Die Open Source Studie Schweiz 2018 zeigt auf, dass die Nutzung von Open Source hierzulande gegenüber 2015 durchschnittlich um 7.2 Prozentpunkten zugenommen hat – fast doppelt so viel wie in der Vorperiode. Bloss im Bereich ERP fristen Open Source Lösungen noch ein Mauerblümchendasein, obwohl dort die Nachfrage besonders hoch ist. Der Artikel fasst die Ergebnisse der Studie zusammen, die auf www.oss-studie.ch veröffentlicht ist.
Der Kauf von GitHub durch Microsoft für 7.5 Milliarden Dollar zeigt eindrücklich, wie wertvoll Open Source Communities für grosse Software-Konzerne sind. Gleichzeitig meint es der amerikanische Konzern tatsächlich ernst, wenn er nun ausserdem 60‘000 seiner Linux-relevanten Patente an das Open Invention Network einbringt und so künftig auf Patentklagen gegen Open Source Software verzichtet.
Auch Swisscom-CEO Urs Schaeppi unterstreicht im Vorwort der Open Source Studie Schweiz 2018 die wichtige Rolle von Open Source Software für die heutigen ICT-Branche: „In der Entwicklung haben wir die Faustregel: 80 Prozent Open Source plus 20 Prozent Eigenentwicklung für innovative, einfach nutzbare und differenzierende Produkte.“
Die Frage nach der Relevanz von Open Source Software stand auch am Anfang der Umfrage, die dieses Jahr durch die Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit im Auftrag von swissICT und CH Open an die Mitglieder von swissICT und an Behörden verschickt wurde. Das Resultat bestätigt Microsoft und Swisscom: Von den 243 Antwortenden gaben insgesamt 59.7 % an, die Bedeutung von Open Source Software habe in den letzten drei Jahren eher oder sogar stark zugenommen. Mit 32.5 % antwortete ein Drittel, dass die Relevanz gleichgeblieben sei, nur gerade 7 % war der Meinung, dass sie abgenommen habe.
Nutzung von Open Source wächst deutlich
Eine Ursache für die hohe Bedeutung von Open Source Software ist die stetig zunehmende Nutzung von Open Source Lösungen. Die Resultate der Open Source Studie 2018 zeigen auf, dass deren Einsatz gegenüber 2015 in praktisch allen Anwendungsgebieten noch einmal deutlich zugenommen hat. Am stärksten fällt das Wachstum bei Open Source Desktop-Anwendungen mit zusätzlichen 27.3 Prozentpunkten von 29.0 % im 2015 auf 56.3 % im 2018 aus.
Die populärsten Open Source Desktop-Anwendungen sind Firefox, 7-Zip und VLC, gefolgt von GIMP, Keepass, Thunderbird und LibreOffice. Der Cloud-Bereich zeichnet dank der rasch steigenden Verbreitung von Docker das zweitgrösste Wachstum aus. Von 33.5 % im 2015 nutzen nun 55.9 % der befragten Unternehmen und Behörden Open Source Cloud-Lösungen was einem Plus von 22.4 Prozentpunkten entspricht.
Open Source für die eigene Cloud-Infrastruktur:
Mit Docker und Nextcloud sind zwei Open Source Blockbuster-Produkte im Aufwind.
Insgesamt sind Software-Entwicklungen mit Open Source Programmiersprachen besonders beliebt: Mit 78.9 % verwenden beinahe vier von fünf der befragten Firmen und Behörden Java & Co. Im Durchschnitt hat die Open Source Nutzung gegenüber 2015 um 7.2 Prozentpunkte zugenommen – fast doppelt so viel gegenüber dem Wachstum von 2012 bis 2015, das damals 3.7 Prozentpunkte betrug.
Einen grossen Sprung nach vorne (plus 17.0 Prozentpunkte) haben Open Source Komponenten und Release Management Tools erzielt, die heute von 62.0% der befragten Organisationen eingesetzt werden. Tatsächlich sind Versionierungs-Tools wie Git heute von vielen internen Software-Entwicklungs Teams zur kollaborativen Zusammenarbeit im Einsatz.
Und moderne JavaScript Frameworks wie Angular auf dem Client oder Node.js auf dem Server geniessen eine steigende Popularität, weil damit eine hohe Effizienz und Qualität in der Software-Entwicklung erreicht werden kann. Wie von Swisscom-CEO Urs Schaeppi exemplarisch beschrieben, nutzen heute viele IT-Firmen für ihre Produktentwicklung einen hohen 80 %-Anteil an Open Source Software als Basis und fügen ‘oben drauf’ noch rund 20 % Eigenentwicklung hinzu.
Bedarf an Open Source Business-Lösungen hoch
Gleichzeitig besteht in gewissen Gebieten noch wesentlicher Bedarf an Open Source Alternativen. Insbesondere wünschen sich die Befragten mehr Open Source Business Software. Konkret gaben mit 24.4 % knapp ein Viertel an, dass sie Interesse an einer Open Source Customer Relationship Management (CRM) Lösung hätten. Somit zeigt der niedrige Einsatzgrad von bloss 11.7 %, dass im CRM-Bereich potenziell eine grosse Nachfrage vorhanden wäre, wenn es denn geeignete Open Source Alternativen gäbe. Zwar wird auf dem umfassenden Software-Informationsportal alternativeTo.net eine Vielzahl von Open Source CRMs wie Vtiger oder CiviCRM angegeben, aber offensichtlich sind diese im Gegensatz zu proprietären Lösungen wie Salesforce oder Microsoft Dynamics erst wenig verbreitet.
