Der Webshop ist über die Jahre organisch gewachsen. Das sieht man ihm auch an – die Bedienung harzt zuweilen und auf mobilen Geräten ist er nicht zu gebrauchen. Soll man jetzt ein grosses Usability-Projekt starten und dem Shop in einem Rutsch für alle Oberflächen optimieren? Oft kann es gescheiter sein, stufenweise vorzugehen.
In den letzten zehn Jahren ist der Webshop enorm gewachsen. Kein Wunder, er wurde ja ständig gepflegt, ausgebaut und geschickt vermarktet. Das Geschäft brummt und man ist unterdessen Marktführer in einigen Segmenten. Doch das einst moderne Konzept hat sich überlebt. Die Benutzeroberfläche gleicht inzwischen einem Flickenteppich. Immer wieder mussten neue Inhalte und Funktionen rasch irgendwo untergebracht werden, wo sie eigentlich nicht hingehören. Vor allem aber fehlt eine mobile Version. Deshalb altert Stammkundschaft auch langsam vor sich hin und jüngere kommen kaum hinzu.
Zwar hat sich das noch nicht auf die Umsätze ausgewirkt. Aber den Entwicklern wird schon mulmig, wenn sie sich fragen, wie sie den geplanten B2B-Shop noch unterbringen sollen. Zu allem Übel sind junge, wilde Konkurrenten aufgetaucht, teilweise aus dem benachbarten Ausland. Die arbeiten «Mobile first» und beginnen gerade, den Markt mit Apps und tiefen Preisen aufzumischen. Sie haben weder vom Sortiment noch vom Service her ähnlich viel zu bieten. Aber ihr Shop ist deutlich leichter zu bedienen und sieht erst noch schicker aus.
Renovieren oder neu bauen?
Was soll man tun in so einer Situation? Soll ein grosses Usability-Projekt lanciert werden, mit dem der Shop in einem Rutsch für den Desktop und die mobilen Viewports ergonomisch auf Vordermann gebracht wird? Oder geht man stufenweise vor, baut zuerst eine mobile Version und kümmert sich erst danach um den Desktop?
Für den ersten Ansatz spricht, dass der Shop in einem Rutsch auf den Stand der Technik gebracht und neu strukturiert werden kann. Navigation und Prozesse liessen sich sauber und ohne grosse Sachzwänge nach neusten Erkenntnissen gestalten. Auch die Mobiltauglichkeit wäre einfacher und konsequenter umzusetzen. Im Zuge einer solchen Gesamtsanierung liessen sich endlich auch Partnershops sauber einbinden. Anfragen dafür liegen ja schon längere Zeit unerledigt auf dem Tisch.
Für den zweiten Ansatz spricht, dass die meisten Kunden mit dem Vorhandenen ja einigermassen zufrieden sind. Sie finden, was sie suchen. Sie kennen die Ecken und Kanten im Bestellprozess und sie wissen sie zu umschiffen. Unter ihnen gibt es viele digitale Immigranten, denen die Mobiltauglichkeit nicht so wichtig ist. Sie würden es aber gar nicht schätzen, wenn sie sich in ein komplett neues Bedienkonzept hineindenken müssten, und sei es auch noch so logisch und ausgefeilt. Was noch wichtiger ist: Mit diesem stufenweisen Vorgehen können die mobilen Kunden rascher zufriedengestellt werden, und das wäre im momentanen Marktumfeld wichtig.
Die Entwickler sind für die Gesamtrenovation. Neben technischen Vorteilen erhoffen sie sich davon auch eine konsistentere Lösung über alle Gerätegattungen. Der Verkauf ist für die Teilrenovation. Einerseits will er seine Stammkunden nicht mit einem komplett neuen Shop erschrecken, andererseits weiss er, dass mit dem alten kaum mehr neue Kunden zu gewinnen sind. Der Marketingabteilung gefällt die Teilrenovation nicht, weil sie zumindest eine Zeitlang am CI rüttelt. Der Kundendienst wünscht sich vor allem rasch eine bessere Desktopversion. Er verbringt einfach zu viel Zeit damit, den Nutzern zu erklären, wie dies und das geht und warum es momentan technisch nicht anders zu lösen ist.
Sowohl als auch!
Die Geschäftsleitung wägt ab und entscheidet sich am Ende für die Teilrenovation. Der alte Shop soll mit punktuellen Verbesserungen weiterlaufen. Gleichzeitig entwickelt ein Team eine moderne mobile Lösung, die gleichzeitig auf die neuen B2B-Kunden ausgerichtet ist. Sie enthält zu Anfang nur das Nötigste, ihre GUI ist aber auf die Integration weiterer Inhalte und Funktionen vorbereitet.
So entsteht in kurzer Zeit ein geschmeidig laufender mobiler Shop. Die Erfahrungen daraus können in der zweiten Phase für die Überarbeitung der Desktopversion einfliessen. Das Geschäft brummt weiter, alle sind glücklich und zufrieden - bis zur nächsten Neulancierung.
Der Autor:
Dr. Christopher H. Müller
ist CEO und Inhaber von Die Ergonomen Usability AG