Was macht die künftige Verwaltung aus? Wie ist sie organisiert? Staatstreue Bürgerinnen und Bürger oder auch Interpretatoren der Entwicklungen in der öffentlichen Verwaltung, aber auch staatstreue Staatsdiener würden wahrscheinlich sagen:

  • „Es ändert sich nichts“.
  • „Die Verwaltung bleibt wie sie ist“.
  • „Die Verwaltung hat einen sehr guten Ruf in der Schweiz; kein Grund also etwas zu ändern“.
  • „Wer schon mal in gewissen Ländern der EU oder sogar in einem Drittweltland mit der öffentlichen Verwaltung zu tun hatte, weiss, was damit gemeint ist“.

Die Wirtschaft digitalisiert. Und die öffentliche Verwaltung?

Ein Blick hinaus in die Wirtschaft zeigt: Derzeit finden gerade die grössten Transformationen unserer produzierenden und dienstleistenden Wirtschaft statt. Ein Ende ist noch nicht absehbar. Veränderungen aufgrund der Frankenstärke hin oder her. Diese Veränderungen, die auch mit Digitalisierung der Unternehmen, Industrie 4.0 oder ähnlich beschrieben werden, haben nie geahnte Weiterungen und werden unsere Wirtschaft auf ganz neue Füsse stellen. Sowohl in Unternehmen drin als auch über die Unternehmensgrenzen hinaus haben sich Veränderungen ergeben und sowohl Kunden wie Lieferanten sind zunehmend in die Digitalisierung von Wertschöpfungsketten integriert. Und glauben Sie mir, mit dem Generationenwechsel wird das noch viel umfassender der Fall sein.

Ja aber, digitale Transformation, das gibt’s an sehr ausgewählten Orten auch in der öffentlichen Verwaltung, würden Sie mir wohl entgegnen wollen, zum Beispiel…

  • Digitalisierung des Aktenverkehr
  • elektronisch integrierte Abrechnung der AHV
  • Webpräsenzen von Gemeinden und Kantonen (wo es möglich ist, Formulare als PDF herunter zu laden, diesen von Hand auszufüllen, zu unterschreiben und wieder eingescannt als PDF zurück an die Behörde zu senden, wo das PDF ausgedruckt wird und die Informationen dann wieder in Systeme eingepflegt werden und dergleichen mehr)

Im Moment gibt es nur wenige, ausgewählte Bereiche, in welchen digitale Integrationen inner- und überinstitutionell erfolgen. Glaubt man der Forschungsliteratur zum E-Government, kann das alles viel weiter gehen. Aber, geht es ans Eingemachte, d.h. die Organisation der Verwaltung, kommt der grosse Aufschrei: „Rührt die öffentliche Verwaltung nicht an. Ändert hier nichts, wir machen unseren Job ja gut.“ usw.

Und in der Tat gibt es Hürden in der Organisation der öffentlichen Verwaltung, die es nahe legen zu glauben, dass gar nichts geändert werden kann: Das Föderalismusprinzip, das Subsidiaritätsprinzip, das Prinzip der Zuständigkeit, das Prinzip der Ortsgebundenheit der öffentlichen Verwaltung, das Bürokratieprinzip „unseres Vorredners Max Weber“, … usw. All diese Prinzipien hindern öffentliche Verwaltungen implizit oder explizit daran, Mauern einzureissen und bedingungslos und umfassend miteinander zusammenzuarbeiten, neue Organisationsprinzipien zuzulassen, welche im Vor-Gov-2.0-Zeitalter gar nicht möglich waren.

An anderem Ort haben wir unter dem etwas kryptischen Titel „Dekonstruktion und Rekonfiguration von Gemeinden und Kantonen – Alternative zu Fusionen“ auf diese Möglichkeiten ausführlich hingewiesen. Ebenfalls haben wir am Beispiel der Kundenschnittstelle der öffentlichen Verwaltung (NZZ, 21.02.2015) versucht – auch mit Beispielen – aufzuzeigen, was die Konsequenzen einer wirklich zu Ende gedachten Digitalisierung der Kundenschnittstelle der öffentlichen Verwaltung sein könnten (vgl. dazu auch die Beiträge anlässlich der Veranstaltung Front Office an der Berner Fachhochschule. Und all das scheint im Orkus der Geschichte nicht völlig, aber beinahe ungehört zu verhallen.

