KI-Nutzung in der Schweizer Softwareindustrie unter der Lupe - Ergebnisse des SSIS 2024 und Einordnungen

23.01.2025
7 Min.

Der Swiss Software Industry Survey (SSIS) 2024 beleuchtet die Rolle von KI in der Schweizer Softwarebranche: 46,8 % der Unternehmen nutzen KI für ihre Softwareentwicklungsprozesse, oft aber punktuell und ohne strategische Ausrichtung. Die Resultate der Studie geben Impulse, wie Unternehmen KI langfristig gewinnbringend integrieren können.

 

Symbolbild Ideogram

 

Künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch

Die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) wird durch technologische Fortschritte, kostengünstige Rechenkapazitäten und die Verfügbarkeit präziserer Modelle vorangetrieben. Diese Entwicklungen ermöglichen den Einsatz von KI-Tools, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren. Seit der Einführung von ChatGPT hat sich die Diskussion über KI intensiviert. Ihre Anwendung hat sowohl im privaten als auch im unternehmerischen Bereich stark zugenommen. Unternehmen setzen zunehmend KI-basierte Technologien ein, um Arbeitsprozesse zu unterstützen – von automatisierter Bearbeitung der Kundenanfragen durch Chatbots bis hin zu präzisen Vorhersagemodellen für die Nachfrageplanung.
 
Auch in der Softwarebranche stösst KI auf grosses Interesse, da sie das Potenzial bietet, die Arbeitsweise in der Entwicklung erheblich zu verbessern. Generative KI-Systeme wie ChatGPT oder Microsoft Copilot versprechen Produktivitätssteigerungen und können helfen, die Codequalität zu verbessern. Ihre Anwendung birgt aber auch Risiken. Um die Potenziale dieser Technologien auszuschöpfen, bedarf es einer strukturierten Implementierung und begleitenden Governance. Der Swiss Software Industry Survey (SSIS) 2024 untersucht, warum Schweizer Softwareunternehmen KI einsetzen, welche Prozesse sie mit KI unterstützen und welche begleitenden Massnahmen sie treffen, um die Potenziale der KI auszuschöpfen. 
 
Im Artikel werden die wichtigsten Erkenntnisse der Studie präsentiert und eingeordnet. 
 
 

Aktuelle Nutzung von KI durch die Schweizer Softwareindustrie

Schweizer Softwareunternehmen setzen KI in unterschiedlichen Massen zur Unterstützung ihrer Kernprozesse ein. Am verbreitetsten ist der Einsatz von KI im Schreiben und Dokumentieren von Softwarecode. Hier setzen bereits 46,8% der Unternehmen auf KI-Unterstützung. Auch in der Softwarewartung ist die KI-Nutzung mit durchschnittlich 41,5% recht verbreitet. Weniger findet KI im Design, Testing und der Analyse Anwendung. Besonders auffällig: In den Bereichen Planung und Integration fehlt es vielen Unternehmen an Wissen über KI-Technologien, die hier Potenzial bieten könnten.
 
Trotz wachsendem Interesse zögern viele Unternehmen, KI vollständig zu integrieren. Ein zentraler Grund: 58% trainieren ihre KI-Systeme nicht mit eigenen Daten, was die Anpassung an unternehmensspezifischen Bedürfnissen erschwert und das volle Potenzial der KI ungenutzt lässt. Auffällig ist, dass 86,2% der Firmen, die KI einsetzen, dies erst in den letzten 18 Monaten getan haben.
 

