Wenn in der Produktion der Terminjäger auf Hochtouren läuft, sind die Ursachen oft in der Planung und den Planungsdaten zu finden. Wie die IT hier helfen kann und welche Daten dazu vorhanden sein müssen, wird in diesem Text kurz beleuchtet.
In der GL-Sitzung geht es wie bald jede Woche hoch zu und her. Der Produktionsleiter, Herr Remra Pyt, steht wie bald üblich unter Dauerbeschuss. Fast 80 % der Lieferfristen wurden nicht eingehalten! Das gibt dem Verkaufsleiter und auch dem CEO genügend Munition und gleich auch die Legitimation, um eine weitere Runde mit Lösungsansätzen einzuläuten. Herr Pyt kennt das. Alle paar Monate kommen neue Ratschläge an seine Adresse. Keine Frage, diese sind jeweils zwingend umzusetzen. Das letzte Schlagwort war «Inselproduktion». Das hat leider einige der besten Mitarbeiter zum Stellenwechsel bewogen. Nicht ganz unerwartet zielt das neue Schlagwort nun auf Pyts Schwachstelle, seine tief verwurzelte Abneigung gegen Informatik. Ein Leitstand, möglichst mit KI-Planungsmöglichkeiten soll die Misere in der Produktion beheben. So will das der CEO.
Die gute Nachricht an Herr Pyt: Die IT kann tatsächlich vieles bewirken, es gibt ganz tolle Tools für die Produktion, auch wenn diese in der Regel so ausgelegt sind, dass sie die natürliche Intelligenz der Mitarbeitenden unterstützen und KI darin für ein KMU noch keine Rolle spielt. Die schlechte Nachricht: Je nach dem was man macht, wird der Aufwand sehr gross. Nicht nur die Initialisierungsphase mit Projektkosten, Lizenzen etc. spielt eine Rolle, sondern auch der spätere tägliche Betrieb. Die Feinplanung erfordert eine Datenqualität, welche laufend von allen Beteiligten hochgehalten werden muss. Diese Aufgabe darf als eine der Haupt-Herausforderungen für die Feinplanung gesehen werden.
Unterschiedliche Ansätze je nach Produktionsbetrieb
Die Informationstechnologie kann für die industrielle Erzeugung von Gütern umfassende Unterstützung bieten. Die Anforderungen unterscheiden sich beträchtlich je nach Art der Produkte und der Produktionsverfahren. Kundenanonyme Lagerfertigung (make to stock, MTS), Produktion auf Kundenauftrag (make to order, MTO) oder die Herstellung kundenspezifischer Produkte (engineer to order, ETO) weisen sehr unterschiedliche Ausprägungen auf und profitieren dementsprechend von unterschiedlichen Softwarefunktionalitäten.
Während dem bei grossvolumiger Lagerproduktion Themen wie Auslastung von Engpassressourcen oder Reduktion von Ware in Arbeit im Vordergrund stehen können, sind es bei ETO vielleicht die übersichtliche und schnelle Vor- und Nachkalkulation auf das Kundenprojekt und der bidirektionale Datenverkehr mit dem CAD. Jedenfalls ist für die Softwareauswahl ein tiefes Verständnis der Produktionslogistik notwendig um die Anforderungen an die Software zu definieren und einen grossen Nutzen aus der IT-Unterstützung ziehen zu können.
Um eine grobe Auswahl von Softwaresystemen und ein Fachgespräch mit Anbietern zu ermöglichen, ist eine griffige Charakterisierung des Unternehmens notwendig. Als hilfreich hat sich dabei eine Zuordnung zu folgenden Merkmalen erwiesen:
- Produkt und Produktstruktur
- Produktionskonzept
- Auftragsart
Softwaresysteme weisen unterschiedliche Funktionalitäten und Stärken auf, die oft auf einzelne spezifische Ausprägungen dieser Merkmale optimiert wurden. Die speziellen Anforderungen der Produktion müssen frühzeitig erkannt und beschrieben werden, damit man sie für die Wahl der Software nutzen kann.
