Produkt verkaufen oder Kundenproblem lösen?

24.11.2025
3 Min.

Individual-Softwarefirmen lösen Kundenprobleme, Standard-Softwarefirmen verkaufen ihr Produkt. Zwei verschiedene Vorgehensweisen, die sich eisern im Mindset eines Softwarunternehmens verankern. Mit dem Ergebnis, dass von der einen Seite kaum mehr auf die andere gewechselt werden kann. Doch die Vorgehensweisen sind nicht so verschieden, wie es den Anschein macht.

 

Kolumne von Urs Prantl

 

Arbeite ich mit dem Führungsteam eines Standard Business-Softwareherstellers, so dreht sich alles darum, wie wir unser Produkt an den Kunden bringen können. Insbesondere an die Adresse der Verkäufer fallen Apelle wie, «ihr dürft nur verkaufen, was wir haben und nicht den Kunden Features versprechen, die wir (noch) nicht haben». Allergisch reagieren die Unternehmen dann, wenn Kunden sogar die «Frechheit» besitzen, nur für sie relevante Funktionen zu fordern und damit drohen, den Standard zu sprengen.
 
Andererseits höre ich bei Individual-Softwareherstellern regelmässig, «wir bauen exakt, was unsere Kunden wollen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.» Das geht dann meist so weit, dass auch prozesstechnisch Unsinniges programmiert wird – nur weil der Kunde es schon immer so gemacht hat. Hardcore Individual-Softwareentwickler hinterfragen Kundenwünsche selten. Es gehört zu ihrem Selbstverständnis, dass sie jedes Kundenproblem mit Hilfe ihrer Softwarekünste lösen wollen.
 
Der Vollständigkeit halber will ich noch eine dritte Gruppe erwähnen. Es sind die «Unentschiedenen», die eine als Standard gedachte Business-Software dermassen verbasteln, dass daraus ein Individualprodukt entsteht, welches kaum noch gewartet, geschweige denn einem Update unterzogen werden kann. Branchenerfahrene Leser denken nun sicher alle an das gleiche, namhafte ERP.
 
Was auf den ersten Blick als unvereinbares Entweder-Oder aussieht, ist aber dasselbe. Immer geht es darum, real existierende Kundenprozesse in Software zu giessen. Für die «Individualisten» ist das völlig klar, ihr Geschäftsmodell baut direkt darauf auf. Doch auch für Standard-Softwarehersteller sollten die Kundenbedürfnisse das Mass aller Dinge sein. Bloss mit dem Unterschied, dass sie sich die Gedanken dazu VOR dem Bau ihres Produktes machen müssen.
 
Was können – und sollten – die Beiden nun voneinander lernen?
 
Die «Produkties» täten gut daran, die Zielgruppen für ihre Software enger einzugrenzen und sich mit deren Business so tief auseinanderzusetzen, dass eine zu den Bedürfnissen perfekt passende Lösung entsteht. Das tun zwar viele, aber längstens nicht alle. Die noch grössere Herausforderung besteht für sie nach dem Go-to-Market: Sicherzustellen, dass die Software nicht beginnt, ein Eigenleben zu entwickeln – indem sie sich immer mehr von den Kunden weg hin zu den Ideen der Softwareleute bewegt.
 
Während die «Individualisten» lernen sollten, nicht jeden Kundenfurz ungeprüft in Software umzusetzen. Auch sie sollten sich für das Kundenbusiness so weit interessieren, dass sie als Softwarespezialisten erkennen, was Sinn macht. Diese Meinung müssen sie gegenüber ihren Kunden auch mit dem nötigen Selbstbewusstsein vertreten. Nur dann werden sie als Lösungspartner und als «Trusted Advisor» wahrgenommen und auch geschätzt.
 
Was müssen nun aber die «Unentschiedenen» lernen? Sie sollten sich für die eine, oder andere Seite entscheiden.
 
 
 
Urs Prantl kreiert mit seinem Unternehmen KMU Mentor GmbH zukunftssichere und gesund wachsende IT-Unternehmen und begleitet ihre Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Unternehmensnachfolge und beim Firmenverkauf. Gleichzeitig ist er Host des Podcasts Prantls 5A, in welchem er die Einzigartigkeit erfolgreicher IT-Unternehmen direkt mit ihren Inhaberinnen und Inhabern diskutiert.

 

 

Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 25-3

 

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