Digitalisierung ist zu einem entscheidenden Faktor für Wirtschaft und Gesellschaft, Staat und Politik geworden. Die Verwendung digitaler Technologien und Techniken verändert alle Lebensbereiche. Neue Arbeits- und Organisationsformen entstehen. Von digitaler Transformation sind alle betroffen. Die zentrale Frage wird sein, wie sich Unternehmen und Mitarbeitende daran beteiligen. Wenn diese zusammenwirken, um durch die Nutzung moderner Technik die eigene Flexibilität und Unabhängigkeit zu stärken und gleichzeitig die Arbeitsbelastung zu senken, die Freude an der eigenen Arbeit und die Produktivität zu steigern, wird dies für alle zu besseren Ergebnissen führen.

Utopien von gestern sind die Realität von heute

Utopien sind rationell verfasste Konzepte einer anderen Welt. Es sind Entwürfe fiktiver Gesellschaftsordnungen, die nicht an zeitgenössische, historisch-kulturelle Rahmenbedingungen gebunden sind. Utopien gelten als Antrieb für soziale Erfindungen in einer wünschenswerten Zukunft. So gesehen nehmen Utopien die Realität voraus. Vor rund fünfzig Jahren galt noch als Utopie, dass Lebensbedingungen und Lebewesen einmal manipulierbar sein würden. Heute sind wir dieser Vorstellung schon sehr nahe, wenn in der Realität Lebewesen – auch der Mensch –   automatisiert, nachgebaut und ausgetauscht werden können. Bald einmal können wir uns auf die Verwirklichung der vielleicht letzten Utopien – die Erlösung von Krankheit, Hunger und Tod durch Gentechnik und die Abschaffung der ökonomisch bestimmten Erwerbsarbeit – konzentrieren. Der Rückkehr ins Paradies steht dann nichts mehr im Wege.

Die digitale Eroberung der Welt

Automatisierung, Steuerung und Digitalisierung haben die Weltwirtschaft längst erobert. Sie prägen alle Lebensbereiche rund um den Globus. Die historisch und geografisch begründete Trennung zwischen nördlicher und südlicher Hemisphäre ist quasi abgelöst worden durch die Unterteilung in eine digitale und eine nicht digitale Welt. Der Grad der Entwicklung von Staaten und Gesellschaften entscheidet sich nicht länger am Äquator, sondern am “Grad der Digitalisierung“. Schon in naher Zukunft werden nicht mehr Bildungs- und Politiksysteme für unser Erleben und Verhalten im Alltag ausschlaggebend sein, sondern die technischen Möglichkeiten, die seit der Entstehung der Digitaltechnik mit kaum vorstellbarer Geschwindigkeit laufend entstehen.

Die digitale Transformation verändert Angebot und Nachfrage in der Wirtschafts- und  Arbeitswelt sowie die politische Willensbildung und die rechtlichen Rahmenbedingungen. Rund um den Globus entstehen neue politisch und wirtschaftlich begründete Bündnisse und Blöcke. Oder sie werden ergänzt und kontinuierlich ersetzt durch digitale Netzwerke und Telekooperationen. Selbst bei der Sicherung von Grenzen und der Durchsetzung eigener Interessen als Abwehr von Migration oder als Gegenwehr in gewalttätigen Konflikten wird die digitale Macht den Einsatz militärischer Mittel entscheiden.

Überwindung von Raum und Zeit

Automatisierung, Steuerung und Digitalisierung sind die Vorläufer von selbstlernenden Organisationen. Das digitale Zeitalter bringt nicht nur neue Arbeits- und Organisationsformen, sondern sprengt auch die Grenzen von Raum und Zeit. Durch die Möglichkeit der räumlichen Verteilung von Wertschöpfungsaktivitäten werden selbst Zeitzonen überwunden. Informations- und kommunikationstechnische Infrastrukturen machen es möglich, weltweit ohne Zeitverzögerung zu geringen Kosten und in verbesserter Qualität zu kommunizieren und arbeitsteilige Leistungsprozesse zu koordinieren. Wenn Koordination dereinst zu beliebigen Zeiten und von beliebigen Standorten aus erfolgen kann, werden auch Arbeitsplätze ihre räumliche Bindung verlieren.

