"Es reicht heutzutage nicht mehr, einfach nur Produkte zu verkaufen"

15.05.2018

Der einengende Begriff «E-Commerce» hat ausgedient – es lebe Digital Commerce!

Am 23. Mai 2018 findet in Zürich wieder die Connect statt, jetzt die Digital Commerce Conference. Anschliessend werden die begehrten Digital Commerce Awards verliehen, die letztes Jahr noch die «E-Commerce-Awards» waren. Doch was ändert sich sonst noch in diesem Bereich? Wohin geht der Weg? Im Gespräch mit der topsoft Fachredaktion erklärt Thomas Lang, CEO von Carpathia, wie die Zukunft des Digital Commerce aussieht, wo die Chancen liegen – und wo Risiken bestehen.

 

Letztes Jahr haben Sie gesagt, dass sich E-Commerce immer mehr weg vom reinen Produkteverkauf in Richtung Lösungsanbieter wandelt. Auch erwartet der Kunde eine klare Personalisierung des Angebots. Gibt es für 2018 andere, neue Trends, die sich abzeichnen?

Die erwähnten Trends stehen nach wie vor hoch im Kurs, wenn es darum geht, den Kunden optimal zu bedienen im digitalen Kanal. Was aktuell noch hinzukommt, ist, dass sich an verschiedenen Fronten neue technologische Möglichkeiten bieten.

Zum einen ist eine baldige Abkehr vom Desktop bzw. Laptop zu erwarten und wir interagieren vermehrt mit neuen Geräten, wie einfachen Nachbestell-Knöpfen oder komplexen Devices, die wir mit der Stimme bedienen, was unserer gewöhnlichen Konversation entspricht und uns Menschen am nächsten liegt. Hier einzuordnen sind auch Konzepte des sogenannten Conversational-Commerce, zu denen man die aktuell überall eingeführten Chatbots zählt.

Welche E-Commerce-Anbieter, insbesondere aus der Schweiz, fallen hier positiv auf?

Es sind primär diejenigen, die in der vordersten Liga mitspielen und auch im vergangenen Jahr umsatzmässig spürbar zulegen konnten. Mir persönlich gefällt der fast schon radikale Ansatz von Microspot, nämlich auf eine Navigation zu verzichten (sie wird anfänglich noch eingeblendet, weil die Nutzer dieses Konzept evtl. noch nicht verstehen). Im Zentrum steht jedoch die Suche. Weil je länger je mehr umfangreiche Sortimente von mehreren Hunderttausend bis Millionen von Produkten über eine Kategorisierung rsp. Navigation zugänglich gemacht werden können.

Auch Coop@Home finde ich spannend, weil sie kontinuierlich neue Services integrieren und die stationäre Welt in den digitalen Raum bringen. So die Online-Metzgerei, das „Chäshüsli“, frischen Fisch und mehr. Ex Libris ist innovativ immer ganz vorne dabei, gerade wenn es um Personalisierung geht. Und der grösste Shop für Bücher, Filme, Musik etc. der Schweiz ist online derart erfolgreich (knapp 80 % der Umsätze erfolgen über digitale Kanäle), dass man radikal das Filialnetz zusammenstreichen musste. Ein konsequentes Vorgehen, das wohl im Schweizer Detailhandel bald Schule machen wird.

Und Zalando nicht zu vergessen! Ein sehr schönes Beispiel, wie sich diese Plattform entwickelt hat. Nicht nur umsatzmässig mit atemberaubenden Wachstumszahlen. Zalando verkauft schon länger keine Kleider mehr – bitte nicht falsch verstehen – sondern hilft mit Services, Beratung und Personalisierung, dass ich gut aussehe und der Kleiderkauf wieder Spass macht.

Gibt es Anbieter, bei denen die Alarmglocken läuten sollten, weil sie sonst schon bald den Anschluss verlieren?

Im Umkehrschluss zu den obigen Antworten sollten bei all jenen die Alarmglocken läuten, die nach wie vor einfach nur Produkte verkaufen. Mit Verlaub, das kann heute jeder. Es kostet mich zwei Tage Aufwand, einen geschickten Logistiker und einen guten Lieferanten in Asien (etwas sehr vereinfacht gesagt).

