Inklusive Arbeitskultur als Geheimrezept gegen den Fachkräftemangel

20.11.2024
3 Min.

Inklusion wird heute hauptsächlich im Zusammenhang mit Diversität, unterrepräsentierten Gruppen und Diskriminierung thematisiert. Diese Sichtweise greift zu kurz, denn Inklusion bietet unabhängig von Diversitätsmanagement auch für KMU grosse Vorteile, nicht zuletzt bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels.

 

Symbolbild generiert mit Firefly

 

Um dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen, können Unternehmen auf bewährte Massnahmen wie attraktive Löhne, umfassende Sozialleistungen, flexible Arbeitszeiten und Weiterbildung setzen. Problematisch für viele KMU ist jedoch, dass sie sich diese Massnahmen aufgrund begrenzter Ressourcen oft nicht leisten können. KMU sind häufig durch eine Rollenüberlastung gekennzeichnet, was zu einem Mangel an spezialisiertem Wissen für nicht zum Kerngeschäft gehörende Aufgaben führt. Im Vergleich zu Grossunternehmen und Weltkonzernen, die umfassende Weiterbildungsprogramme, attraktive Zusatzleistungen und Karrieremöglichkeiten bieten, sind KMU oft im Nachteil. Mit geringeren Mitteln können KMU dem Fachkräftemangel jedoch wirksam begegnen, indem sie inklusive Arbeitskulturen schaffen. 
 
 

Wie zeichnen sich inklusive Arbeitskulturen aus? 

Inklusive Arbeitskulturen zeichnen sich durch Offenheit, Respekt, Vertrauen, Transparenz und psychologischer Sicherheit aus. Hier fühlen sich Führungskräfte und Mitarbeitende wertgeschätzt und sicher, ihre Meinung zu äussern und einen konstruktiven Beitrag zum grossen Ganzen zu leisten. Studien zeigen, dass Produktivität und Engagement in solchen Kulturen höher sind als in weniger inklusiven. 
 
Tragödien wie die Challenger-Explosion und die Deepwater-Horizon-Katastrophe sind zum Teil auf Arbeitskulturen zurückzuführen, die von Hierarchie, Angst und Unterdrückung geprägt sind. Solche Kulturen sind nicht inklusiv – sie können als toxisch bezeichnet werden – und führen dazu, dass Mitarbeitende Meinungen und Bedenken nicht äussern, was zu schwerwiegenden Fehlern und Katastrophen führen kann. In inklusiven Kulturen werden disruptive und abweichende Meinungen nicht nur akzeptiert, sondern gefördert, da sie Innovation und Exzellenz vorantreiben. 
 
 

Was bedeutet Inklusion?

Inklusion ist etwas anders als Integration. Während Integration bedeutet, dass sich neue Teammitglieder an das bestehende System anpassen, erfordert Inklusion, dass das bestehende Team offen für den Einfluss der neuen Mitglieder ist. Dies ermöglicht es, von ihren Erfahrungen und Ideen zu profitieren und fördert Kreativität und Innovation.
 
Inklusion hat zwei Dimensionen: Erstens, sich selbst bzw. sein «wahres Selbst» ausdrücken zu können (Einzigartigkeit), ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Zweitens, als vollwertiges Mitglied des Teams/der Organisation akzeptiert zu werden (Zugehörigkeit). Eine inklusive Arbeitskultur zeigt sich darin, dass sich jede Person unabhängig von Alter, Geschlechtszugehörigkeit, Sprache, Kultur, Herkunft usw. sowie Arbeits- und Kommunikationsstil sicher und wertgeschätzt fühlt. 
 
 

Der Nutzen von Inklusion – mehr als nur die Aktivierung von Vielfalt

Inklusion wird häufig im Zusammenhang mit Vielfalt, Diversität oder auch Heterogenität genannt und in Bezug auf unterrepräsentierte Gruppen und Diskriminierung diskutiert. Dies ist zwar richtig, greift aber zu kurz. Studien zeigen, dass Inklusion auch unabhängig vom Diversitätsmanagement Vorteile bietet. 
 
