Stellen Sie sich vor, Sie stehen am Ufer eines Flusses. Auf der einen Seite sehen Sie die diskrete Fertigung, eine Welt, in der jedes einzelne Stück zählt und gezählt wird. Auf der anderen Seite liegt die Prozessindustrie, ein Reich der Massen und Mischungen, wo Kilogramm und Liter das Sagen haben. Zwei unterschiedliche Welten könnte man meinen. Doch die Realität zeigt: Die Grenzen zwischen diesen Welten verschwimmen immer mehr. Hersteller und Produzenten navigieren täglich zwischen beiden Ufern auf der Suche nach der idealen Fertigungs-IT, die beide Seiten vereint. Willkommen in der Ära der Unified Manufacturing IT.
Unified Manufacturing IT – eine Brücke zwischen zwei Welten
(Bildquelle: MPDV, Adobe Stock, DZMITRY PALUBIATKA, KeetaKawee)
Neben dem klassischen Manufacturing Execution System (MES) für die diskrete Fertigung und Software für die Prozessindustrie sollte es Lösungen geben, die auf beiden Seiten des Flusses zu Hause sind. Denn nicht selten werden im ersten Schritt Pulver oder Flüssigkeiten hergestellt (Prozessindustrie), die dann abgefüllt oder gepresst und schliesslich verpackt werden (diskrete Fertigung). Man könnte meinen, dafür bräuchte man zwei unterschiedliche Systeme, die die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Welt abbilden. Die Folge wären pflegeintensive Schnittstellen zwischen den Systemen. Zudem wären damit übergreifende Auswertungen kaum möglich, da die Bewertungskriterien beider Welten recht unterschiedlich sind. Aber muss das so sein? Dafür lohnt sich ein detaillierter Blick auf beide Welten.
Zwei Seiten, ein Ziel
Der grösste Unterschied zwischen der diskreten Fertigung und der Prozessindustrie liegt auf der Hand: einmal geht es um Stückzahlen und einmal um Kilogramm oder Liter. Diskret hergestellte Teile kann man zählen – für hergestellte Pulver oder Flüssigkeiten braucht man eine Waage, einen Messbecher oder grössere Äquivalente, um die Menge zu bestimmen. Glücklicherweise gibt es auch in der diskreten Fertigung Eingangsmaterialien, die nicht gezählt werden können, zum Beispiel Kunststoffgranulat beim Spritzgiessen. Daher sind Einheiten wie Kilogramm oder Liter hier nicht fremd.
Beispiel: Ausschuss
Spannend wird die Betrachtung von Ausschuss. In der diskreten Fertigung bezeichnet man alle hergestellten Teile, die nicht die Anforderungen erfüllen, als Ausschuss. Entsprechend einfach ist die Berechnung der Ausschussquote: Man teilt die Anzahl der schlechten Teile durch die Anzahl der insgesamt hergestellten Teile.
In der Prozessindustrie ist das nicht ganz so einfach, da die gesamte produzierte Menge unbrauchbar wird, wenn sie den Qualitäts- und Rezepturanforderungen nicht entspricht. Daher geht es hier darum, alle Rohstoffe und Komponenten in richtiger Qualität, Zeit und Menge zu steuern, rückverfolgbar zu machen und zu erfassen, wie viel von dem eingesetzten Material auch wirklich im fertigen Produkt ankommt. Ausschuss entsteht dann, wenn zum Beispiel beim Verwiegen Material neben den Zielbehälter fällt oder beim Mischen Rückstände in der Maschine bleiben. Die Berechnung der Ausschussquote bezieht sich also auf unterschiedliche Materialmengen und ist daher oftmals nicht ganz so einfach zu berechnen. Mit dem passenden IT-System ist das aber definitiv machbar.
Verfahren der Prozessindustrie gehen oftmals nahtlos in diskrete Fertigungsverfahren über.
Hierfür braucht es geeignete Fertigungs-IT. (Bildquelle: MPDV)
Beispiel: Maschinendatenerfassung
Auch bei der Erfassung von maschinenbezogenen Daten gibt es Unterschiede. Während in der diskreten Fertigung der Zyklus, also die Zeit, in der ein Teil hergestellt wird oder eine Maschine einen Hub macht, eine zentrale Rolle einnimmt, so existiert in der Prozessindustrie kein Äquivalent dazu. Entsprechende Unterschiede ergeben sich im Detail bei der Berechnung von wichtigen Kennzahlen wie dem OEE-Index (Overall Equipment Effectiveness), in dem sowohl der Zyklus als auch der Ausschuss eine Rolle spielen – zumindest, wenn man diese Kennzahl in der diskreten Welt berechnet.
In der Prozessindustrie braucht es also teilweise andere Methoden, um relevante Kennzahlen zu berechnen. Grundsätzlich gibt es aber Möglichkeiten, die unterschiedlichen Gegebenheiten in der diskreten Fertigung und der Prozessindustrie „unter einen Hut“ zu bringen. Doch wie sieht es mit den Anforderungen an die Fertigungs-IT aus?