[Grafik «Die grundlegenden Objektklassen der Planung und Steuerung nach Paul Schönsleben, Integrales Logistikmanagement]
Tipp zum Vorgehen
Neben all den üblichen Schritten und Massnahmen in IT-Projekten sind für das Projekt «Leitstand» folgende zwei Aspekte wichtig und bereiten oft Schwierigkeiten:
- Logistische Ziele festlegen. Zwar ist es hinreichend bekannt, dass es in der Logistik Zielkonflikte gibt. Möchte man die kürzeste Lieferzeit haben? Tiefste Kosten? Beste Zuverlässigkeit? Hier braucht es eine eindeutige und konstant bleibende Reihenfolge. Die Priorisierung muss dabei für jedes strategische Geschäftsfeld individuell erfolgen. Je nach Produkt und Markt können andere Aspekte die höchste Priorität einnehmen. Die Geschäftsleitung ist gefordert, Farbe zu bekennen und über lange Zeit zu der gewählten Strategie zu stehen. Das ist richtig schwierig, aber oft ein Merkmal erfolgreicher Unternehmen.
- Planung definieren. Was bedeutet Planung eigentlich? Die häufigste Antwort wird sein, dass bei der Planung Aktivitäten auf der Zeitachse hintereinander gereiht werden. Das ist aber nur der aktivistische Teil der Planung. Wichtig ist, dass man Aufträge und Ressourcen erfasst und zur Übereinstimmung bringt. Stimmen diese nicht überein mit den gewählten Aktivitäten, so muss man entweder auf der Seite der Ressourcen korrigieren, oder auf der Seite der Aufträge. Konkret: Wenn ein Loch (Auftrag) gebohrt (Aktivität) werden soll und die Bohrmaschine (Ressource) streikt, so geht man intuitiv daran, auf der Ressourcenseite zu korrigieren. Die Maschine reparieren, outsourcen, neu beschaffen, was auch immer. Man könnte auch den Auftrag ablehnen, dann stimmt die Balance von Aufträgen und Ressourcen auch wieder. Richtig schwierig ist es nun, diese Balance nicht nur heute herzustellen, sondern vorausschauend für verschiedenen Fristen in die Zukunft. Welche Produkte werden in einem Jahr verlangt? Welche Fabriken, Mitarbeiter, etc. habe ich dann zur Verfügung? Manche Ressourcen können kurzfristig mobilisiert werden, aber beispielsweise die Ausbildung von Mitarbeitenden braucht viel Zeit.
Die Planung braucht Daten
Aus diesen beiden Aspekten können wesentliche Ausprägungen für die Logistik und für die Planungstools abgeleitet werden. Hat man sich beispielsweise dazu entschieden, möglichst kostengünstig zu produzieren, so sind jeweils kurzfristig die Ressourcen maximal auszulasten. Je nach Fertigungsschritten, Losgrössen, etc. ist es gar nicht trivial, die Auslastung zu maximieren. Da hilft ein Leitstand ungemein, denn der kann nicht nur die Situation visualisieren, sondern auch nach wählbaren Zielgrössen aktiv optimieren.
In anderen Fällen steht aber die elektronische Feinplanung nicht im Vordergrund, weil diese Aufgabe beispielsweise mit organisatorischen Massnahmen genügend gut funktioniert und der Bedarf vielleicht eher auf der mittelfristigen Planung liegt. In beiden Fällen liegt die Schwierigkeit bei den Daten. Für die Kurzfristplanung braucht es auf unterster Detaillierungsstufe enorm genaue Detail-Daten. Beispiele liessen sich viele anführen, hier zwei davon als Hinweis, was gemeint ist:
- Ist die Dauer der Operationen ungenau, so funktioniert auch die Planung nicht richtig.