Ein ähnliches Bild zeichnet der Bereich Enterprise Resource Planning (ERP) Software. Auch hier besteht mit 21.6 % ein hoher Bedarf an Open Source Alternativen, und auch hier nutzen mit 8 % der befragten Firmen und Behörden erst wenige eine Open Source Lösung. Das ist erstaunlich, denn mit Odoo, Adempiere oder SQL-Ledger stünden eigentlich seit mehreren Jahren ausgereifte Open Source ERP-Lösungen bereit. Und anders als im CRM-Bereich bieten hier auch namhafte Schweizer Open Source Anbieter Dienstleistungen für Open Source ERP-Lösungen an.
Sowohl beim Einsatz (31 %) als auch bei der Nachfrage (23.9 %) stehen Open Source Cloud Storage Lösungen im Trend. Mit Nextcloud und deren ursprünglichem Open Source Projekt OwnCloud sind zwei praktische Alternativen zu Dropbox oder Google Drive verfügbar, die es jedoch erlauben, die Daten auf eigenen Servern zu speichern. Gleichzeitig bieten dank Mobile-Apps und Desktop-Anwendungen für alle Betriebssysteme Nextcloud und OwnCloud den Komfort von proprietären Lösungen – kein Wunder, dass der Open Source Cloud Storage Ansatz gerade im Unternehmens-Kontext immer mehr an Popularität gewinnt.
Gute Gründe für den Einsatz von Open Source
Des weiteren zeigt die Studie: Die positiven Seiten beim Einsatz von Open Source überwiegen deutlich. Die normierte Summe der Gründe für und gegen Open Source zeigt, dass bei 54.1 % der Antwortenden die positiven Eigenschaften von Open Source Software überwiegen. Bei 27.0 % hielten sich Einsatzgründe und Hinderungsgründe die Waage. Bloss 18.9 % gaben schliesslich mehr Hinderungsgründe als Gründe für den Einsatz von Open Source Software an.
Für 54.1 % der befragten Unternehmen und Behörden überwiegen die Gründe für den Einsatz von Open Source Software, bloss für 18.9 % übertreffen die Hinderungsgründe.
Die Analyse der Gründe für die Nutzung von Open Source Software ergab, dass wie bereits 2015 auch dieses Jahr wiederum die Unterstützung von offenen Standards und damit die Interoperabilität von Open Source Lösungen deutlich an der Spitze liegt. An zweiter Stelle empfinden es die Befragten als entscheidend, durch Open Source Software breit abgestützte Software-Lösungen und -Komponenten zur Verfügung zu haben.
Rund 84 % der antwortenden Unternehmen und Behörden sehen in der hohen Verbreitung von Open Source Software einen wichtigen Vorteil. Damit einhergehend zeigt sich, dass den befragten Firmen und Behörden beim Einsatz von Open Source Software die breite Community für den Wissensaustausch wichtig ist. Wie bereits 2015 sind auch in diesem Jahr praktisch unveränderte 84.3 % der befragten Organisationen dieser Meinung.
Als Folge dieser globalen Reichweite von Open Source Lösungen können die Einsatzgründe der erhöhten Sicherheit und Stabilität verstanden werden, die in der aktuellen Umfrage deutlich an Relevanz zugenommen haben. Erst an sechster Stelle folgen die potenziellen Kosteneinsparungen, die offenbar nur einer von vielen Gründen für den Einsatz von Open Source Software darstellen. Des Weiteren geben rund drei Viertel der befragten Behörden und Unternehmen geben an, dass die bessere Kompatibilität zwischen Tools und Komponenten, die grosse Auswahl an Open Source Komponenten sowie die schnellere Innovation für sie wichtige Gründe für den Einsatz von Open Source Software darstellen.
Der wachsende Einsatz von Open Source Lösungen verursacht auch Verschiebungen bei den gegenwärtigen Hinderungsgründen. Die Verwendung von Open Source Lösungen macht den Anwendern offenbar bewusst, dass gewisse Funktionen und Features noch immer fehlen, denn dieses Argument wird als wichtigste Problemstellungen wahrgenommen. Auch Sicherheitslücken werden als relevanter Hinderungsgrund beurteilt – ein weiterer Indikator, dass Open Source Software in geschäftskritischen Bereichen angewendet wird oder werden soll.
Deutlich abgenommen hat die Angst auf Open Source Systeme zu migrieren. Ein Wechsel auf Open Source Alternativen scheint unterdessen Salon-fähig geworden zu sein – nicht weiter erstaunlich, da der angeblich schlechte Ruf von Open Source Software von 71.9 % der Antworten als unwichtig eingestuft wird.
topsoft Veranstaltungshinweis:
OSS Talk: Open Source ERP Odoo
Der CH Open Anlass zeigt wichtige Grundlagen und aktuelle Trends rund um Open Source Software und ERP-Einführungen. Dr. Matthias Stürmer präsentiert dabei auch die Resultate der Open Source Studie 2018. Ausserdem erläutern Odoo-Profis die neusten technologischen Entwicklungen und professionelle Odoo-Anwender berichten von ihren Erfahrungen.
Datum Donnerstag, 29. November 2018 | 13:00 bis 17:00 Uhr
Ort FIFA World Football Museum | Seestrasse 27, 8002 Zürich
Anmeldung bis 20. November 2018 | www.ch-open.ch/oss-erp
Der Autor
Dr. Matthias Stürmer ist Leiter der Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit an der Universität Bern, Vorstandsmitglied vom Open Source Förderverein CH Open und Präsident des Digital Impact Networks.
Die Autorin
Carole Gauch ist Bereichsleiterin Projekte und Beratung an der Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit.