen Arten der KI auseinandersetzen und KI möglichst schnell zur Strategiefindung, für die Marketing Automation sowie zur Optimierung und Automatisierung anderer Geschäftsprozesse nutzen. Dies hat in der Regel auch einen positiven Einfluss auf die Customer Experience – zum Beispiel durch individuell passende Ansprachen und Angebote oder schlankere, kundenfreundliche Prozesse.

Trotz aller KI-Müdigkeit: Den technologischen Wandel aussitzen zu wollen, ist keine Option. Denn schon bald werden die Unternehmen die grössten Erfolge am Markt erzielen, die künstliche Intelligenz für sich zu nutzen wissen. Andere werden auf der Strecke bleiben.

 

Für die ernsthafte Auseinandersetzung mit KI in einem KMU hat der Autor folgende Tipps für die Unternehmungsleitung:

  • Bilden Sie ein interdisziplinäres Team über Abteilungsgrenzen hinweg, das sich mit den diversen Möglichkeiten der KI auseinandersetzt und konstant versucht, mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten.
  • Gewähren Sie Ihren Mitarbeitenden die nötige Zeit, damit sich diese zu KI aus- oder weiterbilden können (Befähigung). Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, viele in Form kostenloser Webinare. Ausserdem gibt das Web viel her, z. B. Anleitungen zum richtigen Prompten (Prompt Engineering). Darüber hinaus empfiehlt es sich, den einen oder anderen einschlägigen Newsletter zu abonnieren.
  • Zur Befähigung gehört auch die Beschaffung allenfalls notwendiger Software-Lizenzen. Für die generative KI stehen in den meisten Fällen zwar kostenlose Varianten zur Verfügung, die zum Experimentieren einladen, die Bezahlversionen leisten aber wesentlich bessere Dienste.
  • Neben der Befähigung braucht es unbedingt auch entsprechende Ermächtigungen. Teilen Sie Ihrem Team die nötigen Kompetenzen zu.
  • Motivieren Sie Ihre Mitarbeitenden zum Experimentieren. Dabei sollte der Fokus auf schnellen Erfolgen (Quick Wins) liegen, z. B. der Erstellung von personalisierten Inhalten mittels generativer KI.
  • Sie sollten sich auf jeden Fall auch selbst mit den Möglichkeiten auseinandersetzen, die KI für Ihr Unternehmen bietet. Lassen Sie sich dabei nicht durch den Hype um die generative KI blenden, fangen Sie bei der analytischen KI an. Sie hilft Ihnen, bisherige Strategien zu validieren (oder auch nicht), neue Geschäftsfelder zu erschliessen oder bis dato geltende Annahmen durch belastbare Daten zu überprüfen.
  • Ermitteln Sie gemeinsam mit Ihrem Team die Prozesse, die durch eine Automatisierung zu Effizienzsteigerung, mehr Absatz oder einem besseren Kundenerlebnis beitragen. Wenn es um die Umsetzung geht, sollten die Prozesse Priorität haben, die alle drei Kriterien gleichzeitig erfüllen.
  • Setzen Sie klare Ziele und überprüfen regelmässig den Fortschritt. Korrigieren Sie, wo nötig.
  • Last but not least, verlieren Sie nie das grosse Bild aus den Augen: das Zusammenspiel aller drei Arten von KI für den grösstmöglichen Return on Investment.

 

 

Der Autor

Daniel Renggli ist Management Consultant mit einem Fokus auf Marketing und Customer Experience und einer Leidenschaft für Technologie und KI-gestützte Automation in Marketing, Verkauf und Service. Er berät mittelständische Unternehmen auf strategischer und konzeptioneller Ebene und begleitet diese in ihrer digitalen Transformation. Dazu arbeitet er mit 123C Digital Consulting und Hase & Igel zusammen.

www.linkedin.com/in/drenggli

Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 24-1

 

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