Einordnung

Der SSIS zeichnet nur Nutzung von KI ein stark variierendes Bild der Schweizer Softwarebranche. Besonders generative KI-Systeme, wie sie bei der Code- oder Dokumentationserstellung eingesetzt werden, haben an Bedeutung gewonnen und werden durch einen Grossteil der Unternehmen bereits heute verwendet. Diese gezielte Nutzung in spezifischen Prozessen bietet Unternehmen kurzfristig Vorteile, da sie Produktivitätssteigerungen ermöglichen und repetitive Aufgaben effizienter gestalten. Es ist jedoch zu erwarten, dass ein rein punktueller Einsatz von KI langfristig nicht ausreicht, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Unternehmen sollten gezielt in den Aufbau von Wissen und Fähigkeiten im Umgang mit KI investieren. Es gilt, die Kompetenzen der Mitarbeitenden zu stärken, um KI nicht nur in bestehenden Prozessen einzusetzen, sondern sie auch strategisch in neue Geschäftsmodelle und Innovationsprojekte zu integrieren. Dies ist insbesondere deshalb entscheidend, da KI nicht nur ein Werkzeug ist, sondern das Potenzial hat, die Softwareentwicklung und die Wertschöpfungsketten der gesamten Branche grundlegend zu verändern.
 
Die Daten zeigen, dass die meisten Schweizer Softwareunternehmen erst seit weniger als 18 Monaten KI-Technologien in der Softwareentwicklung integrieren. Diese zeitliche Übereinstimmung mit der Veröffentlichung von ChatGPT verdeutlicht, wie sehr dieser Durchbruch die Aufmerksamkeit für KI im Unternehmenskontext beschleunigt hat. Generative KI-Systeme wie ChatGPT oder Microsoft Copilot haben die Tür geöffnet, um KI-basierte Werkzeuge schnell und unkompliziert in Entwicklungsprozesse einzubinden.
 
In der Praxis ist es jedoch essenziell, einen Schritt weiterzugehen: Die effektive Nutzung von KI erfordert nicht nur den Einsatz vorgefertigter Modelle, sondern auch deren Anpassung an den unternehmensspezifische Kontext. Dies geschieht durch sogenanntes Feintuning – das Training von KI-Modellen mit eigenen Daten, wie beispielsweise den firmeneigenen Git-Repositories bei der Nutzung von Copilot. Solche Anpassungen ermöglichen es, spezifische Herausforderungen und Anforderungen der eigenen Softwareprojekte besser zu adressieren und den vollen Mehrwert von KI zu erschliessen.
 
So sind Unternehmen gefordert Investitionen in Datenmanagement und Kompetenzaufbau vorzunehmen, um KI gezielt und auf ihre individuellen Bedürfnisse zuzuschneiden. 
 
 

Fehlende strategische Ausrichtung bei der Nutzung von KI

Der SSIS zeigt, dass zwei Drittel der Schweizer Softwareunternehmen in KI einen erheblichen Mehrwert für ihre Geschäftstätigkeit sehen. Doch in der strategischen Planung spiegelt sich dieses Potenzial kaum wider: Nur ein Drittel der Unternehmen hat eine klare Vision für den Einsatz von KI, und weniger als 30% verfügen über eine konkrete Strategie. Das deutet darauf hin, dass viele KI-Initiativen von unten vorangetrieben werden, also durch die Entwicklungsabteilung. Dennoch wäre es wichtig, das Thema stärker auf strategischer Ebene zu verankern, um langfristig Wettbewerbsvorteile zu sichern.
 

Einordnung

Diese fehlende strategische Verankerung ist aus Sicht der Forschung und Praxis ein zentrales Defizit. So können Technologien wie KI nur dann nachhaltigen Wert schaffen, wenn sie eng mit den langfristigen Zielen und der Gesamtstrategie eines Unternehmens verknüpft sind. Dies bedeutet für die Führungskräfte, dass KI nicht als isoliertes Projekt oder technologische Spielerei betrachtet werden sollte. Vielmehr ist es essenziell, die Einführung und den Einsatz von KI durch eine klare strategische Vision zu leiten, die sich an den spezifischen Herausforderungen und Chancen des Unternehmens orientiert. Dazu gehört auch, konkrete Ziele und Massnahmen zu definieren, wie beispielsweise die Verbesserung von Prozessen, die Steigerung der Produktivität oder die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.
 
