Künstliche Intelligenz (KI) bedeutet für viele Unternehmen enorme Chancen in Form von Produktivitätssteigerung und Entlastung von Routineaufgaben, zugunsten von mehr wertschöpfender, kreativer Tätigkeiten. Und doch tun sich viele Unternehmen schwer damit, aus Künstlicher Intelligenz einen wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen. Laut Gartner schaffen es nur 15 % der Projekte in die Produktion. Beinhaltet die Einführung von KI vielleicht mehr als «lediglich» die Einführung einer neuen Technologie?
Symbolbild Sigmund via Unsplash
Die Autorenschaft ist dieser Frage im Rahmen einer Forschungsarbeit an der
Hochschule für Wirtschaft Zürich HWZ nachgegangen. Ihrer Arbeit zugrunde lagen zwei Dinge. Zum einen ein Rahmenwerk «The Science of Change Triangles» von Peter Metzinger, zum anderen eine von Afke Schouten durchgeführte Literaturrecherche zu den Erfolgsfaktoren von Veränderungsprojekten in Unternehmen.
Die der Arbeit zugrunde liegende Hypothese lautete, dass das neue Modell einen vollständigen Überblick über alle für solche Veränderungsprozesse relevanten Punkte enthält. Damit wäre das Modell ein Pendant zum Schweizer Taschenmesser bei der Einführung von Künstlicher Intelligenz in Unternehmen, denn es handelt sich um ein einfach zu nutzendes und schlankes Modell, das trotzdem alles enthält, was das mittlere Management, der Change Manager oder die oberste Führungsebene benötigen.
Das Ergebnis der Arbeit wurde an der HWZ veröffentlicht und bestätigte die Hypothese. Das neue Rahmenwerk lässt sich am besten anhand eines Beispiels erklären.
Einführung in den E-Mail-Router
Betrachten wir den hypothetischen Fall, dass ein Unternehmen ein KI-basiertes Tool namens «E-Mail-Router» einsetzen möchte. Dieses Tool schlägt vor, wie eine Kundenanfrage an einen Mitarbeiter weitergeleitet werden kann. Es liefert Informationen zum Thema sowie zur Wichtigkeit des Kunden und schlägt vor, an welches Team die Frage gerichtet werden sollte.
Die Implementierung dieser neuen Technologie bedeutet, dass ein Feld in die CRM-Anwendung der ersten Support-Linie eingebettet wird, bei der eingehende Kundenanfragen ankommen.
In diesem Beispiel besteht die Änderung darin, dass das Unternehmen den E-Mail-Router wie vorgesehen verwendet. Dies erfordert neue Prozesse, die in einer Checkliste beschrieben werden. Diese ist eine Änderung und steht für die Einführung z. B. eines neuen Verfahrens, also einer Intervention. Eine Diskussion über den Zweck des Verfahrens und Anweisungen zu seiner Anwendung wären ein Element der Kommunikation.
Ziel ist es, das Verhalten zu ändern, dies als Voraussetzung für eine veränderte Kultur und die Einhaltung neuer Prozesse. Die Menschen ändern ihr Verhalten jedoch nur dann, wenn sie eine positive Einstellung zur Veränderung entwickeln. Klar: Auch der Wunsch, Sanktionen zu vermeiden, sorgt für eine positive Einstellung zum neuen Verhalten. Damit das gewünschte Verhalten eine dauerhafte Wirkung hat, ist das Verständnis entscheidend – der erste Schritt auf dem Weg zur Verhaltensänderung.
Die Implementierung des E-Mail-Routers beginnt mit einer Schulung für alle betroffenen Mitarbeitenden (Ziel: Verständnis schaffen). Hier erfahren sie, warum und wie sie den E-Mail-Router verwenden sollen. Diese Schulung sollte so angekündigt und durchgeführt werden, dass die Teilnehmer eine positive Einstellung gegenüber dem neuen Tool entwickeln und bereit sind, ihre Arbeit (ihr Verhalten) zu ändern, den E-Mail-Router anzunehmen und die neuen Prozesse einzuhalten.
Die vier Dreiecke in der Grafik beinhalten alle Elemente, die bei der Einführung einer disruptiven Technologie, wie Künstlicher Intelligenz, beachtet werden müssen. ©Peter Metzinger
Verständnis, Einstellung und Verhalten bilden das «menschliche Dreieck»
Das Verständnis der neuen Technologie reicht jedoch selten aus, wenn sie ihre Einstellung und ihr Verhalten ändern sollen. Meist sind zusätzliche Anreize erforderlich.
Nehmen wir an, die Einführung des E-Mail-Routers reduziert den Personalbestand um 50%. Was aber, wenn der Erfolg in Ihrem Unternehmen kulturell durch die Anzahl der unterstellten Mitarbeiter definiert wird?
Es gibt drei Arten von Anreizen:
- Anreize, die den Einzelnen erfolgreicher machen;
- Anreize, die das Leben und/oder die Arbeit vereinfachen;
- und Dinge, die erwünschte Emotionen hervorrufen.
