Ein Plädoyer von Steve Osler, Mitgründer und CEO des heute globalen UCC-Anbieters Wildix, für eine starke, souveräne europäische Digitalwirtschaft.
Symbolbild von Lusign via Pixabay
Europa bringt eigentlich alles mit, um in der weltweiten Tech-Szene eine führende Rolle zu spielen: Kluge Köpfe, eine starke Infrastruktur und gemeinsame Werte. Unsere Hochschulen bilden Spitzen-Ingenieure aus. Forschungseinrichtungen entwickeln bedeutende Innovationen. Und die Politik setzt weltweit Massstäbe, etwa beim Datenschutz und bei digitalen Rechten. Eigentlich. Denn trotz dieser Stärken ist es für Gründer extrem schwer, ihr Tech-Unternehmen in Europa zu vergrössern und zu skalieren. Das liegt nicht daran, dass unsere Ideen schlechter wären als anderswo. Das Problem ist: Unser europäisches System war nie dafür gemacht, Unternehmen im grossen Stil wachsen zu lassen.
Ich spreche hier nicht als stummer Beobachter von aussen, sondern aus eigener Erfahrung: Ich habe die letzten 20 Jahre damit verbracht, dieses System aktiv mitzugestalten und mich darin zurechtzufinden. Heute nutzen über eine Million Menschen in mehr als 135 Ländern die Lösungen von Wildix – auch in den USA. Trotzdem bleiben unsere Wurzeln in Europa, und hier sehen wir auch unsere Zukunft. Aber selbst nach all dem Wachstum kämpfen wir immer noch mit denselben strukturellen Hürden, die schon zu lange zu viele vielversprechende Start-ups ausbremsen.
Der europäische Binnenmarkt – oft nur auf dem Papier
Die EU wirbt mit dem Versprechen eines einheitlichen Binnenmarktes. Für Verbraucher funktioniert das meist ganz gut. Für Unternehmer sieht die Realität leider anders aus: Sie müssen sich durch ein Dickicht nationaler Regeln, Ausnahmen und Unsicherheiten kämpfen.
Jedes Land hat eigene Steuervorschriften, Arbeitsgesetze, Meldepflichten und Datenschutz-Regeln. Wer zum Beispiel von Italien nach Frankreich oder Deutschland expandiert, macht keinen einfachen nächsten Schritt – sondern beginnt oft gefühlt wieder bei null. Wie absurd es manchmal ist, zeigt folgendes Beispiel: Einmal haben wir zwei widersprüchliche Bescheide von ein und derselben Steuerbehörde erhalten. Einer besagte, wir hätten zu viel Umsatzsteuer gezahlt, der andere, wir hätten zu wenig gezahlt. Als wir nachfragten, lautete die simple Antwort: „Das kommt darauf an, wer es sich anschaut.“ In einem anderen Fall warf uns die italienische Behörde vor, wir hätten zu viel Umsatz ins Ausland verlagert – gleichzeitig forderte die deutsche Behörde eine Korrektur, weil wir angeblich nicht genug verlagert hätten. Beide wollten eine Änderung.
Wir regulieren in Europa, als wären wir ein einheitlicher Verbund – aber wenn es ums Wachstum geht, fühlt sich alles wie ein zersplitterter Kontinent an. Und zeigt ein grundlegendes Problem: Europa wurde für den Handel konstruiert, nicht fürs Skalieren von Unternehmen.
Wenn Interpretationen das Gesetz ersetzen
Was das Ganze noch schwieriger macht: Die meisten Stolpersteine entstehen nicht durch klare gesetzliche Vorgaben, sondern durch ihre Auslegung. Unternehmer haben kein Problem mit festen Regeln – sie haben ein Problem mit Regeln, die niemand eindeutig versteht. Am häufigsten hören wir bei rechtlichen Fragen den Satz: „Es kommt darauf an.“ Und das nicht etwa von Laien, sondern von erfahrenen Beratern.
Diese Unklarheit macht Entscheidungen riskant, bremst den Fortschritt und zwingt Gründer dazu, ihre Zeit und ihr Geld in die Einhaltung vager Vorschriften zu stecken – statt in ihre Kunden. Grosse Unternehmen können sich teure Kanzleien und Berater leisten, um damit umzugehen. Start-ups können das oft nicht. Die Konsequenz: In Europa, wo ein Scheitern schnell als persönliches Versagen und nicht als wertvolle Erfahrung gilt, ziehen sich viele Start-ups lieber zurück, bevor sie wachsen.
Was Europas Stillstand wirklich kostet
Es geht aber längst nicht mehr nur darum, ob Start-ups in Europa reibungslos wachsen können. Es geht um Europas Platz in der globalen Wirtschaft von morgen. Während die USA ihre Plattformen weiter ausbauen und massiv in Künstliche Intelligenz investieren und China seine digitale Infrastruktur stärkt, droht Europa zur reinen politischen Stimme ohne wirtschaftliches Fundament zu werden. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Die jüngsten Spannungen mit den USA – etwa bei Zöllen und Technologiethemen – zeigen, wie riskant unsere digitale Abhängigkeit ist.
