An den Dept Talks vom 20. August haben vier Fachpersonen über Digitalisierung und Ethik diskutiert. Die Frage, die sich stellte: Wo lassen sich die Grenzen ziehen zwischen «richtig» und «falsch»?
Passend zu Covid-Zeiten moderierte SRF-Persönlich-Moderatorin Sonja Hasler ein Panel, bei dem die Hälfte der Teilnehmer im Aroma-Studio in Oerlikon vor Publikum sass und die anderen via Livestream zugeschaltet waren, so wie das übrige Publikum auch.
(Bild: dept Agency)
Um es gleich vorweg zu nehmen: Es ist anspruchsvoll, Grenzen zwischen Digitalisierung und Ethik zu ziehen. Die Diskussion hat gezeigt, wie vielschichtig das Thema ist; unterschiedliche Perspektiven und Werthaltungen lassen keine eindeutigen Antworten zu.
Targeting und Dark Ads: Wo ist der Unterschied?
Als Managing Director von
Dept habe ich in meiner Begrüssung klar gemacht, warum wir das Thema auf die Agenda gesetzt haben: «Wir müssen aus unserer Bubble ausbrechen: Unsere Arbeit als Digital Marketer findet in einem weitaus grösseren Kontext statt und hat Implikationen, über die wir im Alltag nicht genügend nachdenken».
Aufgerüttelt haben uns die Diskussionen um Dark Ads, also Inserate von politischen Akteuren, die bei Facebook nur für ausgewählte Personen geschaltet werden. «Bei uns im Digital Marketing nennt man das Targeting und was für uns völlig normal ist, verändert in einem politischen Kontext viel. Wenn Staubsauger-Ads nur jenen Leuten gezeigt werden, die sich auch für Staubsauger interessieren, dann ist das sinnvoll. Wenn aber politische Statements und Inhalte unter dem Radar nur einem bestimmten Zielpublikum zugespielt werden, verschwindet eine Rechenschaftspflicht. Die Möglichkeiten, darüber zu diskutieren, reduzieren sich, der Austausch wird beschädigt und damit ein Teil einer demokratischen Gesellschaft.»
Deshalb komme ich zum Schluss: «Unser Staubsauger-Targeting prägt die Politik mit.» Was wie eine arge Verkürzung klingt, stimmt im Kern. Denn wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht dasselbe, auch in der Digitalisierung nicht.
Ethik hat viele Facetten
Sonja Hasler knüpfte an und fragte: «Wo sind die Grenzen? Ist alles, was technisch möglich ist, auch gut? Was ist ethisch korrekt und was weniger?» Und sie stellte die Frage nach dem bewussten Verzicht: «Welche technischen Möglichkeiten wollen Sie vielleicht nicht nutzen, weil sie Werten wie Selbstbestimmung, Fairness, Gerechtigkeit, Diversity, Transparenz usw. widersprechen?»
Bei der Frage ans Panel, wer die Covid19-App installiert habe, gab es grosse Einigkeit: Alle haben sie installiert, weil sie «sauber» ist. Will heissen: Der Datenschutz ist gewährleistet, der Code ist Open-Source und damit die technische Transparenz sichergestellt, mit ETH und EPFL waren angesehene und vertrauenswürdige Institutionen am Protokoll der App beteiligt und auf Kritik wird reagiert. Zur Bestnote fehlt nur noch, dass Google für Bluetooth Light die Location-Abhängigkeit ablöst, aber auch das wird gemäss Adrienne Fichter demnächst umgesetzt.
Ein Panel auf dem sich alle einig sind, ist das nicht etwas langweilig? Nein! Die verschiedenen Perspektiven kamen im Verlaufe des Abends durchaus zur Geltung. Aber diese erste, von Sonja Hasler geschickt platzierte Frage zeigt: Digitalisierung ist ein Thema mit vielen Facetten, das durchaus polarisiert. In der Diskussion hat Profi-Ethikerin Cornelia Diethelm denn auch eine Art Vermittlerrolle übernommen. Sie hat zwar eine klare Meinung vertreten, jedoch differenziert und auf unterschiedliche Perspektiven, Motivationen und Werte verwiesen. Schwarz-Weiss-Malerei ist beim Thema Digitalisierung fehl am Platz.
The Winner takes it all
Perspektiven gab es im Panel verschiedene: Da der Unternehmer, der für seine Produkte Käufer finden will, dort der politische Aktivist, der von Meinungen überzeugen will. Beide nutzen die Möglichkeiten, die ihnen das Internet bietet. Ob sie ethisch vertretbar sind? Cornelia Diethelm meint dazu lakonisch: «Jeder findet in seinem Bereich: Das ist nicht so schlimm» und stellt eine gewisse Blindheit gegenüber der eigenen Branche fest. Klingt so ein bisschen nach der Haustür und dem Besen. Fakt ist, dass der Markt klein ist, es sind die paar Grossen, nennen wir sie GAFA, die ihn fest im Griff haben. Und weil es gemäss Malte Polzin die Kleinen verpasst haben, eigene, reichweitenstarke Plattformen aufzubauen, sind alle, die etwas erreichen wollen, wohl oder übel auf die grossen Plattformen angewiesen.