Im Folgenden sind einige der wichtigsten Vorteile inklusiver Arbeitskulturen aufgeführt: 
  • Höheres Engagement: Mitarbeitende, die sich einbezogen fühlen, setzen sich stärker für ihre Arbeit ein.
  • Höhere Produktivität: Das höhere Engagement führt zu einer höheren Produktivität.
  • Höhere Loyalität: Inklusive Arbeitskulturen fördern die Loyalität der Mitarbeitenden und senken die Rekrutierungs- und Weiterbildungskosten.
  • Stärkung der Arbeitgebermarke: Eine inklusive Kultur zieht Talente an und wirkt wie ein Magnet.
  • Höhere Zufriedenheit: Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden ist in einem inklusiven Umfeld höher, was auch das Arbeitsklima verbessert.
  • Bessere psychische Gesundheit: Inklusion verbessert die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der *Mitarbeitenden.
  • Geringere rechtliche Risiken: Eine inklusive Kultur verringert das Risiko von Rechtsstreitigkeiten aufgrund *von Diskriminierung und Nichtkonformität. 
 
 

Wer profitiert von Inklusion oder von inklusiven Arbeitskulturen?

Inklusion ist ein Konzept, von dem alle profitieren. Dies belegt eine Umfrage von Deloitte aus dem Jahr 2013. Darin gaben 61 % der Befragten zu, dass sie sich gezwungen fühlten, Aspekte ihrer Identität, Meinungen oder Überzeugungen am Arbeitsplatz aktiv zu verbergen. Diese auch als «Covering» bekannte Praxis gilt als Strategie zur Anpassung an gesellschaftliche Normen, um das Risiko von Ausgrenzung und Benachteiligung zu verringern. 45 % der weissen heterosexuellen Männer gaben ebenfalls zu, sich auf die eine oder andere Weise im Berufsalltag zu verstellen. Von mehr Inklusion profitieren also wirklich alle. Es liegt auf der Hand, dass Mitarbeitende, die sich inkludiert fühlen und sich nicht verstellen müssen, keine produktive Zeit damit verschwenden, Aspekte ihrer Identität, Meinungen und Überzeugungen zu verbergen.
 
 
 
 

Wie lassen sich inklusive Arbeitskulturen konkret aktiv gestalten?

Es empfiehlt sich, eine umfassende Inklusionsstrategie zu entwickeln, die alle relevanten Bereiche wie Markt, Talentakquise, Produktentwicklung, Unternehmenskultur und Compliance umfasst, um eine inklusive Kultur effektiv (weiter) zu entwickeln. 
 
Es ist wichtig, dieses Projekt als einen Veränderungsprozess zu verstehen. Die Förderung von Inklusion erfordert neue Denk- und Verhaltensweisen, die Zeit und Geduld sowie Demut erfordern, da die Entwicklung neuer Verhaltensweisen oft von Rückschlägen begleitet ist.
 
