Interview mit Erik Damgaard: «Ich bin gerne kreativ, bei IT geht es für mich um die Technologie»

26.09.2023
6 Min.
Seit mehr als 30 Jahren ist der Däne Erik Damgaard eine bekannte Grösse in der Welt der ERP-Systeme. Und das sehr erfolgreich, so wurde sein Unternehmen Navision 2002 von Microsoft aufgekauft, seine Softwares laufen so als Teil von Microsoft Lösungen noch heute auf Millionen von Computern. Neu startet er mit dem Cloud-ERP-System Uniconta wieder durch. Wir haben uns mit Erik Damgaard unterhalten.
 
 

 
 
topsoft Fachredaktion: Erik Damgaard, Sie haben die IT-Entwicklung von Anfang an miterlebt und auch mitgestaltet. Was hat sich für Sie am meisten verändert in den vergangenen Jahrzehnten? 
 
Erik Damgaard: Gestartet bin ich in den 1980er-Jahren. Damals verschickten wir Floppy-Discs und später dann CDs mit der Software. Und natürlich war es die LAN-Ära. In den Neunzigern änderte sich das dann dramatisch, die kleinen Personal-Computers kamen auf.
 
Als ich dann 2002 mein Unternehmen Navision an Microsoft verkaufen konnte, gab es bereits das Internet – aber von einer Cloud war noch nichts zu sehen. Der ERP-Markt hatte mit dem Internet allerdings sowieso nichts am Hut. Es gab vielleicht mal die Integration eines Webshops, das wars.
 
Interessant ist auch, dass Microsoft damals richtig gross war. Eben hatten sie IBM in die Ecke gedrängt und andere Unternehmen übernommen – es gab keine Konkurrenz. Trotzdem entstanden in den 2000er Jahren weitere grosse Tech-Giganten und heute haben wir mit Apple, Amazon, Google oder Facebook neben Microsoft insgesamt fünf Riesen in diesem Bereich.
 
Zuerst arbeitete ich zwei Jahre für Microsoft, dann kam ich 2004 zurück nach Dänemark. Weil ich so viel Geld hatte, verliess ich die Branche und konzentrierte mich auf Investments. Das war keine gute Idee, schliesslich hatte ich keine Erfahrung. Mit dem Crash 2008 zeigte sich das deutlich und 2009 beschloss ich, dieses Abenteuer aufzugeben. Und so habe ich wieder ein Software-Unternehmen gegründet, ich hatte ja noch genug Geld.
 
So bin ich nach Indien gegangen und habe dort ein Team zusammengestellt. Und ich habe begonnen, Cloud-Software zu programmieren. Weil ich eine Weile als Investor tätig gewesen bin, baute ich eine cloudbasierte Trading-Plattform. Und sammelte viel Erfahrung im Programmieren von Cloud-Anwendungen. 2014 hatte ich eine schöne Trading-Plattform in der Cloud, aber Gewinn haben wir damit kaum gemacht.
 
Wie sind Sie wieder im ERP-Bereich gelandet?
Ich habe mich mal im IT-Markt in Dänemark umgesehen und festgestellt, dass es viele kleine, sagen wir mal, Buchhaltungs-Systeme gibt, die Cloud-basiert waren. ERP würde ich das nicht nennen, es waren und sind wirklich mehr Buchhaltungs- und Zahlungssysteme. 
 
Microsoft auf der anderen Seite bot zum Beispiel umfassende Programme mit vielen Funktionen an, zwei meiner Programme sind ja darin aufgegangen – und dazwischen gab es nichts. Dazu kam, dass es kein ERP gab, dass Cloud-basiert war. Das hiess, dass wenn jemand von den «kleinen» Programmen auf ein ERP-System wechseln wollte, musste er noch 2014 Cloud verlassen. Und das konnte es nun wirklich nicht sein.
 
So dachte ich mir, das könnte doch spannend sein, mein Wissen zum Thema ERP mit demjenigen zu den Cloud-Lösungen zu kombinieren. 
 
2016 startete ich mit Uniconta in Dänemark. Es ist bekannt, dass Microsoft extrem spät auf den Cloudlösungs-Zug aufgesprungen ist. Erst 2020 brachte Microsoft Business Central aus der Cloud auf den Markt. Allerdings funktionierte das eher schlecht als recht und erst so ab 2021/22 kann man sagen, dass Microsoft ein gut funktionierendes Cloud-ERP anbieten kann.
 
