Im Zeitalter der fortschreitenden Digitalisierung, kurzen und agilen Entwicklungszyklen und dem globalen Wettbewerb scheint die entscheidende Frage: Auf welche Technologien sollen Unternehmen rechtzeitig setzen, um Vorteile zu maximieren und Risiken zu minimieren? Während dies zweifellos eine wichtige Frage ist, ist der Mensch als Ausgangspunkt für den künftigen Unternehmenserfolg noch viel entscheidender als die Technologie.
In einer Welt, in welcher der Wandel die einzige Konstante scheint und Unternehmen immer rascher von technologischen Entwicklungen herausgefordert werden, lohnt es sich umso mehr, über die Frage nachzudenken, was der Kern des eigenen Unternehmens darstellt. Vermutlich der Wille zu einem schöpferischen Akt, der in Form eines Produkts die Bedürfnisse anderer Mitmenschen befriedigt und im Gegenzug Geld verdienen und die eigenen Kompetenzen erweitern lässt. Menschen haben ihr ganzes Leben lang immer wieder neue Ziele, welche in einer gewissen Situation bedeutsam sind und die sie mit einer gewissen Hartnäckigkeit verfolgen. In Bezug auf den unternehmerischen Kontext wird sich beispielsweise der Mitarbeiter einer Kundenhotline für die Zufriedenheit der eigenen Kundschaft einsetzen und die Software-Entwicklerin für einen qualitativ hochwertigen Programmcode. Indem man die Verfolgung dieser Ziele zulässt, schafft man im positiven Fall eine Kultur des Stolzes auf die eigene Arbeit und das Potenzial für Innovationen, um künftige Bedürfnisse der Kundschaft noch besser bedienen zu können.
IT-Nutzung ist oft nur eine Sekundäraufgabe
Nun ist es so, dass hochqualifizierte und motivierte Mitarbeitende noch nicht automatisch den Unternehmenserfolg garantieren, indem sie hochqualifiziert und hochmotiviert ihren Zielen nachgehen. Diese Einzelaktionen müssen miteinander synchronisiert und ausgerichtet werden, was Aufgabe der Unternehmensführung ist. Die Unternehmensführung ist ab einer gewissen Grösse rasch auf systematisch erhobene Informationen angewiesen, welche sie in einem ERP und/oder CRM System sammelt. In der Regel ist es aber nicht ein Ziel der Mitarbeitenden, ein ERP oder CRM System mit Informationen zu füttern, sondern Kundenanfragen zufriedenstellend zu behandeln oder qualitativ hochwertige Software zu entwickeln. Die Nutzung eines ERP-Systems oder anderer Software Tools ist oft nur eine Sekundäraufgabe und wird mehr oder weniger als Ballast empfunden, der von der „eigentlichen“ Arbeit abhält. Wenn ein Unternehmen die Nutzung einer neuen Software einführt, muss es deshalb oft kritischen Mitarbeitenden begegnen, gerade weil diese im Sinne des Unternehmenserfolgs wissen wollen, wie die neue Software ihre Zielerreichung beeinflusst.
Usability als Investitionsschutz für Software
Im heutigen Marktumfeld verkörpert kaum ein Unternehmen die Usability so sehr wie Apple seit der Lancierung des ersten iPhones. Usability ist aber nicht einfach nur ein Verkaufsargument, um Smartphones und andere Elektronikartikel dem Massenmarkt schmackhaft zu machen. Gemäss ISO 9241 ist die Usability auf Deutsch übersetzt die Gebrauchstauglichkeit, also die Antwort auf die Frage, wie weit ein System einem bestimmten Menschen in einem bestimmten Umfeld erlaubt, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ein ERP oder CRM System mit einer guten Usability erlaubt es deshalb Unternehmen, ihre Mitarbeitenden bei der Zielerreichung besser zu unterstützen und sowohl bei der Einführung (weniger Widerstände) als auch bei der Nutzung (schlankere Prozesse) Geld zu sparen. Investitionen in die Usability sind deshalb immer ein Investitionsschutz für die Software als Ganzes.
Auf dem Weg zu einer Software mit einer guten oder gar hervorragenden Usability gibt es gemäss ISO 9241 drei Faktoren zu beachten:
- Effektivität
- Effizienz
- Zufriedenstellung
Der erste Punkt der Effektivität beinhaltet die Frage, ob die Software es erlaubt, das Ziel zu erreichen, wozu ein Mensch sie nutzen will. Was zunächst sehr simpel und selbstverständlich klingt, muss in der Realität nicht so selbstverständlich sein. Tests im eigenen Labor haben bei einer Software ergeben, dass Nutzende wegen massiver Usability Probleme einen wichtigen Reporting Prozess nicht abschliessen konnten, obwohl die Software genau diesen Prozess hätte vereinfachen sollen.
Falls die Software die Zielerreichung erlaubt, gibt die Effizienz Auskunft, mit wieviel Aufwand dies für die Menschen verbunden ist. Aus oben genannten Überlegungen ist klar, dass Mitarbeitende ihre Ressourcen für ihre Primäraufgabe einsetzen möchten und nicht für die Bedienung der Software. Der Mitarbeiter der Kundenhotline möchte seine Ressourcen in das Gespräch mit dem Kunden investieren und nicht in die Aktualisierung der Daten im CRM, dies erfolgt im Idealfall automatisch und parallel zum Gespräch mit dem Kunden.