Kundenorientierung als Ansatz für Digital Government

Dass die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung vielerorts auf Granit stösst, mag verschiedene Ursachen haben. Befremdend sind in diesem Zusammenhang aber wenig substanzielle Äusserungen wie:

  • Das sind doch futuristische Ansichten eines Forschers, die eh nie Realität werden.
  • Zwanghafte Diskussion von Phänomenen aus der Privatwirtschaft, die eh nicht auf die Öffentliche Verwaltung übertragen werden können.
  • An der Verwaltung darf wirklich nicht gerüttelt werden, Sie gefährden so unsere Stabilität und unser gutes Image in der Welt.
  • Oder, wie mir von GemeindeschreiberInnen schon kolportiert wurde: „Solches überfordert uns und ist ausgehend von der Breite der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung gar nicht umsetzbar…“

Würde die These zutreffen, dass die Verwaltung „nur dort kundenorientiert denkt oder denken kann oder darf“, wo ihr das einen Vorteil bringt, z.B. beim Standortmarketing, der Anziehung intelligenter Arbeitskräfte für einen Ableger des Silicon Valley in der Schweiz und dergleichen mehr, könnte zutreffen, dass dort vorsichtige Änderungen in Richtung von mehr Kundenorientierung möglich sind. Und diese „Zellen der Veränderung“ könnten z.B. Gärzellen werden für weitere Bereiche der öffentlichen Verwaltung, mit der Intention, dass die ganze Verwaltung sich in diese Richtung bewegt. Z.B. gibt es im Kanton Zug bereits eine Datenbank, in welcher auch noch nicht in einem kantonalen Handelsregister erfasste Unternehmen mit Ansiedlungsinteressen geführt werden können, damit diese ihre Geschichte im Ansiedlungsprozess nicht immer wieder neu erzählen müssen und damit man weiss, mit wem man es zu tun hat. Üblich ist in der Regel, nur die Unternehmen in einem Register zu führen, die auch tatsächlich angesiedelt sind, die anderen existieren schlicht nicht, … Es könnte ja z.B. sein, dass man nach einer geraumen Zeit die Datenbank dieser Ansiedlungswilligen auswertet und ausgehend davon proaktiv auf neue ähnliche Unternehmen losgehen würde, und dergleichen mehr.

„Gärzellen, und das in der Verwaltung. Sind Sie verrückt Herr Walser?”

Dies kann etwa bedeuten, dass man analog zur Nr. 115 (früher D115) in Deutschland beginnen würde, behördenweite und -übergreifende Dokumentationen zur Behördentätigkeit zu führen, nicht nur mit zugeordneten Gesetzestexten und Formularen, sondern möglicherweise auch mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen einerseits zum Ausfüllen der Formulare – hoffentlich in naher Zukunft nicht mehr zum Ausdrucken, Scannen, Senden, Ausdrucken, Eingeben, etc., sondern gleich mit Übernahme in die entsprechenden Informationssysteme. In der Privatwirtschaft würde man das „Self Service“ oder „Kundenintegration“ nennen. Detailhandels-Beobachter sagen ja aktuell gerade steigende Arbeitslosigkeit wegen der zunehmenden Digitalisierung des Inkassowesens – sprich: Übernahme der Scanningarbeit der Kassiererin durch die Kunden selbst an entsprechenden Terminals. Wo sind diese Terminals zur umfassenden Abwicklung von Verwaltungsgeschäften in der öffentlichen Verwaltung? Es gibt sie, aber nicht in der Schweiz! Es scheint am Willen zu liegen, dass hier nichts passiert oder passieren darf. Es scheint aber auch an der Tatsache zu liegen, dass die Schweiz noch nicht begriffen hat, dass ein grösseres Problem des demografischen Wandels vor ihr liegt. Es werden Arbeitskräfte fehlen in der öffentlichen Verwaltung, und daher täte die öffentliche Verwaltung gut daran, sich über Potenziale der Digitalisierung umfassend und fundamental Gedanken zu machen. Trotz allem bin ich sicher, wird die Verwaltung nicht nochmals 167 Jahre oder gar mehr gleich bleiben wie sie immer schon war – genauer hinschauend merkt man, dass das auch in der Vergangenheit nicht immer so war. Was wir aber in diesem Zusammenhang sehr umfassend brauchen, ist eine öffentliche Debatte zur Digitalen Verwaltung von morgen. Tabulos muss hier darüber diskutiert werden können und dürfen, was über die oben erwähnten Prinzipien unseres aktuellen Staatsaufbaus und -Funktionierens möglich ist, um die öffentliche Verwaltung möglicherweise gleich in die Kategorie Öffentliche Verwaltung 3.0 zu hieven.

Konrad Walser

Prof. Dr. Konrad Walser ist Dozent und Senior Researcher am E-Government-Institut der Berner Fachhochschule | www.e-government.bfh.ch. Er ist Co-Organisator und Programmleiter der Gov@CH  – der neuen Messe und Konferenz für Digitale Verwaltung.