Künstliche Intelligenz verändert das Recruiting – von der Lebenslauf-Analyse bis zum Matching. Doch nicht alles, was technisch möglich ist, funktioniert auch im Alltag. Wo entlastet KI im Bewerbungsprozess wirklich, wo stösst sie an Grenzen?

Symbolbild Copilot
Wenn KI Talente sucht
Wer heute eine Stelle ausschreibt, sieht sich mit Dutzenden, manchmal Hunderten Bewerbungen konfrontiert. Deswegen setzen Unternehmen teilweise auf KI-Unterstützung. Chatbots beantworten Bewerbungsfragen, Lebensläufe werden vorab durch KI analysiert, CV-Parser machen Unterlagen vergleichbar. In der Praxis bedeutet das weniger Routinearbeit, schnellere Prozesse und mehr Überblick.
Ein Beispiel dafür ist der Grosskonzern Novartis. Er nutzt ein internes KI-System, um bei offenen Stellen passende interne Kandidatinnen und Kandidaten zu identifizieren – basierend auf deren Fähigkeiten, Erfahrungen und Karrierezielen. Zudem unterstützt ein intern entwickeltes, datenschutzkonformes ChatGPT-Tool die HR-Abteilung bei der Erstellung von Stellenbeschreibungen, Richtlinien und Mitteilungen. Beide Anwendungen entlasten von repetitiven Aufgaben, ohne die Entscheidungsverantwortung aus der Hand zu geben.
Was gut funktioniert. Und was nicht
Die Mehrheit der HR-Abteilungen setzt KI derzeit nur punktuell ein. Laut einer LinkedIn-Studie von 2024 arbeiten etwa 30 Prozent der DACH-Unternehmen aktiv mit KI im Recruiting. Doch je sensibler der Einsatzbereich, desto grösser die Bedenken. Denn was auf der technischen Seite effizient scheint, birgt auf der menschlichen Ebene Risiken.
Ein prominenter Fall ist das auch von Schweizer Unternehmen genutzte Videointerview-Tool von HireVue in den USA: Die Software bewertete Kandidatinnen und Kandidaten nach Stimme, Mimik und Ausdruck, ohne transparentes Bewertungssystem. Nach Beschwerden von Datenschutz-Organisationen wurde das Verfahren stark eingeschränkt und die Analyse der visuellen Daten entfernt. Kritikpunkt: Unklare Kriterien, potenzielle Diskriminierung.
Auch automatische Matching-Funktionen wie bei LinkedIn Talent Solutions neigen dazu, weniger «typische» Lebensläufe auszufiltern, wenn diese nicht genügend relevante Keywords enthalten – obwohl sie fachlich besser passen. Solche Fälle zeigen, wie wichtig es ist, KI-Anwendungen regelmässig zu prüfen und weiterzuentwickeln.
Transparenz ist Pflicht
Wer KI einsetzt, muss Verantwortung übernehmen. In der Schweiz verpflichtet das Datenschutzgesetz Unternehmen zu klaren Regeln beim Umgang mit Personendaten. Bewerbende haben Anspruch auf Transparenz. Wird ein Tool eingesetzt, muss das offen kommuniziert werden, inklusive der Möglichkeit, sich alternativ zu bewerben.
Zudem sind KI-Systeme nur so fair wie die Daten, mit denen sie trainiert wurden. Wenn historische Vorurteile, etwa bezüglich Alter oder Herkunft, in die Modelle einfliessen, übernimmt die KI diese unreflektiert. Eine neutrale Vorauswahl ist damit fast illusorisch.
Zwischen Hoffnung und Menschenverstand
KI reduziert manuelle Arbeitsschritte, identifiziert Wiederholungsmuster in Bewerbungen und unterstützt bei der Vorauswahl. Doch sie entscheidet nicht. Und sie sollte es auch nicht. Gerade dort, wo es um Menschen geht, braucht es Erfahrung, Einfühlungsvermögen und kritisches Denken.
Der Trend zur HR-Automatisierung hält an. Entscheidend bleibt, wie bewusst Unternehmen ihn steuern. Wer die Chancen der Technologie nutzt, ohne dabei die Hoheit über den Prozess zu verlieren, ist auf einem guten Weg, hin zu einem Recruiting, das effizient ist und trotzdem menschlich bleibt.
Die Autorin
Cristina Roduner ist Inhaberin der roduner communications GmbH und berät Unternehmen zu Social Media, LinkedIn und KI-Einsatz in HR und Kommunikation.
www.rodunercom.ch
Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 25-2
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