Ob für die zielgruppengenaue Werbung, den Betrieb des Online-Shops oder die Analyse des Webtraffics. Die Auswahl fällt immer in etwa auf die gleichen, allgemein bekannten Anbieter. Diese stehen aber – nicht nur auf diesem Panel – mit ihren Praktiken in der Kritik. Die EU hat mit der Datenschutzgrundverordnung DSGVO schon ganze Arbeit geleistet – kaum eine Seite in Deutschland kommt noch ohne nervige Cookie-Banner aus, im schlimmsten Fall mitten im Screen, der ein Weiterlesen verunmöglicht. Dafür darf der Besucher wählen, welche Art von Cookies er denn nun annehmen will und was er nicht mag – die Überforderung ist vorprogrammiert. Die Resignation auch.
Gemäss Malte Polzin sind es vor allem klein- und mittelgrosse Unternehmen KMU, die versuchen, rechtskonform zu sein und teils wohl nicht mal wüssten, was sie mit den ganzen Daten machen könnten, während die Grossen Dinge tun, die wir uns nicht mal erträumen können. Mit Blick auf immer wieder geforderte Regulierungen verdeutlicht Cornelia Diethelm: «Wir sollten nicht kleine KMU – davon haben wir etwa 97 % in der Schweiz – belästigen mit Anforderungen. Eigentlich suchen wir jene 3 %, die uns Bauchschmerzen bereiten und die in manipulative Praktiken investieren».
Wir leben in Zeiten der digitalen Selbstverteidigung
Daten brauchen alle, die ihre Ziele wirkungsvoll umsetzen wollen. Selbst Dimitri Rougy, der betont, dass seine Kampagnen immer auf Menschen basieren, räumt auf Nachfrage von Sonja Hasler ein: «Wir fragen die Leute nach ihrer Mailadresse, denn in politischen Kampagnen ist diese die Währung, zusammen mit der Telefon- bzw. Handynummer. Ohne Kontaktmöglichkeiten können wir die Leute gar nicht aktivieren» Malte Polzin macht sich als Konsument keine Illusion: «Bei allen Diensten, die ich gratis nutze, werden meine Daten in irgendeiner Form genutzt, da bin ich das Produkt und dessen sollte sich jeder bewusst sein.»
Aus dem Publikum kam dann auch Forderung, schon in der Schule Medienkompetenz beizubringen. Cornelia Diethelm betont die Wichtigkeit des Kerns dieser Forderung und sieht darin den Schlüssel, weil wir drei Rollen in uns vereinen: «Wir sind als Konsumentinnen betroffen, wir arbeiten in einem Unternehmen und wir prägen auch die Politik mit.»
Als Konsumentinnen und Konsumenten sind wir nicht allem ausgeliefert, sondern wir können kleine Dinge tun. Cornelia Diethelm rät dazu, bei Facebook und LinkedIn die Privatsphären-Einstellungen zu kontrollieren und anzupassen oder beim Einkauf dem lokalen Buchhändler statt Amazon den Vorzug zu geben. Und auch Malte Polzin ist der Meinung, dass man nicht alles unterstützen müsse, was eine App ermöglicht. So kann durchaus darauf verzichtet werden, bei WhatsApp das ganze Telefonbuch hochzuladen. Adrienne Fichter geht in die gleiche Richtung, gibt sich aber kämpferischer: «Wir leben seit 25 Jahren in einem mittlerweile sehr kommerzialisierten Internet und wir leben in einem Zeitalter der digitalen Selbstverteidigung».
Forderung nach Transparenz und Wahlfreiheit
Die Forderung an die Anbieter im Web bleibt – ob Grosskonzerne, Unternehmen oder politische aktive Organisationen: Das Panel fordert Transparenz über die Verwendung von Daten und die Wahlfreiheit, Zugänge zu verwehren oder Dienste nur teilweise zu nutzen. Adrienne Fichter bringt in diesem Zusammenhang die Idee einer Art «Bio-Labels» ein, bei dem gegen Bezahlung auch verlangt werden kann, dass die persönlichen Daten nicht für andere Zwecke weiterverarbeitet werden.
Die Diskussion um Ethik und Digitalisierung ist eine moralische Debatte und damit ein Prozess, wie ein Teilnehmer im Chat festhält. Cornelia Diethelm rät denn auch dazu, das Thema präsent zu halten und immer wieder zu diskutieren. Und in Unternehmen würde sie es begrüssen, wenn die Position oder die Rolle eines Ethik-Beauftragten geschaffen würde.