Können Unternehmen Arbeit in räumlicher und zeitlicher Hinsicht verteilen und verlagern, sind sie in der Lage, ihre Kunden an jedem Ort erreichen und zu jeder Zeit zu bedienen. Dies eröffnet grosse Flexibilitäts- und Wachstumspotenziale, deren Nutzung theoretisch unbegrenzt ist. Wachstum kann nur noch durch Handelsschranken und staatliche Regulative eingeschränkt oder durch Marktmacht beherrscht werden. Wenn sich in der Politik heute wieder vermehrt protektionistische Muster erkennen lassen, werden fortgeschrittene Formen der Mensch-Computer-Interaktionen jeden Zaun überwinden. Dieser Prozess wird durch die Digitalisierung beschleunigt.

Veränderungen erzeugen neue Formen und Inhalte der Arbeit

Verschiedene Effekte kennzeichnen das digitale Zeitalter. Zum ersten Mal in der Geschichte der Arbeit führen lernende Systeme mit künstlicher Intelligenz zu veränderten, umgekehrten Verhältnissen von Maschine und Mensch. Dies hat zur Folge, dass Maschinen den Menschen führen. Die Netzwerke für Menschen werden durch Netzwerke der Dinge abgelöst. Mensch und Maschine können nicht mehr getrennt betrachtet werden. Mitarbeitende funktionieren nicht mehr losgelöst von der Technologie; sie brauchen diese zunehmend für die Bewältigung ihres Alltags, aber auch für die Erhöhung ihrer Wertschöpfungsbeiträge. Digital Natives und die künftigen Generationen werden auch auf der persönlichen Ebene dem Veränderungs- und Anpassungsdruck begegnen, indem sie Selbstverantwortung übernehmen (müssen) und in erster Linie für sich selbst und nicht mehr für die Firma effektiver sind. Spätestens dann werden Mitarbeitende zu eigenen Unternehmern.

Auswirkungen der veränderten Arbeitswelt für Unternehmen

 Durch die Digitalisierung verändert sich für Unternehmen das Management von digitalen Risiken und von HR-Risiken grundlegend. Ein unzureichendes Verständnis oder die Delegation von Verantwortlichkeiten für das Digitalisierungsmanagement an dafür nicht geeignete Stellen können zu einem HR-Metarisiko werden. Unternehmen sollten deshalb nicht nur ihre Produkte und Beziehungen zu ihren Anspruchsgruppen den Anforderungen eines digitalen Zeitalters anpassen, sondern auch ihre Organisation im Innern. Die Veränderung von Management und Führung, der Aufbauorganisation und der Führungsinstrumente sowie die laufende Optimierung der technischen Steuerungs- und Hilfsmittel gehören zum digitalen Reifungsprozess.

Smart Business als Lebenshaltung

Die digitale Reifung stellt eine betriebliche Notwendigkeit dar, um den Anschluss an den digitalen Kontext nicht zu verlieren. Smart Working bringt nicht nur eine Kulturveränderung mit sich, sondern ist eine Lebenshaltung, bei der jeder Einzelne privat und bei der Arbeit mehr Selbstverantwortung zu übernehmen bereit ist. Diese unternehmerischen Fähigkeiten jedes Einzelnen führen dazu, dass individuelle Ziele wie Selbstbestimmung, Mobilität und Unabhängigkeit die Grundbausteine künftiger organisatorischer Gestaltungskonzepte sein werden. Wenn nun ausgerechnet diejenigen Menschen, die am besten geeignet sind, auf Veränderungen zu reagieren, nicht die Kompetenz dazu erhalten, sondern verpflichtet werden, Strategien zu folgen, gehen die qualifiziertesten Arbeitskräfte den Unternehmen verloren. Mit mehr Verantwortung und weitreichenden Kompetenzen wird jeder Einzelne im Unternehmen zu einer Führungsperson; natürlich mit dem Ziel, maximale Agilität und Flexibilität zu erreichen. Das mag nach Chaos tönen, ist aber in Tat und Wahrheit ein stark organisiertes System, welches die Macht, Entscheidungen zu treffen, nach der Arbeit und den Rollen von Menschen statt nach ihren Titeln verteilt.

