Wir und digitalisieren? Jetzt mal im Ernst

18.09.2019
6 Min.
Ein praxisorientierter Ratgeber für die Realisierung von Digitalisierungsprojekten und den langfristigen Wandel zum digitalen Unternehmen.

 

Der Fortschritt in der IT ist von Entwicklungsschritten geprägt, die eine markante Veränderung des Umgangs mit der Technologie zur Folge hatten. Beispiele hierfür sind Personal Computer, E-Mail, das Internet oder das Smartphone. Einen ähnlichen Schritt erleben wir mit der fortschreitenden Digitalisierung. Nur ist es diesmal statt einer einzelnen technologischen Neuerung die Adoption von Technologie auf breiter Ebene. Darin liegen Chance und Risiko für die Unternehmen. Statt jahrelanger Forschungsprojekte können Innovationen heute schnell und kosteneffektiv validiert und entweder verworfen oder weiterentwickelt werden. Dies steigert den Druck, dass ein Mitbewerber unaufholbare Marktvorteile entwickelt. 

 

Ausgangslage für Digitalisierungsprojekte

Die Realität in vielen Unternehmen ist eine Zeitreise in die 1990er-Jahre. Vielerorts ist immer noch Papier das hauptsächliche Transportmedium für Pläne, Aufträge und Berichte. Statt einer systematischen Datenverarbeitung werden Excel-Dateien per Mail versendet. ERP, CRM, PPS, E-Shop und Websites sind Inseln, die im besten Fall über Schnittstellen einander Daten bereitstellen. Von durchgängig vernetzten Prozessen sind viele Unternehmen noch weit entfernt.

 

Und nun wird den Unternehmen suggeriert, dass Sie unbedingt die digitale Transformation starten müssen, weil sonst morgen ein anderes Unternehmen den Markt disruptiert und einen selbst obsolet macht. Statt dieser Horrorszenarien bietet sich ein kritischer Blick auf das eigene Unternehmen und den Umgang mit der verfügbaren Technologie an. Weder den Kopf in den Sand stecken noch in Panik ausbrechen sind probate Mittel, um der Digitalisierung zu begegnen.

 

Die Einteilung der Digitalisierung in drei Phasen erleichtert es Unternehmen, die eigene Position einzuschätzen. Davon ausgehend können Ziele angestrebt oder zuerst Grundlagen geschaffen werden (Copyright: Dirk Apel)

 

Die 3 Phasen der Digitalisierung

Eine Unterteilung der Digitalisierung in drei Phasen erleichtert es, die Position des eigenen Unternehmens einzuschätzen. Ausgehend von der Position kann ein Unternehmen eine Zielvision definieren und darauf hinarbeiten oder erstmal die Grundlagen der Digitalisierung schaffen.

 

Phase 1: Digitale Optimierung

Die digitale Optimierung zielt darauf ab, die Computerisierung und Konnektivität zwischen den einzelnen Arbeitsstellen im Unternehmen zu realisieren. Im Prinzip geht es darum, Informationen bereitzustellen und dadurch wiederum Messpunkte für die Datenerhebung zu schaffen. Ein Beispiel hierfür ist ein Tablet, welches Produktionsaufträge in der Fertigung an der Maschine bereitstellt und gleichzeitig als Medium für die Betriebsdatenerfassung dient.

 

Die Konnektivität betrifft Technik (Maschinen liefern Informationen) wie auch Prozesse (Abläufe über Systeme). Statt einen Fertigungsauftrag isoliert pro System zu betrachten, wird dieser vom Bestellsystem über Produktionsplanung, Ausführung bis hin zur Auslieferung und schlussendlich auch im Falle einer Reklamation begleitet. In jedem dieser Schritte fallen wichtige Informationen an, die nur durch eine systematische Datenverarbeitung nutzbar gemacht werden.


Idealerweise rechnet sich jeder Schritt auf diesem Weg. Es kann jedoch auch sein, dass für eine Optimierungsmassnahme kein ROI gerechnet werden kann. Nichtsdestotrotz ist sie notwendig, wenn sie wertvolle Informationen über das eigene Unternehmen und seine Abläufe liefert.