Gemeinsamkeiten nutzen, Unterschiede überbrücken
Zunächst gibt es gemeinsame Anforderungen an die Fertigungs- & Produktions-IT, die sich mit den Schlagworten Transparenz, Effizienz und Qualität zusammenfassen lassen.
- Transparenz: In der Produktion müssen Daten erfasst und angezeigt werden.
- Effizienz: Produktionsaufträge müssen optimal geplant werden.
- Qualität: Alle Herstellungsprozesse müssen kontinuierlich überwacht werden und rückverfolgbar sein.
Die Unterschiede zwischen diskreter Fertigung und Prozessindustrie liegen im Detail:
- Es werden unterschiedliche Daten erfasst: Stückzahlen und Zyklus vs. Volumen und Verarbeitungszeit.
- Beim Planen unterscheiden sich die primären Entscheidungskriterien: Verfügbarkeit von Maschinen und Werkzeugen vs. Haltbarkeit von Material.
- In der Qualitätsüberwachung zeigen sich deutliche Unterschiede: Beurteilung einzelner Exemplare vs. Prüfung der kompletten Menge oder Produktionscharge.
Hinzu kommen spezifische Vorgänge, die es nur auf einer der beiden Seiten gibt. Dazu gehört in der Prozessindustrie zum Beispiel das Verwiegen, Dosieren und Mischen von flüssigen oder pulverförmigen Rohstoffen.
Auch die Berechnung des Auftragsfortschritts stellt die Fertigungs- & Produktions-IT vor unterschiedliche Herausforderungen, die aber keineswegs unvereinbar sind. Während ein diskreter Vorgang meist an der Zahl der bereits fertiggestellten Artikel gemessen werden kann, ist der Auftragsfortschritt in der Prozessindustrie in der Regel von der Zeit abhängig, die seit Beginn des Vorgangs vergangen ist. Neben den vielen Gemeinsamkeiten gibt es also auch zahlreiche Unterschiede, die die Fertigungs-IT adäquat abbilden muss.
Unified Manufacturing IT wie das Manufacturing Execution System (MES) HYDRA X von MPDV überwindet die Grenze zwischen Prozessindustrie und diskreter Fertigung. (Bildquelle: MPDV, Adobe Stock, asayenka)
Von der Idee zur Realität: Unified Manufacturing IT
Die meisten Anforderungen lassen sich so weit abstrahieren, dass die gemeinsame Nutzung einer Softwarefunktion in beiden Welten möglich ist. Andere Anforderungen sollten mit speziellen Funktionen abgebildet werden. Das Erfassen von Daten und die Produktionsplanung im Allgemeinen gehören zu den Funktionen, die üblicherweise in beiden Welten genutzt werden können. Für die Qualitätsüberwachung sowie für spezifische Prozesse braucht es meist eigene Anwendungen, da sich die Anforderungen und Methoden zu sehr unterscheiden. Auch am Beispiel von Kennzahlen lässt sich nachvollziehen, dass zwar deren Berechnung auf unterschiedliche Weisen erfolgt. Das Ergebnis ist jedoch immer das gleiche – ein aussagekräftiger und verlässlicher Indikator für die Leistung und Qualität in der Produktion.
Wie wäre es also, wenn man abstrahierte Funktionen und spezielle Anwendungen miteinander verknüpfen könnte? Eine solche gemeinsame Fertigungs-IT, die übergreifende Auswertungen und Planungen ermöglicht, gibt es und heisst Unified Manufacturing IT.
Fazit: Ein neues Zeitalter der Fertigungs-IT
Am Schluss zählt nur das, was der Kunde in Händen hält. Alles, was nicht direkt zur Wertschöpfung beiträgt, wie unnötige Wartezeiten oder Ausschuss, sollte vermieden werden. Die gute Nachricht: Mit der richtigen Fertigungs-IT gelingt das sowohl in der diskreten Fertigung als auch in der Prozessindustrie. Wenn man Welten allerdings gemeinsam betrachtet, dann funktioniert das noch viel besser. Wie wäre es mit einer Lösung, die beide Welten versteht und spricht – also eine Software, die nicht nur die Sprache der Stückzahlen kennt, sondern auch mit Kilogramm und Litern jonglieren kann? Unified Manufacturing IT ist nicht nur ein Traum, sondern eine realisierte Vision, die die Effizienz und Effektivität auf ein neues Level hebt. Willkommen in einem neuen Zeitalter der Fertigungs-IT, in dem die Grenzen zwischen den Welten nicht nur verschwimmen, sondern endgültig verschwinden.
Der Autor
Markus Diesner ist Principal Marketing bei MPDV (Bildquelle: MPDV)
MPDV Schweiz AG | 8500 Frauenfeld | www.mpdv.com
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