Software wird eine grosse Bedeutung im Kontext der Nachhaltigkeit zugeschrieben. So wird Software als Hilfsmittel zur Reduktion des Papierverbrauchs oder zur Reduktion der Reisen gesehen. In den letzten Jahren wurde der Fokus auch vermehrt auf die Nachhaltigkeit von Software als Produkt gelegt und dessen Entwicklung. In diesem Artikel fassen wir die wichtigsten Kenntnisse zur Nachhaltigkeit von Software für Nachhaltigkeit und nachhaltiger Software zusammen.
Welches sind die fehlenden Puzzleteile für eine nachhaltige Softwareentwicklung? (Bildquelle Adobe Stock)
Die Perspektive der nachhaltigen Digitalisierung bezieht sich auf die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Digitalisierung.(1) Es geht also um die Frage: Wie können wir Informations- und Kommunikationstechnologien nutzen, um die soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit zu steigern?
Software für die Nachhaltigkeit und nachhaltige Software
Unzählige Start-ups entwickeln Lösungen für eine nachhaltigere Welt. Nehmen wir als Beispiel
TooGoodToGo. Auf der App publizieren täglich viele Take-Aways und konventionelle Restaurants ihre Menüs, die man vergünstigt abholen kann. So wird Food Waste verhindert. Dank der Digitalisierung aller Prozesse rund um diesen Dienst wird das Geschäftsmodell von TooGoodToGo überhaupt erst realistisch.
Aber auch Unternehmen aus dem Industriezeitalter gewinnen an Nachhaltigkeit – dank Digitalisierung! Zum Beispiel spart die SBB dank der «grünen Welle» Strom im Bereich von 90 Gigawatt. Lokführerinnen und Lokführer erhalten in Realzeit Informationen über ihre Strecke und sind damit in der Lage, die Geschwindigkeit so gestalten, dass sie auf der Strecke nie anhalten müssen.
Nicht unerwartet investieren Technologiegiganten wie Facebook massiv in nachhaltige Software. So ist der Ressourcenverbrauch für einzelne Applikationen gedeckelt und wenn man neue Funktionen bereitstellen möchte, müssen zuerst die bestehenden optimiert werden. So sieht jede Entwicklerin oder jeder Entwickler den potenziellen Energieverbrauch des eigenen Softwarecodes und erhält automatisch Optimierungsvorschläge.
Die unterschiedlichen Beispiele verdeutlichen die unterschiedlichen Sichtweisen auf Nachhaltigkeit und Software. So wird häufig zwischen Software für Nachhaltigkeit und nachhaltiger Software unterschieden. Die ersten zwei Beispiele verdeutlichen, wie Software die Nachhaltigkeit fördern kann.
Das Beispiel von Facebook zielt auf ein nachhaltiges Softwareprodukt ab, also die Umweltauswirkungen der Software während ihres Einsatzes sollen minimiert werden.
Nachhaltig digitalisieren
Wie müssen wir vorgehen, um die Digitalisierung und die digitale Transformation nachhaltig zu gestalten? Beispielsweise können ökologische Klimatisierungstechniken angewendet werden, damit im Rechenzentrum nicht unnötig viel Strom verbraucht wird. Man spricht in diesem Zusammenhang von Green IT.
Eine geschäftliche Anforderung kann meistens mit unterschiedlichen Lösungen befriedigt werden. Werden Algorithmen programmiert, die unnötig viel Rechenleistung benötigen, so schadet das der ökologischen Nachhaltigkeit, weil unnötig viel Strom verbraucht wird.
Eine ökologisch nachhaltige Software hat die Fähigkeit lange zu funktionieren und nur die unbedingt erforderlichen Ressourcen zu verwenden.(2)
Digitale Nachhaltigkeit kann aber noch breiter verstanden werden: Es geht nämlich auch darum, das digitale Wissen selbst als schützenswerte Ressource für unsere Gesellschaft zu betrachten und digitale Güter wie Software als Bestandteil einer nachhaltigen Entwicklung zu betrachten.(3)
«Software für Lüüt, statt Lüüt für Software»: Einerseits führt die Digitalisierung oft zu immer mehr Pflichten in der Dokumentation. So pflegen heute Pflegekräfte nur noch zu gut 60 % ihre Patientinnen und Patienten, zu knapp 40 % bedienen sie Softwaresysteme, um die Pflege zu dokumentieren («Lüüt für Software»).
Die Digitalisierung hilft andererseits oft bei der Inklusion («Software für Lüüt»), indem beispielsweise eine automatische Untertitelung oder eine automatische Audioübersetzung von Webseiten möglich ist. Handkehrum, besteht aber auch der Verdacht, dass Aspekte der Digitalisierung zu sozialen Schäden führen (können), da beispielsweise Menschen in Social Media gemobbt werden und/oder von diesen Medien abhängig werden.
Ressourcensparende Hilfsmittel und Vorgehen
Neben diesen beiden direkten Zusammenhägen zwischen Nachhaltigkeit und Digitalisierung gibt es auch eine Reihe von indirekten Zusammenhängen. Dazu zählt die Nachhaltigkeit in der Herstellung von digitalen Hilfsmitteln.