Die Zufriedenheit schliesslich wird massgeblich durch die zwei Faktoren Effektivität und Effizienz beeinflusst. Eine Software, die mit wenigen Klicks die vollständige Erledigung der Arbeitsziele unterstützt, wird automatisch eine höhere Zufriedenheit auslösen als eine Software, bei der sich Mitarbeitende fragen, wie sie überhaupt mit ihrem Arbeitsziel zusammenhängt und warum sie einen so hohen Bearbeitungsaufwand mit sich bringt.
Effektivität und Effizienz als Schlüsselfaktoren
Bei der Einführung einer neuen Software machen Unternehmen einen Change-Prozess durch, insbesondere in jenen Fällen, wo Kernprozesse des Unternehmens tangiert werden. Oft ist ein Unternehmen bei der Einführung eines neuen ERP Systems vor die Frage gestellt, ob es günstiger ist, die neue ERP Software an die bestehenden Geschäftsprozesse anzupassen oder umgekehrt. Basierend auf den vorangegangenen Überlegungen zum Thema Usability lässt sich argumentieren, dass es bei dieser Frage keine richtige oder falsche Vorgehensweise gibt, solange die Mitarbeitenden die neue Arbeitsweise als noch effektiver und effizienter empfinden. Schiffbruch hingegen erleidet, wer bewährte Prozesse blind an das neue ERP System anpasst und Effektivität und Effizienz reduziert. Damit dies nicht passiert, beginnt der Usability-Prozess immer mit einer Analyse der Nutzerinnen und Nutzern, deren Arbeitszielen und deren Arbeitsumgebung. Wenn die IT heutzutage zu Recht als strategisch wichtiger Enabler des Unternehmenserfolgs betitelt wird, dann hat jenes Unternehmen am meisten Erfolg, wo die die eingeführte Software optimal zu den Mitarbeitenden, deren Arbeitszielen und Arbeitsumfeld passt.
Optimierte Usability verschafft Wettbewerbsvorteile
Prof. Dr. Toni Wäfler von der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW geht so weit zu postulieren, dass Technologien keinen Konkurrenzvorteil ausmachen, denn andere Firmen können die genau gleichen Technologien einkaufen und einsetzen. Den eigentlichen Vorteil verschafft sich ein Unternehmen, indem es Technologien besser, geschickter und zielorientierter nutzt als seine Konkurrenz. Dies trifft besonders zu für Unternehmen der berühmten Hochpreisinsel Schweiz. Wer in der Schweiz eine ERP oder CRM Software herstellt, hat damit alleine noch keinen Wettbewerbsvorteil, denn Software kann in anderen Ländern günstiger programmiert werden. Ebenso wenig verschafft der blosse Erwerb einer ERP oder CRM Software einem Schweizer Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil, denn andere Unternehmen können die gleiche Software kaufen. Der entscheidende Vorteil entsteht vielmehr durch die Optimierung der Usability, um mit maximaler Effektivität und Effizienz des eigenen Technologieeinsatzes die Konkurrenz hinter sich zu lassen.
Der wichtigste Gradmesser ist und bleibt der Mensch
Der vorliegende Artikel zum Thema Software Usability soll auf keinen Fall so verstanden werden, dass er die Fortschritte der Technologie zu schmälern versucht. Die Frage, welche Technologie ein Unternehmen einsetzen muss, kann für die künftige Wertschöpfung eines Unternehmens von höchster Bedeutung sein. Die Frage nach dem Technologieeinsatz sollte aber immer erst nach der Frage zu den Arbeitszielen der involvierten Menschen gestellt werden, denn Menschen machen den Unternehmenserfolg aus, indem sie nachgefragte Produkte erstellen und konsumieren. Bei den aktuellen technologischen Entwicklungen ist zu erwarten, dass die ERP und CRM Systeme der Zukunft noch mehr Informationen liefern können als je zuvor, aber egal wie sie aussehen, müssen sie menschliche Ziele mit möglichst wenig Ressourceneinsatz erfüllen. Unabhängig von der Schnelllebigkeit der Technologie ist die Anpassung der Technologie an den Menschen die wettbewerbsentscheidende Konstante. Software mag bis zu einem gewissen Grad die Zukunft des Menschen definieren, aber noch viel mehr muss der Mensch die Zukunft der Software definieren. Wer diesen Grundsatz an den Anfang des eigenen unternehmerischen Technologieeinsatzes stellt, wird sich den entscheidenden Wettbewerbsvorteil sichern.
Autor
Dr. Philipp Baumann studierte Arbeitspsychologie und Medienpsychologie an der Universität Bern und ist eidg. dipl. Informatiker. Forschungstätigkeit an der ETH Zürich und der FHNW (Fachhochschule Nordwestschweiz) im Bereich der Ergonomie und Usability. Philipp Baumann leitet das Usability Labor der FHNW in Olten.