Die Diskussion um Künstliche Intelligenz (KI) ist nicht mehr theoretisch, der Hype ist vorbei, der Nutzen konkret. Gerade KMU stehen als Rückgrat der Schweizer Wirtschaft vor der Frage, wie sie KI gewinnbringend einsetzen. Die Maxime lautet: Gestalten Sie mit KI ein nützliches Werkzeug für Ihr Unternehmen, bevor Ihre wertvollsten Mitarbeitenden zum Werkzeug einer Technologie werden, die sie nicht verstehen.

Symbolbild Ideogram
Die Realität heisst: KI ist bereits da
Künstliche Intelligenz ist kein ferner Zukunftstraum mehr. Sie ist die unsichtbare Kraft, die bereits heute tief im Geschäftsalltag verankert ist – in Betriebssystemen, in modernen CRM-Tools, die Kundeninteraktionen analysieren, in Analyse-Software, die Markttrends vorhersagt, und in Marketing-Automationen, die personalisierte Kampagnen ausspielen.
Während Sie dies lesen, hat bereits mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung generative KI-Werkzeuge ausprobiert. Noch sind viele dieser Integrationen nicht so reibungslos oder fehlerfrei, wie es die Anbieter versprechen. Aber das liegt nicht nur an der Technologie, sondern oft an einem Mangel an Verständnis für ihre Anwendung.
Diesen technologischen Wandel zu ignorieren, ist keine Option mehr, sondern ein strategisches Risiko, das wir uns im globalen Wettbewerb nicht leisten können. Das Risiko besteht darin, an Effizienz, Innovationskraft und schliesslich an Relevanz zu verlieren. Der Einstieg in diese neue Welt erfordert glücklicherweise keine Heerscharen von Entwicklern. Er erfordert etwas, das in der DNA von Schweizer Unternehmern tief verankert ist: Neugier, Pragmatismus und die Bereitschaft, Dinge einfach auszuprobieren.
Ihr entscheidendes Handlungsfeld: Fördern Sie eine Kultur des Ausprobierens. Schaffen Sie geschützte Freiräume, in denen Ihre Teams ohne Furcht vor Fehlern Erfahrungen mit KI-Tools sammeln können. Das können wöchentliche «Experimentier-Stunden», kleine interne Wettbewerbe zur Lösung eines Problems mit KI oder einfach der offene Zugang zu geprüften Tools sein.
Der Mensch rückt ins Zentrum: «AI Literacy» als entscheidendes Kapital
Die tiefgreifendste Veränderung durch KI findet nicht auf den Servern statt, sondern bei den Fähigkeiten Ihrer Mitarbeitenden. Während KI Routineaufgaben übernimmt – das Zusammenfassen von Berichten, die Analyse von Datenreihen, das Erstellen von Standard-Code –, rückt sie das, was uns menschlich macht, in den Vordergrund.
Die wahren Schlüsselkompetenzen der Zukunft sind:
Analytisches und kritisches Denken: Die Fähigkeit, den Output einer KI nicht blind zu akzeptieren, sondern ihn mit Expertise zu bewerten, zu hinterfragen und gezielt zu verfeinern. Ein von der KI generierter Marketingtext mag sprachlich korrekt sein, aber trifft er den Ton Ihrer Marke? Eine von der KI vorgeschlagene Prozessoptimierung mag logisch erscheinen, aber berücksichtigt sie die gelebte Unternehmenskultur? Wer hier nicht kritisch prüft, riskiert Qualitätsverluste und Fehlentscheidungen.
Kreativität und komplexes Problemlösen: KI nicht als Befehlsempfänger, sondern als Sparringspartner zu begreifen, um innovative Lösungen zu schmieden, die ein Algorithmus allein nicht finden könnte. Eine KI kann tausend Variationen eines Designs erstellen, aber die kreative Vision, die Auswahl und die Kombination zu etwas wirklich Neuem bleibt eine zutiefst menschliche Leistung. Sie kann Daten korrelieren, aber die Fähigkeit, daraus eine überraschende Geschäftsstrategie abzuleiten, erfordert menschliche Intuition.
Soziale und emotionale Intelligenz: Die durch KI gewonnene Zeit nicht in noch mehr Effizienz zu pressen, sondern sie bewusst in das zu investieren, was den Unternehmenswert ausmacht: in tiefgehende Kundenbeziehungen und eine starke, von Vertrauen geprägte Teamkultur. Wenn ein Projektleiter weniger Zeit für das Erstellen von Status-Reports aufwenden muss, hat er mehr Zeit für das eigentliche Coaching seiner Teammitglieder.
Effizienz ist dabei nur ein willkommener Nebeneffekt. Das wahre Ziel ist die Steigerung der menschlichen Wertschöpfung. Ein Teammitglied, das dank KI eine Stunde pro Tag gewinnt, sollte diese Zeit nicht für mehr Routine opfern, sondern für bessere Kundenbetreuung, für kreative Durchbrüche und für strategische Projekte, die das Unternehmen voranbringen.
