Sie planen, denken mit und handeln auf eigene Faust: KI-Agenten könnten schon bald unsere Arbeitsweise verändern. Doch was genau steckt hinter diesem Hype, wie realistisch sind die Erwartungen und in welche Richtung geht die Entwicklung? Luca Pastorino, Area Vice President für den Bereich «Data & AI in Switzerland» bei Salesforce Schweiz, gibt Einblicke in das Potenzial dieser Technologie.

Luca Pastorino, Area Vice President, Data & AI in Switzerland, Salesforce Schweiz
KI-Agenten stellen eine neue Generation intelligenter Softwareprogramme dar. Sie sind darauf ausgelegt, Aufgaben autonom auszuführen, Entscheidungen zu treffen und mit Benutzern oder Systemen zu interagieren – alles mit wenig menschlichem Zutun und nur dort, wo nötig.
Ihre Fähigkeiten basieren auf fortschrittlichen Technologien wie Echtzeitanalysen, maschinellem Lernen (ML) und der Verarbeitung natürlicher Sprache (NLP). Im Gegensatz zu herkömmlichen Automatisierungstools, die vordefinierten Abläufen folgen, zeichnen sich KI-Agenten durch ihre Dynamik, Kontextsensibilität und die Fähigkeit zum kontinuierlichen Lernen aus. Sie können eigene Pläne entwerfen, ihren Kurs anpassen und sogar neue Arbeitsabläufe erstellen, um ihre Ziele zu erreichen.
Wir haben uns mit Luca Pastorino über das Potenzial von KI-Agenten unterhalten. Er ist Area Vice President für den Bereich «Data & AI in Switzerland» bei
Salesforce Schweiz.
Cyrill Schmid: Herr Pastorino, KI-Agenten sind das Thema der Stunde. Was sind KI-Agenten überhaupt? Wie würden Sie diese in wenigen Sätzen verständlich erklären?
Luca Pastorino: KI-Agenten sind im Wesentlichen autonome, proaktive KI-Anwendungen, die darauf ausgelegt sind, spezialisierte Aufgaben auszuführen und Menschen sowie Unternehmen zu unterstützen. Im Gegensatz zu einfachen Chatbots oder generativer KI können sie eigene Entscheidungen treffen, Daten analysieren, selbstständig handeln und sogar in natürlicher Sprache kommunizieren. Sie nutzen unter anderem Sprachmodelle (LLM), um den Kontext von Interaktionen zu verstehen, und können dann eigenständig die nächsten Schritte planen und ausführen.
Bei Salesforce sehen wir sie als digitale Teammitglieder, die nahtlos in bestehende Geschäftsprozesse integriert werden, um die Effizienz zu steigern und menschliche Arbeitskräfte zu entlasten. Sie arbeiten rund um die Uhr auf verschiedenen Plattformen und können bei komplexen Problemen an menschliche Mitarbeitende übergeben oder direkt mit Kunden kommunizieren.
Welche konkreten Einsatzgebiete von KI-Agenten gibt es bereits bei Salesforce, und welchen Nutzen bringen sie Ihren Kunden?
KI-Agenten sind bei Salesforce bereits branchenübergreifend in einer Vielzahl konkreter Bereiche im Einsatz. Ganz praktisch dienen sie als digitale Teammitglieder, beispielsweise im Kundenservice, wo sie einfache und komplexe Anfragen beantworten, Fälle lösen oder Reservierungen stornieren können. Sie fungieren auch als digitale Einkaufsberater im E-Commerce oder unterstützen den Vertrieb, indem sie Produktfragen beantworten und Termine buchen, was zu kürzeren Deal-Zyklen führen kann.
Aber auch intern automatisieren sie administrative Abläufe und Mitarbeiter-Support. Der Nutzen für unsere Kunden ist immens: Durch die tiefe Integration mit der Salesforce Data Cloud verstehen diese Agenten den Kontext in Echtzeit, liefern personalisierte und präzise Antworten, und agieren proaktiv auf verschiedenen Kanälen wie z.B. E-Mail, SMS oder Voice.
Salesforce bietet mit Agentforce eine eigene KI-Lösung an. Was unterscheidet Ihren Ansatz von generischen KI-Agenten anderer Anbieter?
Unsere Lösungen sind nicht nur skalierbar, sondern in der Lage, tief in operative Geschäftsprozesse einzutauchen – dank der Integration in unsere Plattform. Agentforce vereint dort Anwendungen, Daten, Agenten und Metadaten, die Grundlage für eine skalierbare, agentenbasierte KI.
Unsere Herangehensweise holt das Maximum aus den Kundendaten heraus: Wir starten mit vorhandenen Daten, erweitern sie gezielt und schaffen so eine solide Entscheidungsgrundlage. Dank Low-Code verkürzen wir die Time to Value deutlich.