Es reicht heutzutage nicht mehr, einfach nur Produkte zu verkaufen. Das kann jeder. Der Kunde will Lösungen und als Händler muss ich Lösungen anbieten können, was mir Gelegenheit gibt, auch meine Kompetenz zu kommunizieren. Die Wenigsten suchen online einen Steinbohrer, Dübel und eine M5-Schraube, sondern eine Lösung, um ein Bild mit den Massen 40 x 60cm an einer Wand zu befestigen. Die Wenigsten suchen online Schuhe von X, ein Kleid von Y und eine Tasche von Z, sondern wollen an einem Empfang gut aussehen.

Das heisst, alle, die „just another online shop“ sind, werden schwer zu kämpfen haben. Alle Omni-Channel-Händler, die nicht sowohl an der Bahnhofstrasse als auch online Best-in-Class sind, werden sich anstrengen müssen. Und obendrauf, alle, die den internationalen Schwergewichten, wie Amazon und Zalando, nichts entgegenhalten können, werden schwer zu kämpfen haben.

Der Wandel geht also immer schneller, weg vom reinen Handel. Ist das der Grund, warum die Veranstaltungen neu Digital Commerce im Titel tragen statt «E-Commerce»?

Das „E“ hat einfach etwas ausgedient und reduziert den Handel zu sehr auf den Computer. Nur schon Mobile-Commerce, also M-Commerce, findet sich darin nicht. Ganz zu schweigen von den Dutzenden von neuen Möglichkeiten. Daher wollen wir dieser Entwicklung auch Rechnung tragen und fassen es unter „Digital Commerce“ zusammen.

Was sind dieses Jahr die Highlights für die Teilnehmer an der Connect – der Digital Commerce Conference? Auf welches Referat freuen Sie sich ganz besonders?

Es ist uns wiederum gelungen, eine Vielzahl an hochkarätigen Speakern zu gewinnen zu den vielfältigsten Themen, welche die aktuelle Entwicklung abdecken.

Besonders stolz bin ich darauf, dass wir einen im Vergleich zu anderen Konferenzen sehr hohen Frauenanteil haben. Das Thema Diversität liegt mir schon länger am Herzen und darum haben wir versucht, möglichst viele Frauen, von denen es unheimlich viele tolle in der Branche gibt, für die Konferenz zu gewinnen.

Besonders stolz und gespannt bin ich deshalb auf das „All-Female-Tec-Panel“: Drei Frauen sprechen über die Zukunft, was nach dem Desktop passiert. Mit dabei Jeannine Pilloud von den SBB, die im Bereich Mobile eine führende Rolle haben in der Schweiz. Zudem Isabel Steiner, die ehemalige CTO von Siroop und heute bei Youtube sowie Antonia Ermacora von Chatshopper.

Und auch alle anderen Panels überzeugen durch Top-Referenten, wie man sie in dieser Konzentration nur selten sieht. Oft hören wir von Kollegen aus Deutschland: „Was ihr hier macht und auf die Bühne bekommt, würden wir in Deutschland über zwei bis drei Tage verteilen.“

Sie haben für 2018 allgemein viele Neuerungen: Neuer Name, andere Location und für die Awards mehr Kriterien und grössere Jurys… Warum haben Sie diese Schritte gemacht? Bestand da ein Druck von aussen?

Es ist eine natürliche Weiterentwicklung. Das Kaufleuten hat uns drei Jahre ein hervorragendes Zuhause für die Veranstaltungen geboten. Wir sind jedoch deren Kapazitäten entwachsen, weil immer mehr Teilnehmer den Weg an dem Tag – ein Datum und drei Veranstaltungen – zu uns nach Zürich finden. Daher der Wechsel ins X-TRA, wo grössere Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, die spannend und vielfältig bespielt werden können.

Bei den Awards haben wir uns entschieden, neue Kriterien und Kategorien einzuführen, weil wir die Spannung hoch halten wollten und um vor allem den kleineren Shops grössere Chancen einräumen zu können. Zudem spiegeln sie auch die Entwicklungen wieder – erstmals werden Hersteller und Brands besonders ausgezeichnet, die je länger je mehr direkt verkaufen. Auch Plattformen und Marktplätze bekommen einen eigenen Preis und die Small-Business Shops, eine grosse Chance für kleine Shops.