So hatte ich viele Jahre in Dänemark Zeit, meine Lösung zu perfektionieren. Ich programmierte zum Beispiel eine Schnittstelle, mit der man die Daten aus Dynamics C5 in Uniconta übernehmen konnte. 
 
Das ERP-Geschäft dürfte nicht mehr das gleiche sein, oder?
Ja, das Interessante daran, 40 Jahre im Geschäft zu sein, ist, dass ich mitmachte, als LAN boomte und dass ich jetzt dabei bin, wenn die Cloud so richtig loslegt.
 
Die ERPs haben sich verändert, alles ist jetzt digital, niemand möchte mehr mit Papier arbeiten. Alles wird eingescannt und wird elektronisch verschickt. Alles wird integriert. 
 
Früher musste man das Programm umprogrammieren, wollte man etwas verändern. Heute, weil alles offen und in der Cloud ist, kann man das Gewünschte in einem separaten Modul anpassen, ohne an der Basis etwas verändern zu müssen. Man kann auch einfach APIs dazunehmen, ohne dass man die «alten» APIs abbauen muss. Das macht es für uns viel einfacher, neue Versionen einer Software auszuspielen, weil so auch weniger kaputtgehen kann.
 
Was ich auch liebe an der Cloud-Architektur: Wir müssen nicht mehr Disks oder CDs mit dem Code verschicken, unsere Kundschaft arbeitet live auf dem System in der Cloud. Tauchen Probleme auf, können wir ihnen sofort helfen. Wir können ihnen gleich zeigen, wie es geht, dank Skype, Teams etc. Wir können einen besseren Service bieten. Wir haben zurzeit 5000 Kunden auf der ganzen Welt und wir wissen, dass alle glücklich sind. Das System läuft und wir sehen das jeden Tag.
 
Sie haben also 5000 Kunden?
Wir haben 5000 Lizenzen am Laufen mit ungefähr 20'000 Nutzenden. Das kleinste Unternehmen hat einen Nutzer, wir haben auch einen Kunden mit 700 Usern, das ist allerdings eine Ausnahme. Wir haben ungefähr 50 Lizenzen, die jeweils mehr als 20 User haben. Die meisten Unternehmen mit mehr Nutzerinnen gehen meist zu einem Grossen, zum Beispiel zu Microsoft. Unser «Sweet Spot» sind KMU mit 5 bis 50 Mitarbeitenden und 3 bis 12 Usern.
 
Aber wir haben auch kleinere Unternehmen als Kunden, die einfach ein umfassendes System wollen, und wir bedienen auch grössere Unternehmen, denen ein etwas einfacheres ERP-System wie das unsrige genügt.
 
In Dänemark gibt es drei kleine Anbieter, die ein Buchhaltungs- und Zahlungssystem anboten. Und mein Ziel war es nicht, ein vierter Anbieter in dieser Kategorie zu werden. Wir wollten das Cloud-ERP anbieten, das Unternehmen wählen, wenn sie aus den kleinen Anbietern rausgewachsen sind. Da muss Uniconta schon etwas mehr bieten. Auch wollten wir eine valable Cloud-Alternative bieten für diejenigen, die ein älteres System wie Navision oder C5 in Betrieb hatten und sowieso wechseln mussten.
 
Warum hat es so lange gedauert, bis die anderen ERP-Anbieter in die Cloud gekommen sind?
Ich kann für Microsoft antworten, weil ich ja da gearbeitet habe und weiss, wie sie denken. Wenn sie etwas Neues bringen möchten, muss es immer gleich fantastisch sein. 
 
Denn Microsoft hat 2001/2002 eigentlich gleich vier Unternehmen gekauft, da MS kurz vorher Great Plains (ein Fusionsprodukt aus Great Plains und Solomon Software) sowie Navision übernommen hatte, das ja aus Navision und «meinem» Damgaard entstanden war. 
 
Nun wollten sie aus diesen vier Unternehmen mit jeweils eigener Technologie und eigenen Ideen etwas ganz Grossartiges machen. Während der zwei Jahre, in denen ich bei Microsoft gearbeitet habe, gab es daraus das Projekt «Green». Daraus wurde aber nichts, ich habe nie verstanden, warum. Sie haben nur einzelne Teile, zum Beispiel von Navision, in die neuen Lösungen integriert.
 
