Martin Wezowski ist seit 2016 Chief Designer und Futurist bei SAP. Er wurde von der deutschen Wirtschafts- und Finanzzeitung Handelsblatt als „Software-Visionär“ bezeichnet und in die Liste der 100 klügsten Köpfe Deutschlands aufgenommen. Im exklusiven Interview mit der topsoft Fachredaktion teilt er seine Gedanken über die Zukunft.
Martin Wezowski: Chief Designer und Futurist bei SAP: «Konventionelles Denken hilft uns bei der Gestaltung der Zukunft nur bedingt. Es braucht mehr Rock’n’Roll - eine wilde, verrückte, experimentelle, revolutionäre Herangehensweise.»
topsoft Fachredaktion: Herr Wezowski, als Futurist beschäftigen Sie sich mit der Welt von morgen. Wie reagiert man bei Ihrem Arbeitgeber SAP auf visionäre Vorstellungen? Zählt in einem solchen Technologieunternehmen nicht eher das faktenbasierte Hier und Jetzt?
Martin Wezowski: Technologie hat die Entwicklung der Menschheit nicht nur ermöglicht, sondern weitgehend geprägt. Der Umgang mit Feuer, die Entstehung der Sprache, der Gebrauch von Rädern bis hin zur Nutzung von Dampf, Strom und vielem mehr hatten direkten Einfluss auf unsere sozialen, kognitiven und physischen Fähigkeiten.
Zukunft als solches war und ist immer zu einem grossen Teil abhängig von der zur Verfügung stehenden Technologie. Diese hilft uns bei der Weiterentwicklung, macht uns neugierig, lässt uns Fragen über das Warum und vor allem über das «Warum nicht» stellen? In unseren Diskussionen über die Zukunft ist das Thema Technologie immer präsent. Dabei gehen wir nicht nur von den heute verfügbaren Technologien aus. Wir spielen auch mit Möglichkeiten, welche zwar denkbar, aber im Moment noch nicht verfügbar sind.
Ich bin überzeugt, dass die Bedeutung von Software – in welcher Form auch immer – in den kommenden Jahren massiv zunehmen wird. Softwaretechnologie ist ein mächtiges, evolutionäres Werkzeug, welches uns und den kommenden Generationen ermöglicht, die Zukunft zu gestalten. Meine Aufgabe als Futurist bei SAP ist nicht nur, Überlegungen zur Welt von morgen anzustellen, sondern auch die Möglichkeiten einer Symbiose zwischen Menschen und Technologie aufzuzeigen. Unsere Mission ist es, mit Software die Zukunft gestaltbar zu machen.
Entscheidend ist doch sicher die Frage, wie die Zukunft überhaupt aussehen soll. Wie schlagen Sie die Brücke zwischen heute und morgen? Wo finden Sie die Inspirationen für neue Denkansätze?
Wir sind alle gefordert, uns Gedanken über die Zukunft zu machen. Wie diese für uns persönlich oder für unser Unternehmen aussehen soll, müssen wir selbst festlegen. Das hat mit Zukunftsforschung nur am Rande zu tun und gehört eher in die Kategorie «strategische Hausaufgaben». Geht es jedoch um substanzielle Veränderungen technologischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Aspekte von komplexen Systemen, müssen wir uns vor allem im Klaren sein, dass diese in einem noch nie dagewesenen Tempo und in völlig neuen Dimensionen stattfinden.
Konventionelles Denken allein hilft dabei nur bedingt. Es braucht mehr «Rock’n’Roll» - eine wilde, verrückte, experimentelle, revolutionäre Herangehensweise. Die Punk- und Rock-Szene hat den Status Quo schon immer hinterfragt und zum Denken über Grenzen hinaus angeregt. Nimm Herausforderungen an, stelle Fragen, mach Fehler, lerne schnell, geh weiter! Die besten Dinge sind die, welcher uns intelligenter machen. Rock’n’Roll ist Innovation und Start-up zugleich.
Ich habe gehört, dass Sie Science-Fiction mögen, was ja nicht erstaunt. Nehmen wir an, Sie drehen irgendwann einen eigenen Film, welcher in ferner Zukunft spielt. Wie sähe das Drehbuch aus? Würden darin noch Menschen vorkommen?
Wir schreiben doch gerade alle zusammen dieses Drehbuch (lacht). In meiner Version des Films würde die Co-Existenz zwischen Menschen und Maschinen im Mittelpunkt stehen. Jede Seite hat Stärken, welche die andere unterstützt. Wahrscheinlich ging es um folgende Fragen: Erstens, wie bringen wir Maschinen dazu, wie Menschen zu fühlen, zu denken und zu handeln? Und zweitens, wie können wir Menschen unsere Fähigkeiten mit maschineller Intelligenz verbessern? Die Spannung würde ich damit erzeugen, die Balance zwischen diesen Herausforderungen zu finden.