Die E-Commerce-Awards werden jetzt schon zum 5. Mal verliehen und heissen neu auch Digital Commerce Awards. Von den verschiedenen Kategorien, welche liegt Ihnen persönlich besonders am Herzen?

Es ist sicher der Generation Z Award weil wir damit eine spannende Zielgruppe direkt jurieren lassen, die unsere Zukunft bestimmen wird.

Für dem neuen «Generation Z Award» haben Sie ja eine Schulklasse als Jury gesucht, die ebenfalls der Generation Z angehört. Wie schwierig war es, diese Zielgruppe für diese Aufgabe zu begeistern? Und kriegt die Gewinner-Schulklasse aus St. Gallen etwas für ihre Dienste?

Wir haben es uns etwas einfacher vorgestellt, weil es so etwas ja noch nie gab. Primär haben wir natürlich bei Berufsschulen und Kantonsschulen gesucht, weil deren Schüler der Generation Z entsprechen. Es haben sich dann einige Schulklassen mit sehr witzigen Videos beworben.

Die Schulklasse bekommt eine „Lektion im Digital Commerce“ d.h. wir informieren über den digitalen Handel und als Lohn für ihren Aufwand spendieren wir der Klasse einen Ausflug zu einem Top-10 Onlinehändler der ihnen einen Blick hinter die Kulissen gewähren wird. Die Generation Z also auf Tuchfühlung mit dem Digital Commerce. Wer der Händler sein wird, verraten wir jetzt aber noch nicht.

Wenn jemand nun keine Zeit für die Konferenz und/oder die Award-Show findet – warum lohnt sich für denjenigen trotzdem der Besuch der MS-Direct Digital Commerce Night?

Die Night ist der Networking-Event schlechthin, weil sich die ganze Branche an einem Ort trifft und wir haben jeweils das Who’s’Who im Digital Commerce der Schweiz und Deutschland bei uns. Viele, die den Tag bereits verplant haben, kommen deshalb extra wegen der Night nach Zürich. Es ist die Gelegenheit, auf einmal viele interessante und wichtige Leute zu treffen.

Und Herr Lang, wird man Sie an der Party auch antreffen?

Selbstverständlich – gerade 2018 bin ich in besonderer Party-Laune J

 

 

 

Informationen zum Veranstaltungstag

Connect –  Digital Commerce Conference und Digital Commerce Award

Am 23. Mai findet die Connect – Digital Commerce Conference für Händler, Hersteller und Brands statt. Auch dieses Jahr lockt das Programm mit hochkarätigen Speakern und Panel-Teilnehmern. 

Im Anschluss verleiht Carpathia zusammen mit einer breit abgestützten Jury die Digital Commerce Awards: Mobile- und Onlineshops werden in zwölf Kategorien ausgezeichnet. Ausserdem werden drei Spezialpreise verliehen. Die Sieger werden danach an der MS Direct Digital Commerce Night gefeiert.

 

 

Informationen zu Thomas Lang

Der studierte Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker ist Gründer und CEO der Carpathia AG (http://carpathia.ch), der führenden unabhängigen Unternehmensberatung für Digital Business in der Schweiz.

Seit bald 20 Jahren gilt er als ausgewiesener Experte für Digital Commerce, digitale Vertriebsmodelle und -strategien und verfügt über ebenso lange Erfahrung auf operativer wie auf beratender Seite. Seine Beratungsmandate, Workshops, Seminare und Lehrtätigkeiten sind geprägt von Knowhow-Transfer aus der Praxis, Pragmatismus und Fokussierung auf nachhaltige Lösungen.

Thomas Lang wurde von den Wirtschaftsmedien als einer der führenden digitalen Köpfe und Vordenker der Schweiz gewählt und ist Autor zahlreicher Fachartikel und -studien, Dozent für Onlinevertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Referent an internationalen Konferenzen zum Thema Digital Commerce und Digitale Transformation im Handel.

Der Carpathia Digital-Business-Blog zählt im deutschsprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im digitalen Handel.