 

Phase 2: Digitale Transformation

Nachdem in der Phase der digitalen Optimierung Transparenz im Unternehmen hergestellt wurde, kann in der digitalen Transformation der nächste Schritt in Angriff genommen werden. In dieser Phase stellen wir uns die Fragen:
  • Was passiert?
  • Warum passiert es?
  • Und daraus abgeleitet: Was wird passieren?
Die Datenströme werden konsequent analysiert und auf wiederkehrende Muster geprüft. Nehmen wir wieder das Beispiel der Fertigung. Durch die Bereitstellung von Tablets und geeigneter Software werden Maschinenstillstände und Probleme dokumentiert. Darüber hinaus werden Informationen über den Grund eines Stillstands direkt (Mitarbeiter erkennt Grund und erfasst diesen) und indirekt (bei einem bestimmten Produkt kommen gehäuft Stillstände an der Sortiermaschine vor) gesammelt.

Diese wertvollen Informationen finden ihren Weg wieder in die digitale Optimierung. Statt reaktiv auf Probleme zu reagieren, werden Handlungsoptionen geschaffen. Die Einführung eines digitalen Wissensmanagement kann eine dieser Optionen sein. Bekannte Probleme werden einem Auftrag mitgesendet und dem Mitarbeiter Handlungsanweisungen visualisiert. Entweder um das Problem von vorneherein zu verhindern oder um es zumindest selbstständig lösen zu können.

Ein wichtiger Aspekt ist, dass die Umwälzung des Unternehmens von innen heraus geschieht. Das Delegieren der Digitalisierung an einen Dienstleister wird nicht zum gewünschten Erfolg führen. Im Minimum muss sich das Unternehmen in den Beifahrersitz begeben. Dabei müssen die Mitarbeiter des Unternehmens aktiv eingebunden werden. Eine hohe Transparenz gegenüber den Mitarbeitern und Integration dieser ist essenziell für die Akzeptanz jeder digitalen Transformation.

 

Phase 3: Digitale Disruption

Aus der Optimierung und der Transformation münden schlussendlich die Möglichkeiten einer grundlegenden Innovation und neuer Geschäftsmodelle. In der Regel versteht man darunter neuartige Einnahmequellen wie zum Beispiel Serviceleistungen zu Produkten. Doch die Disruption geht weit darüber hinaus.

So nutzt ein Fertigungsbetrieb Künstliche Intelligenz, um die systembedingten Stillstandzeiten zu optimieren und macht Vorschläge, was Mitarbeiter mit den geschaffenen Freiräumen machen können: Zum Beispiel Ausbildung oder das Kind aus der Kita holen. Dies führt schlussendlich dazu, dass die Mitarbeiter viel stärker mit dem Unternehmen verbunden sind und qualifizierte Fachkräfte einfacher auf dem Arbeitsmarkt gefunden werden könne. Dank hoher Motivation wird die Effektivität viel stärker gesteigert, als dies durch die Nutzung der freien Zeiten zur Erledigung von noch mehr Aufträgen möglich wäre.

 

Minimierung des Risikos

Mit einem agilen MVP-Ansatz (Minimum Viable Product) lässt sich das Risiko minimieren. Statt grosser Mammut-Vorhaben wird ein Team zusammengestellt, ein Ziel definiert, ein zeitlicher Rahmen fixiert und das Investitionsvolumen bestimmt. Dieser Ansatz lässt sich selbst auf physische Produkte ummünzen. Alle zwei Wochen wird der aktuelle Stand hinterfragt und entschieden, ob die Vision weiter erreichbar ist, oder ob das Produkt bereits vor Ablauf der Zeit genügt. Wird das Projekt weiterverfolgt, werden die Ziele für den nächsten 2-Wochen-Rhythmus definiert.
 
Ein möglicher Fehlschlag ist dabei nicht negativ behaftet. Der möglichst frühe Fehlschlag ist sogar Teil des Konzeptes. Lieber früh erkennen, dass eine Idee nicht funktioniert und dafür die nächste angehen, als viel Zeit und Energie in ein Projekt stecken, um dann am Ende doch vor dem Nichts zu stehen.

 

Fazit

Es muss nicht gleich ein neues Geschäftsmodell sein. Die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Position in der Digitalisierung und die Ableitung von geeigneten Massnahmen sind Schritte, die zwar nicht notwendigerweise Revolutionen auslösen, aber notwendig sind, um fit für die Zukunft zu sein.

 

 

Der Autor

Dirk Apel ist seit 30 Jahren als Berater, Macher und Gründer in der Informatik unterschiedlichster Branchen aktiv. Seit 2019 ist er Geschäftsführer der Batix Schweiz AG.