Siegfried Laibach, Geschäftsführer der VLEXbusiness AG, spricht im Interview über Variantenvielfalt, digitale Ökosysteme und die Kunst, ERP-Projekte mit Mass und Menschlichkeit umzusetzen. Zwischen Smart Factory, KI und Prozesskosten zeigt sich: Wer ERP als Werkzeug versteht, kann Wandel gestalten statt nur verwalten.

Siegfried Laibach, Geschäftsführer der VLEXbusiness AG, im Interview mit der topsoft Fachredaktion (Bild zVg)
topsoft Fachredaktion: In welchen Branchen und Szenarien kommt Ihre ERP-Lösung besonders gut zum Einsatz?
Siegfried Laibach: Unsere ERP-Lösung VLEX entfaltet ihre Stärken überall dort, wo Variantenvielfalt auf komplexe Produktions- und Logistikprozesse trifft. Ursprünglich auf Losgrösse 1 fokussiert, hat sich VLEX kontinuierlich weiterentwickelt – hin zu hybriden Szenarien, die Einzel- und Kleinserienfertigung ebenso abdecken wie MTO-, CTO-, ETO- und Grossserienmodelle. Besonders stark ist VLEX dort, wo Intralogistik, Intercompany-Prozesse und mehrstufige Produktion über Standorte und Landesgrenzen hinweg zusammenspielen. Denn es geht nicht nur um Software, sondern um das Zusammenspiel von Prozessen, Daten und Menschen.
«Variante» ist dabei keine Branche, sondern eine Eigenschaft von Produkten – und die begegnet uns in vielen Bereichen: Möbel, Bauelemente, Holz, Elektrotechnik, Nutzfahrzeuge und deren Aufbauten. Auch die Nahrungsmittelbranche ist vor uns nicht «sicher», im Gegenteil: Gerade dort, wo das Eingangsprodukt stark schwankt, etwa in Qualität oder Preis, braucht es eine Lösung, die flexibel und gleichzeitig revisionssicher ist. Unsere Kunden schätzen die «Höhe, Breite und Tiefe» unserer Lösung – und die Leistung unserer Consultants, die diese Komplexität beherrschbar machen.
Was zeichnet Ihre Arbeitsweise und Ihre Kundenbeziehungen aus?
Unsere Kunden sind meist inhabergeführte KMU mit 150 bis 3000 Mitarbeitenden, oft mit mehreren internationalen Standorten. In komplexen Change-Management-Prozessen agieren wir mittelstandsgerecht und auf Augenhöhe. Das klingt vielleicht wie eine Floskel, aber es ist gelebte Praxis. Wir hören oft Sätze wie: «Die Art und Weise, wie Sie das Projekt angehen – das hat uns überzeugt.» Gemeint ist damit nicht nur die Methodik, sondern auch die Haltung: Nähe, Pragmatismus, die Bereitschaft, auch mal spontan zum Hörer zu greifen, statt alles in Tickets zu giessen.
Natürlich braucht es Formalismen, keine Frage. Aber es braucht eben auch den Mut, situativ zu handeln, Dinge zuzulassen, die nicht im Projektplan stehen. Diese Mischung aus Struktur und Spontaneität ist etwas, das unsere Kunden sehr schätzen. Und sie spüren, dass wir nicht nur Software liefern, sondern Verantwortung übernehmen.
Wie sehen Sie die Zukunft der ERP-Systeme?
Die Konsolidierung der ERP-Systeme und der Partnerlandschaft ist längst im Gange – und wir sind gekommen, um zu bleiben. Ich glaube, dass sich digitale Ökosysteme durchsetzen werden, mit einem stabilen, offenen ERP-Kern, der über Webservices angesprochen werden kann. Die Zukunft liegt nicht im monolithischen System, das alles können will, und auch nicht im übertriebenen Best-of-Breed-Ansatz, bei dem jede Funktion ein eigenes Tool bekommt. Beide Extreme sind zu träge.
Was es braucht, ist ein ERP, das offen genug ist für Integration, aber stabil genug für den Alltag. Und das Ganze muss skalierbar sein – nicht nur technisch, sondern auch organisatorisch. In diesem Zusammenhang möchte ich der topsoft bzw. schmid + siegenthaler consulting zum 20-jährigen Jubiläum gratulieren: Ihre Informationskultur trägt dazu bei, die Vielfalt der Möglichkeiten mit Mass und Ziel zu beleuchten – und das mit einem erfreulich neutralen Blick.
Welche technologischen Trends beschäftigen Ihre Kunden aktuell – und was davon ist wirklich relevant?
Greifen wir mal das Thema Smart Factory heraus. Unternehmen brauchen ein klares Zielbild: Was wollen sie erreichen? Geht es um Echtzeit-Rückmeldungen von Maschinen, um Zustandsdaten, um Auswertungen? Meist ist es eine Mischung aus allem. Aber das Interesse allein bringt noch keine Lösung. Es braucht Priorisierung und eine Portionierungsstrategie, die für die Organisation «verdaubar» ist.