Europa darf nicht länger darauf setzen, dass andere Länder die technischen Grundlagen für unsere Wirtschaft liefern. Wir müssen eigene Systeme entwickeln und fördern. Jetzt ist der Moment, in dem wir uns nicht länger an den Rand stellen dürfen. Wir müssen auf Augenhöhe mit den USA und China agieren – und das geht nur, wenn wir Wachstum und Skalierung nicht behindern, sondern möglich machen.
Politik muss in der Praxis ankommen
Es ist der Europäischen Kommission anzuerkennen, dass sie die richtigen Fragen stellt. Der Digital Services Act, der Digital Markets Act und die Vorgaben für die „Digitale Dekade“ zeigen ein klares Verständnis der Herausforderungen. Aber diese Gesetze und Pläne werden nur dann wirklich Wirkung zeigen, wenn sich die täglichen Hürden für grenzüberschreitendes Wachstum verändern.
Das heisst, wir müssen die wichtigsten Steuer- und Arbeitsvorschriften auf EU-Ebene vereinheitlichen. Es muss einfacher werden, von einem EU-Land in ein anderes zu expandieren. Wir müssen unnötige Rechtsformen abschaffen. Und vor allem müssen wir für Klarheit und Rechtssicherheit sorgen. Europa kann sich nicht als souverän sehen, wenn es seine besten Unternehmen dazu zwingt, anderswo zu wachsen, um überhaupt überleben zu können.
Grösse sollte der Standard sein
Europa hat es richtig gemacht, in den Bereichen Ethik, Datenschutz und Fairness eine führende Rolle zu übernehmen. Diese Werte sind keine Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder, sondern klare Marktunterscheidungsmerkmale. Europa gibt beim Thema Datenethik bereits den globalen Ton an – jetzt muss es zeigen, dass es Innovationen auch weltweit voranbringen kann. Doch kein Wertesystem kann Erfolg haben, wenn es keinen praktischen Weg gibt, um zu wachsen.
Wir müssen endlich aufhören, grenzüberschreitendes Wachstum als Ausnahme zu sehen. Es sollte der normale Weg für erfolgreiche Unternehmen sein. Ein Gründer, der einen Kunden in Mailand hat, sollte problemlos auch in Rotterdam, Prag oder Valencia tätig werden können – ohne sein Unternehmen neu strukturieren zu müssen. In Europa stirbt der Ehrgeiz nicht in der Garage – er stirbt an der Grenze. Europa hat die einmalige Chance, schnell zu wachsen – wenn es Expansionen vereinfacht. Das Ergebnis ist leider oft vorhersehbar: Viele Unternehmen bleiben klein, andere verlagern ihre Aktivitäten ins aussereuropäische Ausland, und viele geben einfach auf.
Das Zeitfenster wird immer kleiner
Ich setze weiterhin auf Europa, weil ich an das Potenzial dieses Kontinents glaube. Ich vertraue auf seine Ingenieure, seine Institutionen und seine Werte. Doch Glaube allein reicht nicht aus. Wir müssen der nächsten Unternehmergeneration zeigen, dass sie hier nicht nur starten, sondern auch wachsen kann.
Wenn wir das nicht tun, verlieren wir sie nicht nur an Silicon Valley, sondern auch an die Resignation. Hören wir also auf, Europa als die Zukunft der Innovation zu beschreiben, und fangen wir endlich an, diese Zukunft wirklich zu gestalten. Lassen wir uns ein System schaffen, in dem Wachstum in ganz Europa keine Ausnahme, sondern der natürliche nächste Schritt für jedes Unternehmen wird.
Über Wildix und Steve Osler
Nach seinem Abschluss in Informatik beschäftigte sich Steve Osler zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit mit Softwareentwicklung und der Analyse der Mensch-Maschine-Interaktion. 1998 gründete er sein erstes Unternehmen, Intellicode. Im Jahr 2000 entwickelte er ein neues Kommunikationssystem und wurde anschliessend Projektmanager bei Wildix, das er 2005 gemeinsam mit seinem Bruder Dimitri gegründet hatte. Derzeit ist er CEO von Wildix.
Beide hatten bereits langjährige Erfahrung im Bereich Unified Communications and Collaboration (UC&C). Steve Osler hatte als ehemaliger Systemintegrator aus erster Hand die Frustrationen erlebt, die mit der Navigation in komplexen und fragmentierten Kommunikationssystemen verbunden waren. Diese Perspektive prägte die Mission von Wildix, sichere, skalierbare und innovative Lösungen zu entwickeln, mit denen Unternehmen sicher und effizient arbeiten können.
Als CEO hat Osler Wildix zu einem weltweit führenden Anbieter von nahtlosen UCC-Lösungen weiterentwickelt − mit über 1 Million zahlenden Nutzern in über 135 Ländern, einem robusten Netzwerk von mehr als 700 zertifizierten Partnern und Niederlassungen in 10 Ländern in Europa, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten.
Wildix (Switzerland) AG | 8038 Zürich | www.wildix.com
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