Wo liegt Georgien? Zugegeben, viele hätten Mühe, den Staat auf einer weissen Karte zu lokalisieren. Doch das kleine Land hat kulturell und landschaftlich viel zu bieten. Aber Georgien kann noch mehr: Die Digitalisierung ist in vielen Bereichen weiter fortgeschritten als im Westen. Gerold Schlegel lebt in Georgien und berichtet über die Digitalisierung und das gelungene Zusammenspiel von Moderne und Tradition. Lesen Sie hier den zweiten Teil der Reportage.
Verwaltungsgebäude in Tiflis – im Volksmund "Mushroom" genannt (Bild Gregor Schlegel)
Im ersten Teil (auch erschienen im topsoft Fachmagazin 24-2) haben Sie unter anderem erfahren, wie überraschend digital das als Schwellenland geltende Georgien unterwegs ist. Hier könnte sich die Schweiz in einigen Bereichen ein grosses Stück abschneiden.
Im zweiten Teil der Reportage machen wir weiter, wo der erste Teil aufgehört hat: Wie läuft es, wenn man ein Stück Land in Georgien kaufen möchte? Gleich vorweg – es ist recht einfach und erstaunlich digital.
Grundstückskauf im Handumdrehen
Wer ein Grundstück kauft, kann das im Verwaltungsgebäude "Pilz" erledigen – mit einem einfachen Vertrag, der mit Anwalt und Notar oder selbst erstellt wurde. Der Vertrag muss mindestens in Georgisch vorliegen. Die gebräuchlichsten Sprachen neben Georgisch sind Englisch und Russisch. Das Dokument wird vor Ort 3-fach unterzeichnet und abgestempelt. Der Beamte befragt und überprüft das Einverständnis der Vertragspartner, gleichzeitig werden die Daten angepasst. Alle Parteien (Käufer, Verkäufer, Grundbuch) erhalten eine Version des Vertragswerkes. Der Eintrag ins Grundbuchregister inklusive Grundbuchauszug und der Erstellung der Verträge kostet weniger als CHF 1000 und ist innert Wochenfrist im Netz aufgeschaltet. Bei uns kaum vorstellbar, doch das Grundbuch ist vollständig digitalisiert. Wer den Kaufpreis gleich bar begleicht, hat nach der Beurkundung dafür sogar zwei Banken zur Wahl.
Als weitgereister Mensch habe ich viele Systeme und Länder kennengelernt. Die geringe Bürokratie Georgiens verblüfft mich immer wieder. Als Unternehmen keine Steuererklärung abzuliefern, ist die Norm. Sie beziffern den Umsatz und melden diesen, es gibt keine Belege und komplizierte Dokumente auszufüllen. Klar, bei einer Steuerrevision sollte der Umsatz dann allerdings schon identisch sein mit den Büchern.
Digitalisierungs-Hochburg
Tiflis ist nicht nur Party-Stadt, sondern für digitale Nomaden, PC-Spiel-Profis und Krypto-Begeisterte ebenfalls ein Hotspot. Wer sein Einkommen mit Software-Applikationen oder IT-Dienstleistungen ausserhalb Georgiens mit einer georgischen Firma erbringt und über eine IT-Lizenz verfügt, hat ganz besondere Steuerkonditionen bis hin zum Nulltarif.
Ohne diese Lizenz haben Digitale Nomaden genauso ihre Chancen, die Besteuerung teilweise fast bis auf 0 % ihres Umsatzes zu drücken. Das zieht viele Cracks an, was zu einer speziellen Dichte von Digitalisierungskompetenz führt. Die Treffpunkte dieser Menschen sind hippe Bars und Restaurants wie zum Beispiel die Fabrika. Da gibt es dann keine Menükarte mehr, QR-Code einlesen und schon ist das Angebot auf dem Handy. Das ist überraschenderweise in Georgien zwar noch nicht Standard, aber auch keine Ausnahme mehr.
Gegenüber Kryptowährungen ist Georgien aufgeschlossen und Tiflis ein begehrter Wohnort für Menschen, die damit ihr Geld verdienen. Die Territorialbesteuerung machts möglich. Einkommen das ausserhalb von Georgien erzielt wird, bleibt steuerfrei. Aktuell arbeitet die georgische Zentralbank an einem Gesetzesartikel, um den Krypto-Markt zu regulieren und die potenzielle Gefahr der Geldwäsche zu unterbinden. Wie weit die paradiesischen Zustände für Krypto Fans und digitale Nomaden bleiben, steht in den Sternen. Doch das ist eine weltweite Entwicklung und Georgien dabei keine Ausnahme.
Das Internet und die Telefonie kosten ein Bruchteil im Vergleich zur Hochpreisinsel Schweiz. Der Empfang ist erstaunlich gut, auch in abgelegenen Regionen. E-Mail mit Anhängen verschicken und empfangen, Filme schauen oder Telefonate mit Video funktionieren meistens problemlos und ruckelfrei. Wir bevorzugen den staatlichen Anbieter Magti. Die Abdeckung ist besser, ähnlich wie mit Swisscom in den Alpen oder im Jura.
Günstiges und sicheres Georgien
Dazu kommt, dass Georgien weltweit das beste Preis-/Leistungs-Verhältnis hat, dies bei verschiedenen Aspekten:
- Sicherheit – weltweit eines der sichersten Länder
- Bürokratie – kaum vorhanden, vieles digital
- Wirtschaft – Stückgutverkehr Luft- und Landweg Ost/West
- Steuern – nahe an einer Steueroase (Territorialbesteuerung)
- Kosten – Lebenshaltungskosten sind ausserhalb der Städte tiefer als in Indien oder Asien
- Lebensqualität – Natur, Wein, Klima, Kultur, Lebensmittel
- Wohnraum – Immobilien ohne Hypothek kaufen und umbauen ist realistischer als in Europa
Schweizer Know-how
Der Plantahof ist eine angesehene landwirtschaftliche Schule in Landquart, Graubünden. Sie hat ein Projekt in der Region Dmanisi. Da wird das Wissen moderner Viehzucht und Käseherstellung vermittelt. Die Gebäude für Ausbildung, Unterkunft, Vieh, Heu und Käserei verfügen über die neuesten Technologien, auch digital. Da würde so mancher Schweizer staunen oder das mindestens kaum für möglich halten.
So perfekte natürliche Voraussetzungen für die Viehzucht, die Milchwirtschaft und die Käseherstellung sind auch für georgische Verhältnisse selten. Die Hochebene mit den langgezogenen Hügeln und das wenig besiedelte Gebiet entsprechen eher einer Alp-Weide, einfach ergänzt mit viel Technologie und Expertise aus der Schweiz. Dann, kaum 40 km weiter, wird mit getrocknetem Kuhdung im Winter eingefeuert. Gegensätze und Widersprüche zuhauf.
Zwischen Tradition und Zukunft
Georgien hat den Sprung aus der Vergangenheit direkt ins digitale Zeitalter der Zukunft geschafft. Das wurde dank den leeren Kassen während der früheren russischen Regierung wahr. Mangel macht kreativ.
Auf diese Weise gelangte das Land technologisch vom Telefon auf dem Gang im Mehrfamilienhaus – war in der Schweiz der 60er Jahre noch üblich – direkt ins Internet. Das Ganze wird ergänzt mit der neuesten Technologie der Mobiltelefonie. Eigentlich kein Wunder, denn die Fehler des Westens der letzten 30 Jahre wurden fast alle ausgelassen. Es bestehen keine Sachzwänge aufgrund vorhergehender Technologien und Branchenriesen.
Georgien glänzt mit dem Widerspruch der selbstverständlichen Nutzung digitaler Lösungen und dem Festhalten an Althergebrachtem. Die Weinherstellung macht das Ganze etwas deutlicher, denn sie ist seit über 8000 Jahren dieselbe. Die Georgier ergänzen die Weinherstellung einfach mit westlichen Methoden. Beides hat Platz und seine Stärken. Georgier sind aber digitaler und weltoffener als für viele vorstellbar.
Mehr als zwei Jahre sind Regina Bircher und ich nun in Georgien und schätzen dieses Land und die Menschen. Widersprüche sind ein Grundprinzip, egal was betrachtet wird: Familie, Tradition, Arbeit, Kultur, Geschichte, Natur, Biodiversität etc. Das digitale Angebot erleichtert dabei vieles.
Wir sind deshalb verblüfft, wie unpopulär dieses Land im Westen ist. Die vielen Fakten der menschlichen Entwicklung und die geschichtlichen Ursprünge sind das eine. Das andere die ungewohnt vielen Klimazonen, die atemberaubenden Landschaften, die extreme Gastfreundschaft und die hohe Lebensqualität. Auch die vielfältige Küche Georgiens und der hohe Digitalisierungsgrad würden eigentlich für viel mehr Popularität im Westen sprechen.
Der Autor
Gerold Schlegel lebt heute mehrheitlich in Georgien. Seine Neugier hat den gelernten Koch von der Vorsorge bis in die höchste Liga der Finanzindustrie gebracht. Sein Buch «Neustart für Küche und Geld» liefert Wissen für die Geldanlage sowie für eine schmackhafte Küche. www.meinesache.ch