Treiber oder Getriebene

Genauso wie Bildungs- und Politiksysteme nicht mehr ausschlaggebend für unser Erleben und Verhalten im Alltag sein werden, entscheiden nicht mehr Unternehmensstrukturen und herkömmliche Hierarchien über Marktstellung und  Wettbewerbskraft eines Unternehmens, sondern das flexible Zusammenarbeiten von selbstverantwortlichen Leistungserbringern von verschiedenen Standorten aus.

Gerade Firmen, die im Digitalgeschäft tätig sind, sollten ein Interesse an Arbeitsleistungen haben, bei denen selbstverantwortliche und unabhängige Leistungsträger die erreichten Ziele in den Vordergrund stellen, die sich um eine effiziente Kommunikation und effektive Meetings statt um Bürokratie und Hindernisse kümmern. Ihnen soll der Schlüssel für die Erneuerung der Unternehmensorganisation und die Verbesserung von Arbeitsleistungen gegeben werden.

Ob sie ökonomisch, sozial oder persönlich motiviert sind, spielt letztlich keine Rolle. In allen Fällen wird es das Zusammenspiel der Kräfte sein, mit der Unternehmen ihre Performance steigern und gute Mitarbeiter halten können. Und es werden Menschen sein, die ihr Leben verändern und unabhängig und selbstverantwortlich gestalten möchten.  Entscheidend ist, dass Veränderungen eher bewirkt werden, wenn sie durch einen oder mehrere solcher Treiber angestossen werden. Ob das Rezept dazu dereinst Lehrbüchern zur Holakratie oder Anleitungen für die Einführung von Smart Working entnommen wird, spielt keine Rolle. Die Zukunft des eigenen Unternehmens verdient es, sich mit Smart Working zu befassen und dabei aus der Palette von Empfehlungen wenigstens einige Empfehlungen und Hinweise für den einzelnen Mitarbeiter und Unternehmer zu beachten:

  • Digitalisierungsstrategien gehören zu den Aufgaben der strategischen Führung.
  • In grösseren Firmen ist die Einsetzung eines Chief Digital Officer für die Definition und Umsetzung der Digitalisierungsstrategie und von Digitalisierungsprojekten sinnvoll.
  • Big-Data und die Miniaturisierung klassischer IT-Komponenten sind Marksteine in Geschäftsberichten.
  • Kundeninteraktionen und der Umgang mit Disruptionen bei digitalen Technologien sind wichtige Schulungsinhalte.
  • Menschen und ihr Verhalten werden in automatisierte Geschäftsprozesse integriert.
  • Für Mitarbeitende werden Arbeitseinsätze geschaffen werden, bei denen individuelle Ziele wie Selbstbestimmung, Mobilität und Unabhängigkeit die Grundbausteine organisatorischer Gestaltungskonzepte darstellen.
  • Unternehmensführung und Entlöhnungsmodelle werden ausgerichtet auf das durch Arbeit und Leistung unabhängig von Zeit und Raum entstehende Flexibilitätspotenzial.

Und zu guter Letzt sollten Mitarbeiter im Rahmen von neuen Kooperations- und Koordinationsmodellen als Unternehmer in die Verantwortung eingebunden werden, weil gerade sie in der Lage sind, neue Geschäftschancen für das eigene oder eben für andere Unternehmen zu entwickeln.

 

Zum Autor:

Marc Pfirter

Jurist und Ethnologe. selbständiger Unternehmer, Kurs- und Seminarleiter, führt das Begegnungs- und Bildungszentrum Villa Ferrette in St. Blasien (D) unter anderem mit Kursen und Workshops zu Holakratie und Smart Business.