«Nachhaltigkeit beginnt bei der Ermittlung von Anforderungen und der Gestaltung digitaler Lösungen.»(4) Werden Verfahren gewählt, die zu viel Reisen führen, ist das weniger nachhaltig. Wird der Wettbewerb so strapaziert, dass in Billiglohnländern Kinderarbeit eingesetzt wird, ist das ebenfalls nicht nachhaltig. Zu den indirekten Effekten gehört aber auch der gesamtgesellschaftliche Aspekt.
Wir gehen heute davon aus, dass bis ca. 2030 mehr als 20 % des weltweiten Stromverbrauchs im Betrieb von IT-Anlagen anfällt.(5) Bis dann wird die Gesellschaft von der digitalen Infrastruktur derart abhängig sein, dass eine Umkehr des Trends praktisch nicht mehr möglich ist.
Dank dieser digitalen Infrastruktur wird im Gegenzug aber enorm viel Energie gespart, weil weniger Reisen für die gleiche Leistung nötig sind, da die Ärzteschaft Personen in weit entfernten Gebieten versorgen und die dezentrale Energieproduktion verlustfreier koordiniert werden kann.
Die fehlenden Puzzleteile: Herausforderungen für eine nachhaltige Softwareentwicklung
Trotz des zunehmenden Bewusstseins für Nachhaltigkeit in der Softwarebranche, gibt es noch einige Herausforderungen und fehlende Puzzleteile, welche Unternehmen in ihren Bemühungen behindern. So sind eine mangelnde Sensibilisierung und Bildung ein zentraler Faktor. Viele Entwicklerinnen und Entwickler sowie Unternehmen sind sich noch nicht ausreichend bewusst, welche Umweltauswirkungen ihre Software hat. Die teilweise fehlenden und uneinheitlichen Standards und Zertifizierungen für Softwareprodukte entfalten auch noch nicht die gewünschte Wirkung. Jedoch sind verbreitete, akzeptierte und einheitliche Standards und Zertifizierungen für Unternehmen zentral, um ihre Software zu bewerten, zertifizieren und entsprechend vermarkten zu können.
Abschliessend sehen wir die noch ausbaufähigen Kooperationen als fehlendes Puzzleteil. Die Zusammenarbeit von Unternehmen, Behörden, Kundschaft sowie anderen Organisationen ist wichtig, um die Bemühungen weiter voranzutreiben, Erfahrungen auszutauschen und innovative Lösungen für eine nachhaltigere Softwareindustrie zu entwickeln.
Fazit
Jede einzelne Firma und Verwaltung wird sich früher oder später mit der nachhaltigen Digitalisierung und der digitalen Nachhaltigkeit befassen.
Einerseits bietet dieses Thema Chancen zur Differenzierung gegenüber der Konkurrenz – zur Steigerung von Margen, zur Sicherung des Fortbestandes (Strategie), zur Attraktivität als Arbeitgebende.
Andererseits wird die nachhaltige Digitalisierung auch zunehmend zu einer moralischen und gesetzlichen Verpflichtung, und damit wird sie auch zu einer wichtigen Fähigkeit im Berufsbild der Digitalisierer – denn «Gutes Digital Design ist nachhaltig und schafft Nachhaltigkeit.» (Digital-Design-Manifest, bitkom, 2018).
Das Thema Nachhaltigkeit und IT ist kein neues Thema. Nachdem das Thema Green IT an Schwung verloren hat, wurde in den letzten Jahren das Augenmerk vermehrt auf die Software gelegt. So wurden in Deutschland bereits Leitfäden, Zertifikate und Beschaffungsrichtlinien entwickelt, welche dem Thema neuen Aufschwung gegeben haben. Wir gehen davon aus, dass dieser Trend auch nicht vor der Schweiz haltmachen wird und das Thema künftig vermehrt in den Fokus von Regulierungen, Kundenbedürfnissen und Strategien von Softwareunternehmen rückt.
Quellen:
1 Matthias Stürmer und Rika Koch im Interview mit Joël Orizet, Netzwoche vom 10.3.2023.
3 Matthias Stürmer und Rika Koch im Interview mit Joël Orizet, Netzwoche vom 10.3.2023.
Die Autoren
Dr. Pascal Sieber ist Transformation Consultant und VRP der Dr. Pascal Sieber & Partners AG. Er hält ein Doktorat in Wirtschaftsinformatik, ist in verschiedenen Verwaltungsräten vertreten und Studiengangsleiter an der Universität Bern. Zudem verfügt er über langjährige Erfahrung in der Strategieentwicklung, digitalen Transformation und Unternehmensführung.
www.sieberpartners.com
Simon Perrelet ist Transformation Consultant bei der Dr. Pascal Sieber & Partners AG. Er hält einen Master in Wirtschaftsinformatik und ist aktuell am Doktorat an der Universität Bern; ausserdem weist er mehrjährige Erfahrung in der Beratung sowie Digitalstrategieentwicklungen und deren Umsetzung vor.
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Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 23-3
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