Plötzlich treffen sich Teams nur noch virtuell statt im Büro. Bestehende Abläufe funktionieren nicht mehr. Das stellt auch die Chefs vor neue Herausforderungen. Mit diesen fünf Grundsätzen klappt die Zusammenarbeit trotzdem.
Von Null auf Homeoffice innert weniger Tage: Die Coronakrise hat viele Schweizer KMU richtiggehend ins digitale Zeitalter katapultiert. Eingespielte Abläufe am Firmensitz sind plötzlich nicht mehr möglich, weil alle von auswärts arbeiten. Geschäftsführer und Mitarbeiter mussten sich mit neuen Realitäten abfinden. Teams treffen sich nicht mehr im Sitzungszimmer, sondern in der Videokonferenz. In der Folge erlebte entsprechende Software einen nie dagewesenen Boom. Die Zahl täglicher Nutzer von Microsoft Teams beispielsweise hat sich innert zwei Monate weltweit auf 75 Millionen verdreifacht.
(Bild: Anna Shvets / pexels.com)
Virtuelle Teams: der neue alte Trend
Es ist nicht anzunehmen, dass irgendwann nach Beendigung der Krise Firmen einfach wieder zum «Vorher» zurückkehren. Verschiedene Umfragen deuten darauf hin, dass Homeoffice und Zusammenarbeit über die Distanz teilweise bleiben. Zudem sie ja keine neuen Phänomene sind. Zusammenarbeit über Länder- und Sprachgrenzen hinweg haben schon vor Corona zum Alltag gehört. Wie viele KMU gibt es wohl in der Schweiz, die über Niederlassungen in anderen Sprachregionen verfügen und es sich gewohnt sind, über digitale Kanäle miteinander zu kommunizieren? Und immer mehr auch mit Kunden? Generell hat die Digitalisierung dazu geführt, dass Mitarbeiter vermehrt über Distanzen kommunizieren – und sei es nur der Aussendienstmitarbeiter, der dem Innendienst eine Nachricht schickt.
Doch was ist eigentlich ein virtuelles Team? Es ist nicht allein die geografische Distanz. Es können weitere Unterschiede hinzukommen, die überwunden werden müssen, beispielsweise Sprachbarrieren – gerade in der Schweiz. Und, obwohl heutzutage jeder von Homeoffice und globaler Kollaboration spricht, erlebe ich immer wieder, dass in der Praxis vieles nicht automatisch funktioniert. Schon wenn Mitarbeiter auf unterschiedlichen Stockwerken im gleichen Gebäude arbeiten, treten die ersten Kommunikations-Herausforderungen auf, denn der hilfreiche Floor-Talk oder Coffee-Corner-Talk findet da schon seltener statt. Je mehr Sprachen, Kulturkreise und Zeitzonen hinzukommen, desto komplizierter wird es. Doch welche Regeln und Prozesse braucht es, damit virtuelle Teams funktionieren?
1. Die grösste Aufgabe: Kommunikation in virtuellen Teams im Voraus klären
Wenn die Kommunikation hauptsächlich über E-Mail läuft, steigt die Gefahr von Missverständnissen deutlich – es fehlten Tonalität und Körpersprache, um das Gesagte richtig verstehen respektive interpretieren zu können. Es ist sehr oft unklar, wer eigentlich verantwortlich ist. Der Sender: «Aber ich habe es dir doch per Mail geschickt?» Oder der Empfänger: «War ich gemeint? Es waren vier Leute auf dem Verteiler.» Die Folge davon: Wir kommunizieren doppelt und dreifach, rufen an, chatten, schreiben ein zweites oder drittes E-Mail oder wissen im Meeting nicht, wovon gerade die Rede ist. Noch schwieriger wird es, wenn unterschiedliche Kulturen zusammentreffen. Umso wichtiger ist es, Wortwahl und Tonalität genau zu prüfen. Das gilt zum einen für Wörter, die in anderen Sprachen missverstanden werden können, aber auch generell für komplexe Formulierungen oder Fachjargon.
Mein Tipp: Beachten Sie die 3W-Regel. Jede Kommunikation sollte klar beinhalten, WER WAS bis WANN macht. Schauen Sie mal ihre letzten 20 bis 30 E-Mails an. War das Wer-Was-Wann immer klar?
2. Kommunikationskanäle kombinieren und wenige, aber klare Regeln aufstellen
Obwohl alle, die ich kenne, regelmässig über E-Mails schimpfen, sind sie nach wie vor die häufigste Kommunikationsform in virtuellen Teams. Ich empfehle, abends mal einen Blick in den E-Mail-Postausgang zu werfen: Wie viele E-Mails haben sich dort am Ende des Tages angesammelt? Schon wissen Sie, warum Sie täglich so viele Mails bekommen.
Um das zu ändern, müssen Sie die Stärken der verschiedenen Kommunikationskanäle nutzen. Per E-Mail lassen sich Ergebnisse festhalten und Absprachen archivieren, die telefonisch oder über den Firmen-Chat diskutiert wurden und deshalb sonst verloren gehen. Besser wäre hier natürlich ein Notizblock-System wie beispielsweise OneNote. E-Mails eignen sich aber nicht zum Diskutieren.
Daher sollte jedes Team Regeln etablieren: Was und wann wird via E-Mail kommuniziert, wann sollte man zum Telefon greifen oder bis zum nächsten Team-Meeting warten? Nicht alles, was wichtig ist, ist auch dringend. Warum nicht ein gemeinsames Team-OneNote-Notebook, in das jeder Agendapunkte fürs nächste Team-Meeting eintragen kann?
Mein Tipp: Nach drei E-Mail-Interaktionen den Kommunikationskanal zu Telefon oder Videokonferenz wechseln. Ausserdem sollte man in E-Mails nicht scrollen müssen, das ist ein klares Zeichen, dass der Inhalt zu lang ist.
3. Vertrauen durch persönliche Treffen schaffen
Trotz aller Technologie: Nichts ersetzt den persönlichen Austausch. Wer sich kennt, weiss, wie sein Gegenüber agiert und versteht Anweisungen oder Fragen besser. Wer im gleichen Büro arbeitet, geht zusammen zum Mittagessen oder einen Kaffee trinken. Aber auch in virtuellen Teams spielen persönliche Treffen, insbesondere am Anfang einer neuen Arbeitsbeziehung, eine wichtige Rolle, um Vertrauen aufzubauen. Sie reduzieren zukünftige Missverständnisse deutlich.
Mein Tipp: Wenn man etwa aus finanziellen, zeitlichen Gründen oder wegen der Coronakrise nicht reisen kann, hilft ein virtuelles Kick-off-Meeting per Videokonferenz. Dabei stellen sich alle Beteiligten persönlich vor, beispielsweise mit Hobbys, Familie und vorherigen Jobs. Mit Teams, die sich bereits kennen, können Sie auch virtuelle Konzerte veranstalten oder einen Kochevent (haben wir in meinem Team schweizweit durchgeführt – funktioniert gut).
4. Vertrauen durch Verbindlichkeit aufbauen
Vertrauen baut sich nicht nur durch ein Face-to-Face-Meeting auf. Fast jeder kennt das vom Austausch mit externen Partnern: Antwortet jemand zügig auf E-Mails, ruft schnell zurück und hält sich an Absprachen oder übertrifft sie, bleibt die Zusammenarbeit positiv in Erinnerung – im Fachjargon «task-based trust» genannt. Das gleiche gilt für interne Beziehungen: Ein kooperatives, zuverlässiges Miteinander spielt eine umso grössere Rolle, wenn Mitarbeiter an unterschiedlichen Standorte und in verschiedenen Zeitzonen arbeiten.
Mein Tipp: Bei uns im Team gilt «underpromise & overdeliver», sprich: etwas mehr halten als versprechen. Das erleichtert die Zusammenarbeit ungemein und stärkt das Vertrauen – und Spass macht’s auch noch.
5. Recruiting: Die richtigen Mitspieler finden
Mitarbeiter in virtuellen Teams müssen ein hohes Mass an Eigeninitiative mitbringen sowie selbstständig arbeiten können und wollen. Personen mit relativ hohem Führungsbedürfnis würden in virtuellen Teams untergehen.
Ich prüfe Bewerber deshalb in mehreren Schritten. Am Anfang steht ein ca. 30-minütiges Telefonat, bei dem ich herausfinde, wie sich die Bewerber rein verbal ausdrücken können. Der Vorteil daran: Man lässt sich nicht von Körpersprache oder Designerkleidung beeinflussen. In virtuellen Teams (und mit Kunden...) ist eine gute mündliche Ausdrucksweise elementar. Wenn es schon da nicht passt, können beide Seiten Zeit sparen.
Im Anschluss kommt der Zuhör-Check: Ich bitte die Bewerber darum, mir zwei oder drei relativ simple Fragen per E-Mail zu beantworten, und gebe dafür auch eine maximale Länge vor (zum Beispiel maximal vier Sätze pro Antwort). Allein das ist schon sehr aufschlussreich: Haben die Kandidaten zugehört? Sind sie in der Lage, Gehörtes umzusetzen und sich dabei an einfache Rahmenvorgaben zu halten? Meine Erfahrung nach zehn Jahren zeigt, dass ca. 60 Prozent der Bewerber bereits hier durchfallen. Wer im Jobinterview eine einfache Anweisung infolge Nicht-Zuhörens umsetzen kann, würde es dann im Geschäftsalltag auch nicht tun... viel Spass... Erst dann folgt ein klassisches Gespräch, idealerweise vor Ort, sonst via Videokonferenz.
Mein Tipp: Testen Sie im Bewerbungsprozess bereits konkrete Anforderungen an die Arbeit im virtuellen Team. Denn wenn man in unterschiedlichen Büros zusammenarbeitet, womöglich mit Zeitverschiebung von mehreren Stunden, kann eine Aufgabe nicht mehrfach besprochen und neu erklärt werden. Sprich: Testen Sie neben dem Fachwissen auch das «Virtual Team Skillset». Es wird sich auszahlen.
Der Autor
Beat Bühlmann ist Leiter Vertrieb KMU bei
Swisscom. Davor verantwortete er das EMEA-Geschäft von Evernote und arbeitete 6 Jahre bei Google in Zürich und London. Er promovierte in Betriebswirtschaft zum Thema «Führen von virtuellen Teams».
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