Für KMU mit begrenzten Ressourcen können bereits konkrete Massnahmen hilfreich sein, wie z. B:
  1. Das Engagement der Geschäftsleitung sicherstellen:
    Die Geschäftsleitung muss von den Vorteilen von Inklusion überzeugt sein, am besten nicht nur normativ. Die Ambitionen der Geschäftsleitung zur Förderung von Inklusion sollten in einem Leitbild oder einer Absichtserklärung zusammen mit messbaren Zielen festgehalten und in die Unternehmensstrategie integriert werden. Dies bildet die Grundlage für alle weiteren Massnahmen. 
  2. Unternehmenswerte mit den Inklusionszielen in Einklang bringen:
    Inwieweit tragen die Unternehmenswerte heute schon zu einer inklusiven Kultur bei? In einem ersten Schritt gilt es, zielführende inklusive Werte für das Unternehmen zu identifizieren, wie z. B. Vertrauen, psychologische Sicherheit und Fehlerkultur. Und in einem zweiten Schritt gilt es, die bestehenden Unternehmenswerte anhand der identifizierten inklusiven Werte zu überprüfen. Welche sind bereits vorhanden, welche sind möglicherweise hinderlich und welche fehlen noch? 
  3. Top-Down- und Bottom-Up-Ansätze verbinden:
    Inklusion sollte sowohl vom Management und den Führungskräften als auch von den Mitarbeitenden vorangetrieben werden. Initiativen der Mitarbeitenden wie Netzwerke und Employee Resource Groups (ERG) müssen unterstützt werden. 
  4. Der Schlüssel zu gelebter Inklusion – Führungskräfte befähigen:
    Führungskräfte sind aufgrund ihrer Vorbildfunktion entscheidend für die gelebte Inklusion der Mitarbeitenden. Sie müssen unterstützt und befähigt werden, ein inklusives Arbeitsumfeld zu schaffen. Inklusionskompetenz geht über die Sensibilisierung für unbewusste Vorurteile (2) hinaus, auch wenn diese wichtig ist. Eine zentrale Inklusionskompetenz ist die Selbsterkenntnis (1): Führungskräfte sollten u.a. ihre eigenen Arbeits- und Kommunikationspräferenzen sowie ihren Führungsstil kennen, da diese ihr Verhalten beeinflussen und die psychologische Sicherheit der Mitarbeitenden beeinträchtigen kann.
    Weitere wichtige Kompetenzen sind Selbstkompetenzen (3) wie Mut, Demut und Neugier sowie Sozialkompetenzen (4) wie Empathie und Diversitätsintelligenz. Für die Führung von heterogenen Teams sind die Kommunikations-, Kooperations- und Konfliktkompetenzen, die 3 Ks (5), besonders relevant.
  5. Inklusive Kommunikation im Alltag vorantreiben:
    Wie die CEO von Witty Works es perfekt auf den Punkt bringt: «Genauso wie du mit aggressiver Sprache ein aggressives Umfeld schafft, schafft man mit inklusiver Sprache ein inklusives Umfeld.» Studien, wie die der Technischen Universität München, zeigen, dass Sprache unterschiedlich interpretiert wird. Eine inklusive und respektvolle Kommunikation, sowohl mündlich als auch schriftlich, fördert eine inklusive Kultur. KI-basierte Plug-ins für Browser oder Microsoft Word bieten kostengünstige Unterstützung und zeigen nach bereits wenigen Wochen positive Verhaltensänderungen.
  6. Das Personal sensibilisieren und ermutigen:
    Auch Mitarbeitende sollten zur Förderung einer inklusiven Alltagskultur beitragen. Dies kann durch Workshops oder E-Learning geschehen, ergänzt durch Austauschgruppen, um den Lernerfolg und die Anwendung im Alltag zu verbessern.
  7. Personal- und Rekrutierungsverantwortliche einbeziehen:
    In interaktiven Workshops sollte der Rekrutierungsprozess kritisch hinterfragt und Massnahmen identifiziert werden, um breitere Talentpools zu erschliessen. Auch weitere HR-Prozesse wie Beurteilungen und Beförderungen sollten überprüft werden, um tatsächlich faire Chancen für alle zu gewährleisten.
  8. Kommunikationsverantwortlichen sensibilisieren:
    Bilder und Sprache wirken auf verschiedene Zielgruppen unterschiedlich. Dies sollte erkannt werden. Workshops können helfen, das Bewusstsein für die Wirkung von Bildern und Sprache zu schärfen und Massnahmen für die interne und externe Unternehmenskommunikation zu identifizieren.
 
 

Schlussfolgerung 

Inklusion nicht aktiv zu fördern, ist ein strategischer Fehler. Ohne Inklusion bleibt das Innovations- und Leistungspotenzial von Vielfalt ungenutzt. Noch kritischer: Talente könnten das Unternehmen schneller verlassen, was den Fachkräftemangel weiter verschärft.
 
Auch KMU können Inklusion schrittweise und mit geringen Mitteln fördern. Kurzprojekte wie die Beratung der Geschäftsführung und der Personalabteilung, interaktive Workshops und Coachings für Führungskräfte und der Einsatz von KI-Tools können dazu beitragen, eine inklusive Kultur zu fördern. 
 
Die Vorteile einer inklusiven Arbeitskultur überwiegen bei weitem die anfänglichen Investitionen. Davon sollten sich Unternehmensleitungen und Führungskräfte überzeugen lassen. Letztlich geht es um die langfristige Zukunftsfähigkeit Ihres Unternehmens.

 

 

Der Autor

Jérôme Oguey, Betriebsökonom FH und mehrfach zertifizierter Coach, ist Gründer und Geschäftsführer von INLEAD®. *Er begleitet und befähigt Führungskräfte in Leadership-, Team- und Inklusionsfragen. Zudem berät er Unternehmen und HR-Teams als Experte in der Organisationsentwicklung und der Förderung von inklusiven Arbeitskulturen. www.inlead.ch

 

 

Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 24-3

 

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