Die meisten Mitarbeitenden wollen allein oder im Team erfolgreich sein. Kaum jemand würde etwas ablehnen, das sein Leben leichter macht. Andererseits wird jede Veränderung abgelehnt, die als hinderlich für die eigene Karriere empfunden wird oder die zu Mehrarbeit führt.
In manchen Fällen mag es ausreichen, in einer Schulung zu erklären, wie die Arbeit durch den Einsatz des E-Mail-Routers erfolgreicher sein wird. In anderen Fällen ist mehr nötig.
Emotionen können ein grosser Anreiz sein, dazu gehören auch Gefühle wie z. B. Zugehörigkeit, Identifikation oder Vertrauen. Die Ankündigung des E-Mail-Routers sollte so erfolgen, dass Emotionen ausgelöst werden. Wenn die Mitarbeiter davon begeistert sind, kann dieses Gefühl zu einem wichtigen Motor für die notwendige Veränderung werden. Die Zahl der Anreize wird vervollständigt, wenn die Mitarbeiter nicht nur mehr Erfolg haben, sondern auch sehen, wie viel einfacher sie mit dem E-Mail-Router ihre Ziele erreichen können.
Erfolg, Emotionen und Vereinfachung bilden das Dreieck der Anreize, mit dem eine positive Einstellung zu den gewünschten Veränderungen geschaffen werden kann.
Das Dreieck in der Mitte enthält das Produkt aus Kommunikation und Intervention. Kommunikation ist in diesem Zusammenhang der gegenseitige Austausch von Informationen, also das Produkt aus Interaktion und Information. Interventionen sind direkte Eingriffe in Prozesse oder Systeme.
Kommunikation und Intervention werden als ein Produkt betrachtet. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass jede Massnahme unter beiden Aspekten zu betrachten ist, weil «man nicht nicht kommunizieren kann». Und weil jede Kommunikation eine Auswirkung auf die Organisation bzw. Prozesse hat. Jede einzelne Massnahme, ob nun ein neuer Prozess definiert, eine Schulung zum Verständnis durchgeführt oder ein neuer Anreiz geschaffen wird, stellt eine direkte Veränderung des Systems dar – sie hat jedoch immer auch einen kommunikativen Aspekt
Die Ankündigung der Einführung eines E-Mail-Routers mit einer bereits angesetzten Schulung sendet eine ganz andere Botschaft aus als die Ankündigung, ohne dass eine Schulung angesetzt ist. Wenn eine Schulung angesetzt ist, kann die Botschaft so wahrgenommen werden: «Das muss unserer Führung wichtig sein, und sie sorgt dafür, dass wir alles bekommen, was wir für die Arbeit mit dem E-Mail-Router brauchen», während die Botschaft, wenn keine Schulung auf der Tagesordnung steht, so wahrgenommen werden kann: «Es scheint nicht wichtig zu sein, ob wir den E-Mail-Router verwenden oder nicht».
Anwendung des Frameworks
Die Anwendung des Frameworks in Ihrer Organisation wird nach folgendem Ansatz empfohlen. Der erste Schritt besteht darin, ein KI-Projekt oder ein Portfolio von Projekten zu starten.
Der zweite Schritt besteht darin, das Framework und die verschiedenen zugeordneten Erfolgsfaktoren durchzugehen und die für Ihre KI-Projekte relevanten hervorzuheben.
Mit dem dritten Schritt beginnen wir mit der Festlegung von erreichbaren Zielen.
Wenn wir alle Veränderungsinitiativen wie in der Politik in einer Kampagne zusammenfassen, können wir die verschiedenen Initiativen straffen und gemeinsam auf das übergeordnete Ziel hinarbeiten, mit KI einen Mehrwert zu schaffen.
Fazit
Dieses Rahmenwerk kombiniert die harte und die weiche Seite der Einführung von Künstlicher Intelligenz in einem Unternehmen. Es zeigt auch, dass die verschiedenen Schlüsselelemente der Einführung miteinander verbunden sind und dass es nahezu unmöglich ist, in einem Unternehmen erfolgreich mit KI zu arbeiten, wenn KI nur als «Nebeneffekt» betrachtet wird. Sie erfordert eine Umgestaltung vieler verschiedener Aspekte der Organisation – ähnlich wie bei der Digitalisierung.
Das Autorenteam
Die Autorin
Afke Schouten ist die Gründerin von
AI Bridge, das Organisationen hilft, mit KI einen Geschäftswert zu generieren. Sie ist Studienleiterin des CAS AI Management und AI Operations an der HWZ Hochschule für Wirtschaft. Sie unterrichtet KI-Strategie, Analytics Translation und Identifizierung von KI-Anwendungsfällen.
Peter Metzinger aka «Mr. Campaigning» ist Gründer und Inhaber der
Mr. Campaigning AG. Seit 1998 international tätig als Coach oder Berater für bisher mehr als 200 Unternehmen. Spezialist für unkonventionelle Lösungen in den Bereichen Führung, Marketing, Kommunikation und/oder Politik. Als Redner hatte er Auftritte in Amerika, Afrika, Asien und Europa.
Dieser Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 22-2
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