Ihr entscheidendes Handlungsfeld: Machen Sie die Förderung von «AI Literacy» zur Priorität. Dies ist die neue digitale Allgemeinbildung, das Fundament für Souveränität im 21. Jahrhundert. Schulen Sie Ihre Teams nicht nur in der Anwendung spezifischer Tools. Vermitteln Sie vielmehr die Methode des kritischen, ethischen und zielgerichteten Dialogs mit der KI. Senden Sie eine klare Botschaft: Es geht nicht um den Ersatz von Menschen, sondern um die Befähigung und Erweiterung ihrer einzigartigen Fähigkeiten.
Strategische Weitsicht: Chancen nutzen, Risiken beherrschen
KI ist keine magische Blackbox. Sie ist ein mächtiges System, das auf Daten und Algorithmen basiert. Diese Realität birgt neben den Chancen auch handfeste unternehmerische Risiken, die eine klare strategische Antwort von Ihnen als Führungskraft erfordern:
- Datensicherheit und digitale Souveränität: Wissen Sie, wo Ihre sensiblen Unternehmensdaten landen, wenn Mitarbeitende unkontrolliert öffentliche KI-Tools nutzen? Jede Eingabe kann potenziell zum Training dieser Modelle verwendet werden. Die Machtkonzentration bei wenigen globalen Anbietern schafft Abhängigkeiten und stellt eine direkte Bedrohung für das Vertrauen Ihrer Kunden und den Schutz Ihres geistigen Eigentums dar.
- Fehlinformation und Qualitätssicherung: Eine KI kann überzeugend klingende, aber sachlich falsche Informationen generieren («halluzinieren»). Dies reicht von falschen Zahlen in einem Finanzbericht bis hin zu fehlerhaften technischen Spezifikationen in einer Produkteanleitung. Ohne klare Prozesse zur Verifizierung von KI-generierten Inhalten durch Fachexperten setzen Sie die Reputation und im schlimmsten Fall die Sicherheit Ihrer Produkte und Dienstleistungen aufs Spiel.
- Ethik und Urheberrecht: Der Einsatz von KI wirft komplexe rechtliche und ethische Fragen auf, die nicht ignoriert werden dürfen. Kann ein mit KI erstelltes Bild urheberrechtlich geschützt werden? Wie stellen Sie sicher, dass eine KI, die Bewerbungen vorsortiert, keine bestehenden gesellschaftlichen Vorurteile reproduziert? Eine proaktive Auseinandersetzung ist unerlässlich, um teure Rechtsstreitigkeiten und Reputationsschäden zu vermeiden.
Gerade die Schweiz, die unangefochtene Innovationsweltmeisterin mit einem exzellenten Bildungssystem, hat die besten Voraussetzungen, diese Herausforderungen zu meistern. Unsere Agilität als KMU-Land ist unser entscheidender Vorteil, um KI schneller und gezielter zu adaptieren als die schwerfälligen globalen Konzerne.
Ihr entscheidendes Handlungsfeld: Schmieden Sie eine unternehmensweite KI-Leitlinie, die diesen Namen verdient. Ein klares Manifest, das definiert, welche Werkzeuge für welche Zwecke genutzt werden dürfen, wie mit den sensiblen Daten umzugehen ist und wer die Verantwortung für die finalen Ergebnisse trägt. Erkunden Sie aktiv europäische oder gar Schweizer KI-Lösungen, um die digitale Souveränität zu stärken.
Ihr erster Schritt? Heute anfangen.
Die Zukunft wird nicht von jenen geschrieben, die abwarten, sondern von denen, die gestalten. Ihre Aufgabe als Entscheider ist es, jetzt den Nährboden für diese Zukunft zu bereiten. Warten Sie nicht auf den einen, perfekten, allumfassenden Use Case. Er wird nicht kommen. Die Zukunft entsteht aus dem ersten Schritt, aus dem konkreten Handeln.
Beginnen Sie heute. Nicht morgen. Jetzt. Lancieren Sie ein überschaubares Pilotprojekt, zum Beispiel die Automatisierung der Protokollerstellung für interne Meetings oder die Erstellung von Entwürfen für Ihre Social-Media-Kommunikation. Stellen Sie ein Budget für Experimente zur Verfügung. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und demonstrieren Sie, wie man KI als intelligentes Werkzeug zur Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten nutzt. So sichern Sie nicht nur die Effizienz von heute, sondern Sie schmieden das Fundament für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit Ihres Unternehmens in der Welt von morgen.
Der Autor
Chris Beyeler ist Experte für Künstliche Intelligenz bei BEYONDER sowie Präsident von
KImpact, dem Verband für Künstliche Intelligenz.
Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 25-2
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