Mit «Alva» hat der Kanton Basel-Stadt einen KI-gestützten Chatbot in seinen Internetauftritt integriert. Im Gespräch erklärt Thom Nagy, Product Owner von bs.ch, wie die Idee zu Alva entstand, welche Qualitätssicherungsmassnahmen entscheidend waren, wo Datenschutz Grenzen setzt, welche Rolle Open Source dabei spielt – und welche Vision er für die Verwaltung der Zukunft hat.

Thom Nagy ist Product Owner beim Kanton Basel-Stadt (Bild zVg)
Thom, du bist beim Kanton Basel-Stadt für bs.ch verantwortlich. Welche Aufgaben gehören zu deiner Rolle?
Ich bin Product Owner von bs.ch und leite das Team Communication Solutions. Mein fünfköpfiges Team betreut den gesamten Webbereich des Kantons: die Website, den Chatbot Alva sowie das kantonale Designsystem. Wir arbeiten eng mit vielen Ämtern und Fachabteilungen zusammen. Unsere Aufgabe ist es, den Internetauftritt so zu gestalten, dass er für Bürgerinnen und Bürger verständlich, verlässlich und jederzeit aktuell ist.
Digitale Angebote sind für eine Verwaltung meines Erachtens heute genauso wichtig wie Schalteröffnungszeiten – vielleicht sogar wichtiger, weil sie den ersten Kontaktpunkt bilden. Wenn die Website nicht funktioniert, wirkt sich das direkt auf das Vertrauen in die gesamte Verwaltung aus.
Wie kam es zur Idee, einen Chatbot einzusetzen?
Wir waren mitten im Relaunch von bs.ch, als ChatGPT vorgestellt wurde. Uns war schnell klar: Diese Technologie wird verändern, wie die Bevölkerung Informationen sucht und findet. In unserer Produktvision haben wir definiert, dass die neue Plattform laufend weiterentwickelt wird, dementsprechend haben wir darüber nachgedacht, wie wir generative KI ins Projekt integrieren können. Kurz darauf entstand bei Liip ZüriCityGPT. Unsere Umsetzungspartner hatten damit eine gute Grundlage geschaffen, um erste Erfahrungen zu sammeln.
Welche Fragen zu Alva hörst du am häufigsten?
Am meisten geht es um die Zuverlässigkeit: Sind die Antworten korrekt? Wie geht ihr mit Falschinformationen um? Diese Fragen sind typisch, wenn neue Technologien auf die Verwaltung treffen – Vertrauen ist hier der zentrale Punkt.
Wie stellt ihr sicher, dass die Antworten korrekt sind?
Wir haben sämtliche Inhalte der Website neu aufgebaut, mit klaren redaktionellen Vorgaben für Sprache, Struktur und Verständlichkeit. Ziel war, unklare Formulierungen, Widersprüche und Doppelungen so weit wie möglich auszuschliessen. Die Antworten von Alva basieren ausschliesslich auf diesen Inhalten. Was nicht auf bs.ch veröffentlicht ist, weiss Alva nicht.
Zudem führten wir einen Prozess zur Qualitätssicherung durch: 450 Personen aus den verschiedensten Fachämtern stellten Fragen zu ihrem Bereich. Diese wurden von Studierenden und Fachpersonen überprüft – und zwar nicht nur auf Richtigkeit, sondern auch auf die Tragweite von inkorrekten Antworten. Denn es macht einen Unterschied, ob eine Antwort zu den Öffnungszeiten eines Schwimmbads falsch ist oder ob fehlerhafte Informationen bei Sozialhilfebeiträgen zu existenziellen Problemen führen könnten.
Die Ergebnisse waren sehr aufschlussreich: Rund 90 % der Fehler lagen nicht an der Technik selbst, sondern an unklar formulierten Inhalten. Das war fast wie eine zweite redaktionelle Schlaufe. Alva hat uns so nicht nur geholfen, den Anfragenden bessere Antworten zu geben, sondern auch die Qualität unserer Inhalte insgesamt verbessert.
Welche Rolle spielt die Technik dabei?
Wir setzen auf Retrieval Augmented Generation (RAG). Das bedeutet: Alva greift nur auf geprüfte Inhalte von bs.ch zurück. Alles, was dort nicht hinterlegt ist, wird nicht beantwortet – dadurch lassen sich Halluzinationen weitgehend ausschliessen.
Zusätzlich haben wir mit Embeddings und Prompts gearbeitet. Wir mussten mehrfach nachjustieren, bis die Ergebnisse stabil genug waren. Teilweise ging es um Nuancen, etwa wie Fragen formuliert sind oder welche Begriffe intern verwendet werden. Dieser Prozess hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, Technik und Redaktion eng zu verzahnen.