KVP ist hier ein zentrales Stichwort. Der Ansatz «Think big, start small» ist nicht nur ein Spruch, sondern eine echte Strategie. Es geht darum, taktische Lösungen zu ermöglichen, die in einen grösseren Kontext passen – und dabei die IT-Architektur so zu gestalten, dass sie nicht zur Komplexitätsfalle wird. Ganz praktische Fragen wie: Was macht das ERP, was das Subsystem? Hier werden Weichen gestellt, die später über Erfolg oder Frust entscheiden.
Und dann das Thema KI: Ein Feld, das viele fasziniert, aber auch überfordert. Die einfache Formel lautet: Je grösser und komplexer die Datenmengen, desto relevanter wird KI. Maschinelles Lernen und Deep Learning können Muster, Korrelationen und Strukturen erkennen – aber nur, wenn man die richtigen Fragen stellt. Ein entscheidender Unterschied bei KI liegt in der Kommunikation: Man gibt ihr entweder konkrete Anweisungen oder nur wenige, gezielte Impulse – letzteres ermöglicht eine flexible, stetige Weiterentwicklung. Mit unserem KI-Assistenten ChatTERP sind wir auf spannenden Wegen unterwegs – zur Datenanalyse und zur Automatisierung von Aufgaben, die früher viel Zeit gekostet haben.
Was beschäftigt Ihre Kunden im Alltag – also «Brot-und-Butter-Themen», jenseits der Buzzwords?
(lacht) Ja, das mit «Brot und Butter» ist so eine Sache. Was heute noch Grundnahrungsmittel ist, kann morgen schon ranzig sein – um im Bild zu bleiben. Unternehmen müssen am Ball bleiben und das ist gar nicht so einfach. Die Fragen, die sich unsere Kunden stellen, sind sehr konkret: Welche Innovationen sind für mein Unternehmen sinnvoll? Was brauche ich dafür? Welche Zutaten führen zur Erkenntnis?
Eine gute Kenntnis der eigenen Prozesskosten ist dabei essenziell. Nur so kann ich beurteilen, wo das Geld auf der Strasse liegt – oder wissenschaftlicher formuliert: Wo sind die Kostentreiber, wo die Umsatzbringer? Und dann braucht es einen Kompass, eine Vision: Wo will ich hin? Wie sieht mein Unternehmen morgen aus? Der Eishockeyspieler läuft nicht dahin, wo der Puck liegt, sondern dahin, wo er liegen wird. Und wieder sind wir beim KVP – der Gedanke nach der Einführung ist vor der Einführung.
Welche typischen Fallstricke sehen Sie bei ERP-Einführungen?
Dazu könnte man ein Buch schreiben – aber ich versuche es mit zwei Schlaglichtern aus der Praxis. Ein häufiger Fehler ist, sich in hunderten Business-Process-Templates zu verlieren. Es gibt Anbieter, die das als Transparenz verkaufen – andere nennen es Verwirrung. Stattdessen sollte man sich mit den eigenen Prozessen beschäftigen und sie unter einem einfachen Gesichtspunkt modellieren: Menge × Zeit der Aufgaben, Eintrittswahrscheinlichkeit eines Fehlers, potenzielle Schadenshöhe.
Ein Beispiel aus der Logistik: Unübersichtlichkeit im Lager – wie viele Dimensionen hat das Problem, wie lässt es sich bewältigen, wie viel Systemunterstützung ist nötig? Solche Fragen sind nicht trivial, aber sie lassen sich beantworten – wenn man bereit ist, ehrlich hinzuschauen und nicht nur auf die Oberfläche zu reagieren.
Ein zweites Beispiel aus der Produktion: Wenn Variantenfertigung auf manuelle Arbeitsvorbereitung trifft, entstehen oft Medienbrüche und unnötige Schleifen. Die Frage ist: Wie lassen sich Stücklisten, Arbeitspläne und Fertigungsdaten so integrieren, dass der Informationsfluss stabil bleibt – auch bei kurzfristigen Änderungen? Hier entscheidet sich, ob ein ERP-System wirklich mitdenkt oder nur verwaltet.
Wenn Sie einem KMU nur einen einzigen Tipp mitgeben dürften – was wäre das?
Setzen Sie auf das richtige Mindset. Die Einführung eines neuen ERP-Systems ist kein IT-Projekt, sondern ein Veränderungsprozess. Und der steht oder fällt mit den Menschen.
Meine Faustregel: Sie brauchen sieben Mitarbeitende, die sagen «Ja – wenn …», um den Wandel voranzutreiben. Aber sieben, die sagen «Nein – weil …», reichen aus, um ihn zu blockieren. Identifizieren Sie die Erstgenannten frühzeitig, stärken Sie sie, und machen Sie sie zu Verbündeten des Wandels.
Das Interview führte Cyrill Schmid, topsoft Fachredaktion
Dieser Beitrag wurde ermöglicht durch VLEXbusiness AG, dem ERP-Partner der mittelständischen Fertigungsindustrie. Das Systemhaus bietet Lösungen und Managed Services aus einer Hand. www.vlexplus.com
Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 25-3
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