Das Ziel – oder das Happy-End, wenn Sie wollen – ist die symbiotische Freundschaft zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz: Technologie und Menschheit harmonisch vereint statt Angstmacherei, wie man es in vielen Science-Fiction-Filmen sieht. Der Film würde auf alle Fälle gut ausgehen, denn ist es nicht unser aller Ziel, glücklich zu sein? Ich male mir die Zukunft positiv aus und will gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen bei SAP dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Unser Motto lautet: Help the world run better and improve people’s lives. Das ist unser Fokus, dafür setzen wir uns ein. Und übrigens, mein Film hätte vermutlich unzählige Fortsetzungen, weil man die Welt immer noch ein bisschen besser machen kann.
Zurück in die Gegenwart: Wie adressiert SAP das Thema Zukunft? Können Sie uns einen Einblick in Ihre Arbeit geben?
Für uns als global tätiger Anbieter von Softwaretechnologie liegt der Fokus auf dem intelligenten Unternehmen der Zukunft. Im Vordergrund stehen dabei vier Dimensionen. Bei den «Self-Running Enterprise Systems» sollen repetitive Funktionen in hochwertige Arbeitsleistungen überführt werden. Hochwertig bedeutet zum Beispiel komplexe Entscheidungen, neue Geschäftsmodelle, Innovationen und so weiter. Viele monotone Aufgaben können digitalisiert und automatisiert werden. Die Intelligenz und Kreativität der Mitarbeitenden können sich neu entfalten.
Zweitens gehen wir das Thema «Self-Organizing Ecosystems» an. Der Gedanke dabei ist die Vernetzung von Marktteilnehmern und deren sichere Zusammenarbeit. Blockchain-Technologie kann dabei eine zentrale Rolle spielen.
Als dritten Punkt haben wir «The Augmented Human» auf der Agenda. Wie können wir Maschinen, Tools und IT einsetzen, um unsere Fähigkeiten zu verbessern? Dank intelligenten Algorithmen lassen sich zum Beispiel Zusammenhänge erkennen, welche uns helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Beim vierten Thema dreht es sich um «New Business Models». Hier entwickeln wir gemeinsam mit unseren Kunden neue Geschäftsmodelle, diskutieren Ideen und setzen diese auch um. Utopia in Ehren, aber wir wollen lieber «Do-topia». Wir sind nicht nur Denker, sondern auch Macher. Das Feedback der Kunden hilft uns, auf der Spur in die Zukunft zu bleiben.
Die kreative Nutzung von Technologien als Schlüssel für die Gestaltung der Zukunft – ein schönes Bild, allerdings mit Fragezeichen. Werden damit nicht viele Menschen überfordert oder gar abgehängt?
Moderne Technologie kann uns helfen, die grossen Probleme der heutigen Zeit zu lösen. Vielleicht liegt der Schlüssel dazu in der Verbindung von maschineller Intelligenz und menschlicher Kreativität. Die globalen wirtschaftlichen, politischen, sozialen Systeme können die Veränderungen nicht ignorieren. Bereits heute haben 3,8 Milliarden Menschen Zugriff auf das Internet. Damit steht ihnen eine Welt offen, welche vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen wäre.
Die erfolgreiche Nutzung solcher Schlüsseltechnologien in Kombination mit kreativem Denken ist weder auf geografische Regionen noch auf gesellschaftliche Schichten begrenzt. In wenigen Jahren werden nochmals 3 Milliarden in der Lage sein, über das Web zu kommunizieren oder Geschäfte zu machen. Die Freiheitsbewegung der Zukunft basiert auf der Verfügbarkeit von moderner Technologie. Was den Aspekt der Kreativität betrifft, bin ich der festen Überzeugung, dass jeder Mensch kreativ geboren ist. Starre Schul-, Arbeits- und Organisationsformen unterdrücken diese zutiefst menschliche Eigenschaft, können diese aber niemals auslöschen.
Wir müssen lernen, neu zu lernen – und zwar ein Leben lang. Und wir müssen uns auch trauen, altes und unnützes Wissen über Bord zu werfen. Die künftigen Generationen werden Antworten verlangen, zu denen wir im Moment noch nicht einmal die Fragen kennen. Der Weg in eine glückliche Zukunft mag mühsam sein, doch wir nähern uns mit jedem Schritt dem Ziel, eine bessere Welt zu schaffen.