Der Arbeitsmarkt steht vor noch nie dagewesenen Herausforderungen. Statista schätzt, dass es im schlimmsten Fall in Deutschland im Jahr 2030 bei einer Bevölkerung von 85 Millionen nur 38 Millionen Erwerbstätige geben könnte. Dieser prognostizierte Mangel unterstreicht die Dringlichkeit, das volle Potenzial der vorhandenen Arbeitskräfte zu nutzen − durch die Schaffung eines Arbeitsumfelds, das es jeder Person ermöglicht, erfolgreich zu sein, unabhängig vom Geschlecht.
Symbolbild Ideogram
Allein in Deutschland gibt es 42,9 Millionen Frauen, und ihre stärkere Einbeziehung in die Arbeitswelt könnte Innovationen fördern, Qualifikationslücken schliessen und die Vielfalt in allen Branchen stärken. Die hohe Nachfrage nach Remote Work (47 %) zeigt, dass es Frauen immer noch an Unterstützung und Flexibilität mangelt, die sie bräuchten, um ihre beste Arbeit zu leisten. Noch zu vieles steht ihrem beruflichen Fortkommen im Weg. Da schon heute 209'000 Fachkräften in MINT-Berufen fehlen, ist es höchste Zeit, Branchen wie die Technologie- und Baubranche für Frauen zugänglicher und attraktiver zu machen.
Um dies zu erreichen, bedarf es zukunftsweisender Initiativen, einschliesslich flexibler Arbeitsmodelle, die die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben unterstützen, sowie bewusster Anstrengungen zur Schaffung eines inspirierenden, integrativeren Umfelds. Neben strukturellen Veränderungen müssen wir auch den Mangel an sichtbaren Vorbildern beheben, die Frauen anleiten und motivieren, eine erfolgreiche Karriere in diesen Bereichen aufzubauen.
Diese Notwendigkeit deckt sich perfekt mit dem Thema des diesjährigen Weltfrauentages: „Accelerate Action“. in diesem Gastbeitrag möchte ich daher meine Erfahrungen und Tipps für eine Karriere in der Tech- und Baubranche teilen und aufzeigen, warum mehr Frauen diesen Schritt wagen sollten, und was Unternehmen tun können, um dies zu unterstützen.
Das Vermächtnis der Frauen in der MINT-Forschung würdigen
Frauen haben seit jeher zu technologischen und ingenieurwissenschaftlichen Fortschritten beigetragen, doch ihre Leistungen sind in der Geschichtsschreibung oft unterrepräsentiert. So spielte beispielsweise Emily Warren Roebling eine entscheidende Rolle beim Bau der Brooklyn Bridge, während Dorothy Donaldson Buchanan 1927 als erste Frau in die Institution of Civil Engineers aufgenommen wurde.
Diese Beispiele zeigen, dass Frauen schon immer das Potenzial hatten, in MINT-Fächern und -Berufen hervorragende Leistungen zu erbringen. Deshalb ist es heute umso wichtiger, moderne Vorreiterinnen zu würdigen und jungen Frauen Vorbilder zu bieten, die sie dazu inspirieren, mutig den Schritt zu unternehmen, eine technische Laufbahn zu ergreifen.
Potenziale von Frauen in MINT-Fächern durch digitale Transformation erschliessen
Eine Karriere in den MINT-Berufen kann heute viele Formen annehmen und mit der Einführung neuer digitaler Technologien wie KI werden die Karrierewege noch vielfältiger. Um in diesen Bereichen erfolgreich zu sein, ist oft eine Mischung aus Problemlösungsfähigkeiten, Anpassungsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit erforderlich − Bereiche, in denen Frauen in der Regel stark sind. Sie bringen oft aussergewöhnliches Einfühlungsvermögen mit, auch dadurch, dass sie non-verbal meist besser kommunizieren als ihre männlichen Kollegen.
Zudem beweisen Frauen oft eine hohe Kooperationsfähigkeit, die bei der Leitung komplexer Projekte mit vielen Interessensgruppen von unschätzbarem Wert ist. In meiner eigenen Funktion setze ich diese Fähigkeiten immer wieder ein, um die Kluft zwischen technischen Lösungen und geschäftlichen Anforderungen zu überbrücken. Von der Produktentwicklung bis hin zum Vertrieb ist eine effektive Kommunikation für die Förderung von Innovation und strategischer Entwicklung unerlässlich.
Der digitale Wandel schafft neue Möglichkeiten für Frauen, eine Führungsrolle zu übernehmen, insbesondere in traditionell von Männern dominierten Bereichen. So haben beispielsweise Tools wie Building Information Modelling (BIM) die Bauplanung revolutioniert und Raum für innovative, technologiegestützte Ansätze geschaffen. Es bleibt noch viel zu tun – aber obwohl der Frauenanteil im Baugewerbe aktuell nur bei 14 % liegt, öffnen Fortschritte wie diese die Türen für eine stärkere Einbeziehung.
Der Aufschwung der künstlichen Intelligenz könnte ein Meilenstein für Frauen in MINT-Berufen markieren. Laut dem Skillsoft Women in Tech Report ist KI der wichtigste Bereich, in dem sich Frauen weiterbilden wollen. Das spiegelt ihr Bestreben wider, in dieser transformativen Ära an der Spitze mitspielen zu wollen. Allerdings geben 63 % der Frauen an, dass sie keine ausreichende Unterstützung am Arbeitsplatz erhalten, um ihre Fähigkeiten in diesem Bereich schnell auf- und auszubauen. Das unterstreicht die Notwendigkeit für Unternehmen, in gezielte Programme zu investieren. Indem sie Frauen befähigen, digitales Fachwissen aufzubauen, können Unternehmen mehr Innovation und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz erreichen.
