Die Pandemie hat die Schwächen im Digital Marketing offengelegt

03.08.2020
Während des Corona-Lockdowns auf das Haareschneiden zu verzichten, war wohl für die meisten von uns keine leichte Sache. Coiffeursalons mussten - so wie die Geschäftslokale vieler anderer Branchen - ihre Türen von einem Tag auf den anderen schliessen. Wer jetzt noch nicht digital aufgestellt war, hatte wenig Chancen, den Kontakt mit der Kundschaft aufrechtzuerhalten.


(Bild: kaleidico / unsplash.com)

Gerade kleinere B2C-Unternehmen wie Mode-Boutiquen, Coiffeure oder Restaurants etc. machen heutzutage praktisch kein Marketing und häufig schon gar nicht digital. Es gab hier für viele nicht nur einen Corona-Lockdown, sondern auch einen veritablen «Marketing-Lockdown». Für solche Klein-Unternehmer heisst in der Regel Marketing, direkt und persönlich beim Kunden präsent zu sein, mit einer professionellen Kleiderberatung im Laden, einem guten Haarschnitt oder der passenden Weinempfehlung am Tisch.

Häufig sind Unternehmen anzutreffen, die weder eine Webseite, geschweige denn ein CRM oder überhaupt elektronisch erfasste Adressen ihrer Kunden haben. Der Kunde kann oft nicht direkt kontaktiert werden und auch wenn Adressen vorhanden sind, werden sie nicht für Marketingzwecke genutzt (und das auch schon vor Einführung der DSGVO). Dabei wären einige Unternehmen wie Restaurants oder Mode-Boutiquen u. a. grundsätzlich prädestiniert, um Kunden mit einem E-Mail-Newsletter über das Tagesmenu oder die neue Frühlingskollektion zu informieren. Aber wer eigentlich ihre Zielgruppe ist, haben viele noch nie analysiert.

Doch auch im B2B-Bereich gibt es Nachholbedarf im Marketing. Heute ist eine Webseite die Visitenkarte, aber nicht immer findet man eine ansprechende Webseite vor, welche die notwendigen Informationen (z. B. auch darüber, wer hinter dem Unternehmen steckt) liefert. Digitales Marketing ist bis heute scheinbar immer noch an vielen Unternehmen spurlos vorbei gegangen.
Im krassen Gegensatz dazu stehen mittlere und grössere Unternehmen (B2C und B2B). Gerade direkt nach dem März-Lockdown waren einige Unternehmen übertrieben digital präsent und unterwegs. Unternehmen nutzten die Pandemie, um z. B. mit Newsletter und auf dem Web über deren Hygienemassnahmen, Erreichbarkeit der Mitarbeiter oder Lieferunterbrüche zu kommunizieren, wohl auch mit dem Ziel, sich einen zusätzlichen Goodwill und Markenfestigung bei den Kunden zu verschaffen.

Diese Unternehmen beherrschen die gesamte digitale Marketing-Klaviatur und scheuen keine Kosten und Mühen, alles auszuschöpfen, was die Awareness, das Image und den Sales in irgendeiner Form erhöhen könnte. Content Marketing, Social Media, Programmatic Advertising, SEO, Chatbots, künstliche Intelligenz, automatisierte Kundenbetreuung und -prozesse etc. Solche Begrifflichkeiten und deren Nutzung sind für viele grosse Unternehmen zur Selbstverständlichkeit geworden. Marketing-Abteilungen verfügen über ansehnliche Budgets, um die gesamte Customer Journey für den Kunden mit allen möglichen Tools so reibungslos und nahtlos wie möglich zu gestalten.

Es wird zwar mit hoher Kunst und innovativen digitalen Prozessen gespielt, um möglichst viel Umsatz und Profit zu generieren und wettbewerbsfähig zu bleiben. Aber oft wird dabei ob dieser Instrumentalisierung auch der Kern vergessen: die persönliche und individualisierte Zielgruppenansprache. Haben Sie z. B. auch schon Newsletter von Unternehmen erhalten, welche Ihnen für die Zusammenarbeit danken, obwohl Sie keine Business-Beziehung aufrechterhalten?

Wettbewerbsfähig und innovativ müssen heute alle Unternehmen bleiben, sei dies nun ein grosses Softwarehaus oder ein Restaurant. Die Pandemie hat die Schwächen und den «Graben» zwischen digitalen und nicht-digitalen Unternehmen aufgedeckt. Sie hat deutlich gezeigt, wo es Nachholbedarf gibt. Den «nicht-digitalen» Unternehmen wäre zu wünschen, diese Lücke zum Kunden zu schliessen. Und auch wenn ein Grossunternehmen um das hundert- oder tausendfache mehr Budget zur Verfügung hat als ein kleines Unternehmen, ist Marketing nicht zwingend eine Frage des Geldes. Das Marketing muss immer auf den Kunden zielen, egal mit welchem Budget. Und ab und zu auch nach dem Motto «etwas weniger ist mehr» - dafür mehr zielgruppengerichtet und personalisierter.
 

Autorin:
Corinne Jost, Head of Marketing, MSM Research AG


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