Wichtig: Alle KI-Aktionen sind transparent, nachvollziehbar und sicher dank des Einstein Trust Layer. Dieser verhindert, dass grosse Sprachmodelle sensible Kundendaten speichern. Das ist aus unserer Sicht ein zentrales Anliegen bei der Einführung von KI. Der Einstein Trust Layer umfasst Funktionen wie Datenmaskierung und Erkennung von problematischen Inhalten (z. B. toxische Sprache oder Vorurteilen), um einen verantwortungsvollen und sicheren Einsatz von KI zu gewährleisten.
Welche Trends und Entwicklungen erwarten Sie für KI-Agenten in den nächsten drei bis fünf Jahren?
Ich gehe davon aus, dass sich KI-Agenten in den nächsten drei bis fünf Jahren zu einer vollständigen digitalen Belegschaft entwickeln werden, die eng mit Menschen zusammenarbeitet, sei es in digitaler Form oder als «Roboter». Experten prognostizieren bereits einen digitalen Arbeitsmarkt mit einem potenziellen Wert von sechs Billionen Dollar, und 84% der CIOs sind überzeugt, dass KI einen ähnlich tiefgreifenden Einfluss wie das Internet haben wird.
In Zukunft werden wir KI-Agenten als digitale Mitarbeitende betrachten, die autonom Aufgaben ausführen, Entscheidungen treffen und sich an neue Situationen anpassen können. Unternehmen wie Engine erweitern die Rollen von Agenten bereits über erste Pilotfunktionen hinaus, beispielsweise zur Bearbeitung von FAQs und sogar zur Bewertung der Arbeit anderer Agenten. Diese Entwicklung deutet auf eine kooperative Zukunft hin, in der Teams zunehmend autonome KI-Agenten als Spezialisten für spezifische Aufgaben integrieren werden, insbesondere in datenintensiven Bereichen wie Vertrieb, Service und Logistik.
KI-Entscheidungen gelten oft als «Black Box». Wie stellt Salesforce Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Aktionen seiner Agenten sicher?
Transparenz ist Teil unserer Plattform Architektur. Jede Aktion eines KI-Agenten kann bis zur Datenquelle und zur Entscheidungslogik zurückverfolgt werden. Die Nutzer sehen, auf welchen Informationen eine Empfehlung oder Entscheidung basiert. Zudem lassen sich Agenten auf klare Geschäftsregeln hin konfigurieren, sogenannte Guardrails, was eine verlässliche Kontrolle ermöglicht. Dies ist ein entscheidender Faktor für das Vertrauen unserer Kunden.
Datenschutz und Datensicherheit sind besonders für Schweizer Unternehmen ein sensibles Thema. Wie begegnet Salesforce dem wachsenden Misstrauen gegenüber KI in der Cloud?
Unsere Plattform ist vollständig DSGVO-konform und erfüllt höchste Sicherheitsstandards auch im Einklang mit dem Schweizer Datenschutzgesetz. Kundendaten verlassen nie den kontrollierten Speicherbereich und durch Features wie Data Masking, Role-Based Access und Audit Trails behalten Unternehmen jederzeit die volle Kontrolle über ihre Daten. Vertrauen entsteht durch Transparenz – das ist für uns kein Zusatz, sondern die Basis.
Wie beeinflussen KI-Agenten die Zukunft der Arbeitswelt? Steuern wir auf eine Ära zu, in der klassische Jobs verschwinden?
Nein, KI-Agenten werden klassische Jobs nicht verschwinden lassen, sondern vielmehr dazu beitragen, menschliche Arbeitnehmer zu unterstützen und ihre Effizienz zu steigern. KI-Agenten automatisieren routinemässige und langwierige Aufgaben, sodass Mitarbeitende sich auf wertvollere und strategischere Aufgaben konzentrieren können. In der Gesundheitsverwaltung können sie Zeit für Papierkram sparen, damit sich Mitarbeitende intensiver um Patientenbetreuung kümmern. Entwickler können sich auf hochwirksame Projekte statt auf manuelles Codieren konzentrieren und Vertriebsmitarbeitende haben mehr Zeit für den Verkauf.
Ein aktuelles Beispiel aus der Schweiz ist Adecco: das Unternehmen setzt Agentforce ein, um das Recruiting zu revolutionieren – digitale Agenten, die rund um die Uhr Lebensläufe analysieren, passende Stellen vorschlagen und Bewerberinnen proaktiv vorqualifizieren. Das erspart eine Menge administrative Arbeit.