Ein Aufruf zur Investition in die nächste Generation
Der demografische Wandel unterstreicht, wie wichtig es ist, die jüngere Generation für die MINT-Fächer zu begeistern. Angesichts der Tatsache, dass mit dem Ausscheiden der Babyboomer aus dem Berufsleben bis 2036 eine Lücke von 12,9 Millionen Fachkräften entstehen wird, muss sich der Arbeitsmarkt schnell anpassen.
Erfreulicherweise waren 35 % der MINT-Studierenden 2022 Frauen, was auf ein wachsendes Interesse der Frauen an solchen Bereichen hindeutet. Um diese Dynamik zu nutzen, müssen Unternehmen jedoch weiterhin ein Umfeld fördern, in dem sich Frauen und Männer gleichermassen in MINT-Funktionen wohlfühlen. Durch eine integrative Politik, Mentoring-Möglichkeiten und klare Karrierewege können Unternehmen dazu beitragen, die Geschlechterkluft zu schliessen und gleichzeitig ihren Nachwuchskräftebedarf zu decken. Darüber hinaus sollten wir damit beginnen, MINT in den Schulen zu fördern, da dies eine grossartige Möglichkeit ist, junge Mädchen über die möglichen Berufswege aufzuklären und sie dafür zu begeistern.
Flexibilität und Gemeinschaft: Schlüssel zum Erfolg
Heutzutage ist der Arbeitsplatz zunehmend digital, und mehr als 50 % der deutschen Unternehmen bieten bereits eine Form der flexiblen Arbeit an. Damit schaffen sie mehr Raum und Möglichkeiten für Frauen, ihre Karriere und ihr Privatleben besser zu vereinbaren. Wie wichtig Frauen die Möglichkeit von flexibler Arbeit und Homeoffice ist, zeigt auch eine Studie von Xing, der zufolge 47 % der befragten Frauen einen Arbeitgeber ohne entsprechende Option gar nicht erst wählen würden. In diesem Zusammenhang ist flexible Arbeit nicht nur ein Vorteil, sondern ein entscheidender Faktor, der es mehr Frauen ermöglicht, in das Berufsleben (wieder)einzusteigen und die unterschiedlichen Branchen mit ihren vielfältigen Perspektiven zu bereichern.
Um das volle Potenzial dieses Wandels auszuschöpfen, ist die Kombination von flexibler Arbeit mit KI-gestützten Tools der Schlüssel. KI kann Routineaufgaben automatisieren und mit den jüngsten Fortschritten personalisierte Lösungen liefern, die die Produktivität verbessern. KI-gesteuerte Tools wie die universelle Suche vereinfachen beispielsweise den Zugang zu Informationen, wodurch Zeit für sinnvollere Aufgaben frei und eine noch grössere Flexibilität ermöglicht wird.
Darüber hinaus war Gemeinschaft noch nie so wichtig wie heute und Gruppen wie Women in Tech, Women in Product, Women in Engineering oder Women in Construction spielen weiterhin eine wichtige Rolle. Diese Netzwerke bieten Frauen Unterstützung, Mentoring und die Möglichkeit, mit anderen MINT-Fachkräften in Kontakt zu treten und Erfahrungen auszutauschen. Auf diese Weise finden Frauen Gemeinschaft und Inspiration, was ihnen hilft, einen erfolgreichen Weg in traditionell von Männern dominierten Branchen zu beschreiten.
Zu Vorbildern für die Zukunft werden
Repräsentation ist wichtig. Dennoch gibt es immer noch sehr wenige Frauen in Führungspositionen – vor allem in der IT-Branche, wo der Frauenanteil insgesamt nur etwa bei 30 % liegt. Deshalb wird es für Frauen in Führungspositionen immer wichtiger, junge Frauen zu inspirieren, in ihre Fussstapfen zu treten und überholte Stereotypen zu hinterfragen und zu überwinden. Sei es durch Vorträge auf Karriere-Veranstaltungen oder durch Mentoring von Nachwuchstalenten …. Weibliche Führungskräfte können aktiv dazu beitragen, dass sich eine MINT-Karriere für andere greifbar und realisierbar anfühlt.
Beim Aufbau einer vielfältigen Belegschaft sollte es nicht um die Erfüllung von Quoten gehen, sondern darum, das gesamte Potenzial der Gesellschaft zu erschliessen. Mit der richtigen Politik, Ausbildung und Unterstützung wird die Zahl der Frauen in MINT-Berufen weiter steigen und dies wird eine Zukunft schaffen, in der die Geschlechtervielfalt Innovation, Exzellenz und letztendlich einen wirtschaftlichen Aufschwung fördert.
Die Autorin
Shirin Arnolds Leidenschaft für Technik wurde schon früh geweckt, als sie mit ihrem Vater, einem Ingenieur, Baustellen besuchte. Nach ihrem Abschluss in Bauingenieurwesen an der Stanford University hat sie eine erfolgreiche Karriere an der Schnittstelle von Bauwesen und Technologie aufgebaut. Als Industry Solutions Lead für das Bauwesen bei Dropbox steht Shirin an der Spitze der digitalen Transformation in diesem Sektor und ebnet den Weg für andere, ihr zu folgen.