- Bei kleinen Losen und kurzen Operationen nehmen die Umrüstzeiten überproportional zu. Hier müssen auch die Umrüstzeiten zwischen allen Operationen (Matrix) hinreichend genau stimmen.
Auf der Ressourcenseite müssen nicht nur die Daten zu den Maschinen, Werkzeugen etc. vorhanden sein, sondern auch diejenigen über die Mitarbeiter. Sofern die Mitarbeiter nicht polyvalent einsetzbar sind, braucht es eine Skills-Datenbank und die genaue zeitliche Verfügbarkeit aus der persönlichen Agenda. Ohne dass diese Daten vorliegen, müssen bei der Automatisierung und Präzision der Planung Abstriche gemacht werden. Unter Umständen so weit, dass geradeso gut oder besser ein einfacheres Tool gewählt wird, welches die Kapazitäten nicht berücksichtigen kann, d.h. in die unendlichen Kapazitäten plant. Übrig bleibt ein GANTT-Chart zur Visualisierung und Unterstützung der manuellen Planung.
Genügend gute Daten für die Feinplanung zu erhalten ist schwierig, da diese nicht nur in der Produktionsabteilung gepflegt werden, sondern auch von der Konstruktion zur Verfügung gestellt werden müssen, teilweise auch vom Verkauf. Und dies nicht nur als einmaliger Effort, sondern kontinuierlich. Das bedingt einiges an Überzeugungsarbeit und Durchhaltevermögen. Ähnlich sieht es aus bei Mittel- und Langfristplanung. Ressourcenseitig sind längerfristige Personalpläne, strategische Kurswechsel etc. einzubeziehen, die eventuell auch intern noch sehr intransparent gehandhabt werden.
Auf der Nachfrageseite geben die zu verkaufenden Produkte, Typenplanung, etc. Inputs, aber auch längerfristige Änderungen der strategischen Geschäftsfelder: Neue Märkte, Vertriebskanäle, Business-Ideen. Um längerfristig die Balance zwischen Nachfrage und Ressourcen zu finden, genügt die lapidare Feststellung, dass ja genügen Maschinen und Mitarbeitende vorhanden sind, bei weitem nicht. Vielleicht werden diese auf Grund der längerfristigen Änderungen einfach nicht mehr optimal zu den zu erwartenden Aufträgen passen. Dies wird zukünftig für eine grosse Hektik in der Produktion sorgen und zu Engpässen führen, die mit Terminjäger nicht zu lösen sind und kurzfristig kaum mehr zu beheben sind.
Das Projekt Leitstand konkretisieren
Wichtig also: Daten, Daten, Daten. Ohne diese nützt ein Leitstand nicht viel, aber auch eine längerfristige Planung funktioniert nicht ohne. In welche Granularität diese Daten vorliegen sollten, erfährt man sehr gut in Gesprächen mit IT-Anbietern, die sich mit Software für die Produktion einen Namen gemacht haben. An der topsoft Fachmesse sind diese zu finden, z.B. abas, Asseco, Infor, proALPHA, PSI und diverse weitere. Passende Stichworte dazu sind auch MES, IoT, BDE, PPS.
Herr Pyt wird sich nun also Gedanken machen, welche Daten für die verschiedenen Planungsfristen vorhanden sein müssten und versucht, die Geschäftsleitung für deren Beschaffung zu sensibilisieren. Den Termin vom 28. und 29. August in der Umweltarena hat er sich in der Agenda rot markiert und wird dort mit den verschiedenen Anbietern die Vorteile und Grenzen eines Leitstandes (mit KI?) besprechen. Im operativen Betrieb aber wird Remra Pyt noch ein «armer Typ» bleiben, solange Ressourcen und Aufträge nicht zusammenpassen.
Der Autor
Dr. Marcel Siegenthaler (†) war Partner der schmid+ siegenthaler consulting gmbh und unterstützte Unternehmen bei der Evaluation und Einführung von Business Software.