Häufig sind Unternehmen, die frühzeitig eine solche strategische Grundlage schaffen, besser in der Lage, die Potenziale von KI voll auszuschöpfen. Eine klare Strategie bietet nicht nur Orientierung, sondern hilft auch die Akzeptanz im Unternehmen zu fördern und die erforderlichen Ressourcen gezielt einzusetzen. 
 
 
 

Abwartende Haltung bei der KI-Governance

Der SSIS zeigt, dass die Softwareunternehmen in Bezug auf Governance eine eher zurückhaltende Haltung haben. Informelle Ansätze wie Förderung des Austauschs zwischen Abteilungen und Schulung der Mitarbeitenden sind weit verbreitet. Formale Strukturen hingegen sind selten: Nur 12,4% der Unternehmen haben spezielle Steuerungsgremien für KI, und in 31% sind klare Zuständigkeiten festgelegt. Diese Zurückhaltung könnte daran liegen, dass der Umgang mit KI noch viele Unklarheiten birgt und informelle Praktiken als flexibler und innovationsfördernder gelten.
 

Einordnung

Die Präferenz für informelle Governance-Praktiken in Schweizer Softwareunternehmen spiegelt eine flexible Herangehensweise an den Einsatz von KI wider. Diese Flexibilität ermöglicht es, agil auf technologische Veränderungen zu reagieren und neue Chancen schnell zu nutzen. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass solche Ansätze oft mit Unsicherheiten einhergehen. Mitarbeitende benötigen klare Leitlinien, um zu wissen, wie sie KI-Technologien verantwortungsvoll und effektiv einsetzen können. Es ist für Unternehmen zentral eine Balance zwischen Flexibilität und Struktur zu finden. Unternehmen sollten agile, informellen Ansätze beibehalten, gleichzeitig jedoch Mindeststandards und Richtlinien etablieren, die Orientierung bieten.
 
 
 

Über den Swiss Software Industry Survey (SSIS) 2024

Der SSIS 2024 liefert bereits zum zehnten Mal Kennzahlen, Trends und Thesen zur Softwareindustrie. Nebst Aussagen zum Wachstum und der Profitabilität gibt die jüngste Studie Aufschluss über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.
 

Der SSIS wird von der Abteilung Information Engineering am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Bern, sieber&partners und Swico durchgeführt. Die Studie beantwortet haben 368 Softwareunternehmen aus 20 Kantonen und drei Sprachregionen.
Studie zum Download

 

 

Die Autorenschaft

Die Autorinnen und Autoren des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität Bern forschen zu verschiedenen Themen rund um die digitale Transformation, KI sowie zur Schweizer Softwareindustrie.

 

Simon Perrelet ist Doktorand am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Bern. Er forscht zu digitalen Innovationen, Startups, sowie der Schweizer Softwareindustrie; ausserdem hat er mehrjährige Erfahrung in der Beratung sowie Digitalstrategieentwicklungen und deren Umsetzung. 

www.linkedin.com/in/simon-perrelet

 

  

Prof. Dr. Jens Dibbern ist Professor am Institut für Wirtschaftsinformatik. Er forscht zu Outsourcing, Enterprise Software, Plattformen und Ecosystemen. Zudem forscht er zur Schweizer Softwareindustrie und engagiert sich für die Branche.

 

Mayra Spizzo ist Doktorandin am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Bern. Sie forscht zu Mensch-KI Interaktionen und untersucht, welchen Einfluss die künstliche Intelligenz auf die Entscheidungsfindung des Menschen haben kann.

www.linkedin.com/in/mayra-spizzo

 

Melanie Gertschen ist Doktorandin am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Bern. Sie forscht zu digitaler Nachhaltigkeit, insbesondere im Kontext von Softwareunternehmen.

 

 

 

 

Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 24-4

 

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