Im Vergleich zur klassischen Suchfunktion auf der Website sind die Antworten von Alva deutlich besser: Sie sind kontextbezogen, klar formuliert und direkt mit Quellen belegt. Das schafft Transparenz – die Fragenden können die Antwort nicht nur lesen, sondern auch prüfen, woher sie stammt.
Welche Funktionen bietet Alva heute und was hast du bewusst ausgeklammert?
Heute ist Alva ein Navigations- und Auskunftsinstrument. Bürgerinnen und Bürger können Fragen zu allen öffentlichen Informationen stellen. Prozessautomatisierungen – also etwa die Bearbeitung von Anträgen oder die Nutzung personenbezogener Daten – sind bewusst nicht integriert.
Das hat zwei Gründe: Einerseits organisatorische, andererseits vor allem datenschutzrechtliche. Alva läuft derzeit auf Microsoft Azure. Solange das so ist, sehen wir von der Verarbeitung sensibler Daten ab. Wir prüfen aber, ob und wie wir Alva künftig auf eigener Infrastruktur mit Open-Source-Modellen betreiben können. Nur so können wir langfristig sicherstellen, dass auch kritische Prozesse KI-gestützt, aber datenschutzkonform laufen.
Datenschutz ist ein sensibles Thema. Wie gehst du damit um?
Für uns ist Transparenz das A und O. Die Leute müssen jederzeit wissen, wenn sie mit KI interagieren. Nur so lässt sich Vertrauen aufbauen. Wir halten uns strikt an die gesetzlichen Vorgaben und stehen im Austausch mit unseren Datenschutzbeauftragten.
Gleichzeitig bin ich überzeugt: Diese Technologie kann die Interaktion der Bevölkerung mit der Verwaltung stark vereinfachen. Wichtig ist dabei, verantwortungsvoll zu experimentieren. Wir müssen Chancen testen, Risiken ehrlich benennen und Erfahrungen sammeln. Nur so können wir herausfinden, wie KI der Verwaltung tatsächlich Nutzen bringt.
Welche Rolle spielt Open Source auf bs.ch?
Wir setzen in unserem Bereich bewusst auf Open-Source-Technologien. So setzen wir Drupal als CMS ein. Das gibt uns nicht nur Flexibilität, sondern bringt auch die Möglichkeit, etwas zurückzugeben. Ein Beispiel ist der blökkli-Editor, den wir gemeinsam mit unserem Partner entwickelt und als Open Source veröffentlicht haben. Er wurde inzwischen rund 150 Mal installiert – ein klares Signal, dass das Interesse weit über Basel hinausgeht.
Wir haben das Tool auf Konferenzen präsentiert und Feedback gesammelt, das in die Weiterentwicklung fliesst. Diese Zusammenarbeit macht Software besser und schafft Vertrauen.
Im Kern geht es um das Prinzip «Public Money, Public Code»: Wenn Software mit öffentlichen Geldern entwickelt wird, soll der Quellcode meines Erachtens auch öffentlich zugänglich sein. Das erhöht die Transparenz, vermeidet doppelte Aufwände und macht Verwaltungen unabhängiger von einzelnen Anbietern. Gerade in Zeiten, in denen Vertrauen in den Staat wichtig ist, halte ich dieses Prinzip für besonders wichtig.
Wie stellst du dir den Einsatz von KI in fünf Jahren vor?
Natürlich bewegen wir uns hier im rein Spekulativen. Aber meine Vision ist klar: Eine persönliche KI-Assistenz, die sowohl Bevölkerung als auch Mitarbeitende unterstützt.
Für die Bevölkerung könnte das bedeuten: Weniger Bürokratie, einfacher Zugang zu Dienstleistungen, Übersetzungen in mehreren Sprachen auf Knopfdruck und mehr Barrierefreiheit. Stell dir vor, du musst keine Formulare ausfüllen, weil du einfach der KI mitteilst, was du brauchst. Den Rest erledigt sie für dich selbstständig und kommt mit dem fertigen Resultat zurück.
Für Mitarbeitende wiederum bedeutet es Entlastung: Routineaufgaben wie Sitzungszimmerbuchungen, Terminorganisation oder Standardabfragen könnten automatisiert werden. So bleibt mehr Zeit für die komplexen und menschlich relevanten Themen.
Mein Wunsch ist, dass KI nicht Distanz schafft, sondern Nähe. Sie soll Verwaltung nicht unpersönlicher machen, sondern den Leuten einen direkteren Zugang ermöglicht. Wenn uns diese Balance gelingt, kann KI dazu beitragen, das Verhältnis zwischen Verwaltung und Bevölkerung nachhaltig zu verbessern.
Der Autor
Josef Kruckenberg ist Drupalista und Lead Generative AI bei Liip AG.
LinkedIn
Dieser Beitrag wurde ermöglicht von der Liip AG. Das Unternehmen begleitet seine Kundschaft bei Digitalprojekten: Von der ersten Beratung über die Umsetzung bis über den Go-Live hinaus. www.liip.ch