Sie hatten auch ein riesiges Projekt, mit dem sie ein neues, umfassendes Cloud-ERP programmieren wollten. Drei Jahre lang wurde daran gearbeitet - und dann wurde es aufgegeben und sie machten etwas ganz anderes. Sie nahmen einfach den alten Code von NAV und machten ihn als Business Central cloud-kompatibel.
 
Aber Navision hat sich stark geändert. Es war ein kleines dänisches Produkt, als es von Microsoft gekauft wurde. Dann wurden zahlreiche Funktionen dazu programmiert und so wurde es eine umfassende Lösung. Es wurde dadurch aber auch komplizierter und zudem auch teurer, viele Unternehmen wollten kein so umfassendes System. Und genau in diese Lücke springt Uniconta.
 
Inzwischen gibt es zahlreiche Cloud-Services. Trotzdem sucht man SaaS-ERP-Systeme mit einem umfassenden, integrierten Funktionsumfang vergeblich. Wird sich das mit Uniconta ändern?
Ich glaube, wir haben unseren Sweet Spot gefunden und bieten alle Module, die man als Unternehmen im Grundsatz braucht. Inventar, Logistik, Supply Chain, Einkauf und Verkauf sowie Produktion, also die Materialverwaltung. Die Produktionsplanung haben wir weggelassen, weil die meisten sowieso mit einem darauf spezialisierten System arbeiten. Aber weil wir passende APIs haben, können andere Systeme problemlos angeschlossen werden.
 
Wir planen nicht, weitere Module zu integrieren, aber wir möchten es vereinfachen, andere Systeme an das Cloud-ERP anzuschliessen. Sei es ein Webshop oder direkte Integration der Zahlungssysteme. Wir versuchen auch, möglichst viele Abläufe zu automatisieren.
 
Wir haben eine Test-Version von Uniconta, seit ungefähr einer Woche. Ist eine «Helvetisierung» des Systems geplant? Gerade bei MWST, Steuern etc. sind wir in der Schweiz schon sehr eigen.
Wir bieten Uniconta in 25 Sprachen an, aber angepasst haben wir das System nur für fünf Länder. 
 
Allerdings fehlen auch dort oft noch regionale Spezifikationen. Aber in Deutschland zum Beispiel bieten wir eine Schnittstelle zu DATEV an und viele Unternehmen arbeiten einfach damit. Das funktioniert in vielen Ländern: Viele Buchhaltungen arbeiten mit «ihrem» System und statt dass wir versuchen, diese Funktionen in Uniconta nachzubauen, bauen wir lieber eine schöne Schnittstelle zum entsprechenden Buchhaltungssystem.
 
Dank der 25 Sprachen kann man zum Beispiel eine Rechnung auf Italienisch verschicken, auch wenn das System auf Deutsch eingestellt ist. Im Moment haben wir Kunden in mehr als 40 Ländern, darunter Australien, Neuseeland und in asiatischen Ländern, meist weil dort skandinavische oder deutsche Firmen Tochterunternehmen haben. 
 
In Griechenland zum Beispiel muss exklusiv ein staatliches System für die Steuern etc. verwendet werden. So arbeiten die Kundinnen mit Uniconta, exportieren die Daten ins staatliche System und können so die Unterlagen einreichen. 
 
Aber wenn uns die Verkaufsorganisation sagt: Wir brauchen das oder jenes, um die Verkäufe zum Beispiel in der Schweiz voranzutreiben, dann programmieren wir das.
 
Es ist sehr clever, das System so offen zu gestalten, dass man alle benötigen Funktionen anhängen kann, statt alles in ein System zu packen, das dann schwerfällig und oft auch teuer wird.
Ja, eine andere clevere Idee ist, dass man bei Uniconta ganz einfach neue Felder hinzufügen kann, ganz ohne Programmierung. Und auch bei einem Update bleibt das Feld bestehen. So können die Kunden das System für sich individualisieren. Wenn zum Beispiel ein Umsystem bestimmte Felder benötigt, ist das kein Problem.
 
Es geht auch um Protokolle, so hat ja Microsoft mit dem Open Data Protocol (OData) ein HHTP-basiertes Protokoll veröffentlicht. Auch wir haben dieses Protokoll in Uniconta eingebaut, so dass man zum Beispiel von Excel aus mittels eines Wizards die Daten ins ERP übernehmen kann. Das gleiche gilt auch für die Kunden, die mit Power BI arbeiten, unser System kann direkt angeschlossen werden.
 
Es ist wirklich clever, wie man heute so viele Systeme miteinander verbinden kann. Im Jahr 2000 konnten wir das nur erahnen.
 