Einige Prognosen gehen sogar von einem Nettozuwachs an Arbeitsplätzen durch KI-gestützte Cloud-Lösungen aus. Es gibt nicht genug Menschen, um die derzeit benötigten Jobs auszufüllen, und KI-Agenten helfen, diese Lücke zu schliessen. Sie werden fast jeden Job verändern. Das zwingt Unternehmen dazu, sich anzupassen und ihre Arbeitskräfte neu zu balancieren. Diese Innovationen schaffen mehr Chancen, als sie Jobs verdrängen. Die Weiterbildung der menschlichen Arbeitskräfte ist notwendig, um die neuen Chancen optimal zu nutzen. KI-Agenten operieren in bestehenden Arbeitsabläufen und entlasten überlastete Teams, um die Effizienz zu erhöhen.
Auf LinkedIn sah ich einen Post: «Ich bin Chef von sieben Mitarbeitenden, sechs davon sind KI-Agenten.» Ist das die Zukunft – oder nur ein kurzfristiger Trend?
Es mag ein etwas zugespitztes Bild sein, aber das ist die Zukunft. Künftig werden Teams durch autonome KI-Agenten ergänzt werden, die als Spezialisten für klar definierte Aufgaben und Bereiche fungieren werden. Unternehmen müssen jetzt tätig werden, um die Weichen dafür zu stellen. In datenintensiven Bereichen wie Vertrieb, Service oder Logistik werden KI-Agenten zunehmend als produktive Teammitglieder agieren. Entscheidend ist aber: Diese Agenten arbeiten nicht autonom im luftleeren Raum, sondern im Zusammenspiel mit Menschen. Wir glauben an eine kooperative Zukunft, nicht an eine ersetzende.
Das Konzept des «KI-Agenten» ist zentral. Wie gelingt die effektive Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI?
Durch klare Rollenverteilung, transparente Entscheidungsprozesse und nahtlose Integration in bestehende Systeme. Menschen behalten die Kontrolle, treffen die finale Entscheidung und erhalten durch KI-Agenten aber konkrete Unterstützung im Alltag. So entsteht echte Zusammenarbeit nicht bloss Technologie.
Was raten Sie Unternehmen, die sich mit KI auseinandersetzen? Wo sollte man mit der Einführung starten?
Starten sollte man mit gezielten Anwendungsfällen, bei denen ein klarer Mehrwert für Kundschaft oder Mitarbeitende sichtbar ist – idealerweise Aufgaben, die sich leicht umsetzen und wiederholen lassen. Eine saubere, gut strukturierte Datenbasis ist dabei unerlässlich, denn ohne vertrauenswürdige Daten bleibt jede KI-Lösung ineffektiv. Ebenso wichtig ist es, Geschäftsverantwortliche frühzeitig einzubeziehen, um Relevanz und messbaren ROI sicherzustellen. Statt komplexe Eigenentwicklungen zu starten, sollten Unternehmen auf erprobte, skalierbare Lösungen wie Agentforce setzen – das spart Zeit, reduziert Risiken und erlaubt eine wesentlich schnellere Einführung. Klare Rollen, Regeln und kontinuierliche Weiterentwicklung bilden den Rahmen für einen erfolgreichen Einsatz.
Hat die Entwicklung von KI-Agenten Auswirkungen auf SaaS-Lösungen? Ist SaaS noch relevant – oder sehen wir eine technologische Ablösung, wie es Microsoft-CEO Satya Nadella kürzlich prophezeite?
Salesforces Agentforce stärkt die Relevanz bestehender SaaS-Lösungen erheblich, indem sie tief in operative Geschäftsprozesse integriert werden und sowohl Mitarbeitende als auch Kundenerlebnisse augmentieren.
Es nutzt Daten, Metadaten, Automatisierungen und Sicherheitsmechanismen nahtlos, wobei es mit bestehenden Anwendungen und Geschäftslogiken arbeitet. Unsere Strategie bettet KI als integralen Bestandteil in etablierte SaaS-Ökosysteme ein und bietet eine vollständige, erweiterbare und offene Plattform für den Aufbau und die Bereitstellung digitaler Arbeit.
Welche Themen möchten Sie selbst noch ansprechen?
Eine sehr wichtige Frage, die ich gerne noch ansprechen möchte, betrifft die Verantwortung, wenn ein KI-Agent Fehler macht.
Denn genau hier zeigt sich die entscheidende Bedeutung von Governance und Vertrauen für den erfolgreichen Einsatz von KI. Bei Salesforce investieren wir gleichermassen stark in Kontrollmechanismen und Innovation, beides gehört untrennbar zusammen. Funktionen wie der Einstein Trust Layer stellen sicher, dass Datenschutz und Sicherheit gewährleistet sind, indem er sensible Daten maskiert und problematische Inhalte erkennt. Zudem sind alle KI-Aktionen darauf ausgelegt, transparent und nachvollziehbar bis zu ihren Datenquellen und Entscheidungslogiken zu sein. Dieser Ansatz sichert die Rechenschaftspflicht und fördert das Vertrauen unserer Kunden in den KI-Betrieb.
Vielen Dank für das spannende Gespräch.
Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 25-2
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