Wenn wir es schon von Veränderungen haben: Wo sehen Sie uns in der digitalen Transformation heute und in Zukunft?
In Dänemark wird nächstes Jahr ein neues Buchhaltungsgesetz eingeführt. Alle Dokumente müssen dann in digitaler Form vorliegen, damit die Behörden alles überprüfen können. Es geht um Geldwäsche, Betrug etc. Aber ich glaube, es wird auch für die Unternehmen Vorteile haben. 
 
Wenn nämlich alles digital ist, können mit anderen Tools die Daten analysiert werden. Zudem kann vieles auf diese Weise automatisiert werden. Und KI könnte mithelfen, die Daten zu analysieren und daraus nützliche Schlüsse zu ziehen. 
 
Die Digitalisierung und die Integration der Daten macht alles einfacher. So hat niemand mehr heute einen eigenen Serverraum, alles ist in der Cloud. Eine neue Mitarbeiterin kriegt heute ein Laptop sowie ein Smartphone und kann im Prinzip sofort mit der Arbeit beginnen. 
 
Was würden Sie einem KMU raten, um das digitale Potenzial möglichst optimal nutzen zu können? Welche Tools und Anwendungen sind ein Muss? Worauf kann man verzichten?
Als erstes braucht es eine E-Mail-Plattform, sowas wie Office oder so. Und dann: Abonnieren oder installieren sie nichts, was nicht offen ist. Die Daten müssen exportiert werden können, so dass Sie nicht plötzlich an ein System gebunden sind. Es gibt IT-Anbieter, die keine Export-Funktion vorsehen. Eine Lösung muss zwingend offen sein. Und wichtig ist, dass die Systeme gut mit Umsystemen verbunden werden können, egal ob mit einem Webshop oder einem Planungssystem. 
 
Die Integration ist ein Must. So wird es etwas wie ein «Best of Breed». In den 90ern wurde alles ins ERP-System integriert, heute baut man die Lösungen immer häufiger ausserhalb und schliesst sie ans ERP an.
 
Ist die Zeit der grossen ERP-Monolithen vorbei?
Das ERP-System ist immer noch sehr wichtig und ein Monolith macht das Leben für die Unternehmen einfacher, es funktioniert. Aber sobald man ein spezialisiertes System anschliessen möchte, wird es schwierig. 
 
Wenn ich ein Umsystem an das ERP anschliessen möchte, muss die Verbindung natürlich auf beide Seiten funktionieren. Angenommen, ich möchte eine Planungssoftware an Uniconta anschliessen, so dass Bestellungen an das ERP-System weitergegeben werden. Aber ich möchte die Daten der Kunden aus Uniconta in der Planung lesen können. Mittels API liest also das Planungssystem online die Daten im ERP, es ist nicht nötig, alles ins Planungssystem zu kopieren. Die Daten sind so immer aktuell und können von Uniconta in alle Programme ausgespielt werden. Die APIs sind so flexibel und so schnell, dass das wunderbar funktioniert. Alles, was man braucht, ist gutes Internet.
 
Und zum Schluss eine persönliche Frage: Was bedeutet Ihnen IT? 
Ach, für mich ist IT das Programmieren. Ich bin gerne kreativ, es geht für mich um die Technologie. Ich habe mit der Programmiersprache Pascal angefangen und habe mich dann immer weiter durch die verschiedenen Programmiersprachen durchgearbeitet. Es war eine fantastische Reise von den einfachen Programmiersprachen bis zu den grossen Plattformen, auf denen man alles bauen kann.
 
Mit dem Fortschritt bekamen die Computer in den 80ern und 90ern immer mehr RAM, so dass ich auch immer mehr machen konnte. Der Speicherplatz war begrenzt, die Systeme waren sehr langsam. Und heute sind es nicht mehr die Hardware oder der Speicherplatz, welche die Grenzen setzt. Heute können wir so viel mehr machen als vor 40 Jahren, weil Hardware und Software so viel besser geworden sind. Aber es macht mir immer Freude, über die alten Tage zu sprechen.
 
Wir sind gespannt, wie sich Uniconta in der Schweiz macht, wir wünschen viel Erfolg. Vielen Dank für das Gespräch.

 

UNICONTA Partner Switzerland Consulting | 6244 Nebikon | www.ups-consulting.ch 
Weitere Informationen finden Sie bei UNICONTA in der topsoft Marktübersicht

 

Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 23-3

 

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