Digitale Zwillinge – Innovationsschub für viele Branchen

22.10.2020
4 Min.
Der digitale Zwilling ist das Herzstück der Digitalisierung und schafft für Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten, die künftigen Abläufe entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu optimieren. Dies gilt insbesondere auch in der Gebäudeindustrie.
 
Die Zukunft der Gebäudeindustrie ist digital – und basiert auf einem ganzheitlichen Ansatz, der alle Stakeholder (wie z. B. Architekt, Planer, Facility Manager, Nutzer) entlang der Wertschöpfungskette vernetzt. Die Zutaten sind ein umfassendes Produkt-, System- und Software-Portfolio, modernste Technologien und ein fundiertes Fachwissen. Zusammen treibt dies die Digitalisierung von Gebäuden seit Jahren voran. 
 
(Bild: EPStudio20 / shutterstock.com / mindscale gmbh)
 
Die Vorteile liegen auf der Hand, denn technologiegestützte Gebäude lassen sich nicht nur besser steuern und überwachen, sie werden auch flexibler in der Nutzung und können sich in Echtzeit selbstoptimierend an Veränderungen anpassen. Das übergeordnete Ziel: Schaffung klarer Strukturen, effiziente Prozesse, geringere Kosten, kein Informationsverlust und eine höhere Qualität. Die Lösung: Digitale Zwillinge. Längst in der Branche angekommen, haben sie hierzulande noch grosses Zukunftspotenzial.
 
Der digitale Zwilling verbindet die reale mit der digitalen Welt und bildet ein bestehendes oder in der Realisierung befindliches Gebäude ab. Er ist das exakte virtuelle Modell eines Produkts, eines kompletten Gebäudes, und berücksichtigt den Faktor Zeit. Er ist daher dynamisch und «lebendig», verbindet er doch jederzeit die reale mit der digitalen Welt, über den kompletten Lebenszyklus. So werden alle Daten und Fakten bereits von der ersten Idee über die Planung und der Errichtung, bis hin zum eigentlichen Betrieb und dem späteren Rückbau berücksichtigt.
 
Für ein ganzheitliches Konzept kommen in der Praxis meist drei digitale Zwillinge zur Anwendung. Für Gebäude sind dies der digitale Produktzwilling (produktspezifische Daten wie Grösse, Farbe), der digitale Konstruktionszwilling (3D CAD Daten, Standort-Asset-Pläne etc.), und der digitale Performance Zwilling (Monitoring, Analysen etc.). Diese digitalen Zwillinge sind miteinander verbunden und kommunizieren in Echtzeit untereinander. Mit durchgehend verbauten Sensoren, Konnektivität, definierten Datenstrukturen und User Interfaces entsteht die volle Funktionalität digitaler Zwillinge. Die gesammelten Daten, unter Berücksichtigung von Datenqualität und -sicherheit, werden mit künstlicher Intelligenz und Algorithmen ausgewertet. Das Gebäude wird intelligent.
 
 

Digitale Zwillinge und ihre wesentlichen Merkmale

  • Sensoren, die einen aktuellen Status ermitteln
  • Konnektivität, welche Objekte und Produkte vernetzt
  • Definierte Datenstrukturen, inkl. Daten-analyse-Funktionalitäten, Sicherheitsaspekte
  • User Interface, zur Visualisierung der relevanten Daten
 
 

Definition Digitaler Zwilling 

Der Begriff «digitaler Zwilling» bezeichnet die beim Building Information Modelling (Methode der vernetzten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden und Bauwerken mithilfe von Software) eingesetzten virtuellen Gebäudemodelle. Bei dieser Methode wird das Gebäude und dessen Gewerke zuerst am Computer entwickelt, und anschliessend anhand eines virtuellen Modells simuliert, getestet und optimiert. Dadurch lassen sich eventuelle Planungsfehler schon vor Baubeginn erkennen und beheben, Änderungen können einfacher vorgenommen werden und Auswirkungen, beispielsweise die Umstellung der Stromversorgung, können analysiert werden.
 
Ein digitaler Gebäudezwilling ist nicht einfach eine dreidimensionale Abbildung eines reellen Gebäudes. Ein digitaler Zwilling ist ein digitales Modell, das als digitales Abbild die Struktur und das Verhalten eines Gebäudes mit interaktiven Vernetzungen zum physischen Zwilling, dem (künftigen) realen Gebäude, aufzeigt. Diese Vernetzungen übertragen in Echtzeit Daten und Informationen, wie etwa Zustands-, Nutzungs- oder Performancedaten sowie Steuerungsbefehle. 
 
 
«Die Digitalisierung sorgt für Nachhaltigkeit in der Gebäudeindustrie. Digitale Zwillinge können die Effizienz durch zahlreiche Optimierungen entlang des Gebäudelebenszyklus steigern, die weit mehr als nur die Funktionen eines Gebäudemanagementsystems betreffen. Digitale Zwillinge sind die Grundlage für intelligente Gebäude, und tragen durch verbesserte Datenqualität auch zur Gesundheit und zum Wohlbefinden der Nutzer bei, z. B. über ein verbessertes Raumklima, eine ausreichende Belüftung und hohe Lichtqualität.» 
Zitat Stephanie Züllig.
 
 

Beispiele neuer Geschäftsmodelle

Der Einsatz von digitalen Zwillingen ermöglicht neue Geschäftsmodelle, denn mit den richtigen und sicheren Daten entstehen qualitativ hochwertige und wertvolle Services und Dienstleistungen
 
  • Vorausschauende Wartung: Aufgrund der Analyse-Lösungen werden Prognosen über künftige Ereignisse möglich. Mit dem digitalen Zwilling können beispielsweise Störungen im Gebäudebetrieb bereits im Vorfeld erkannt und behoben werden. Wenn im Gebäude ein Lüftungsaggregat nicht richtig funktioniert, so meldet der in-stallierte Sensor diesen Zwischenfall – und bevor das Aggregat zum Stillstand kommt, kann die Störung bereits behoben werden. 
  • Gebäude-Betrieb: Ca. 80 % aller Kosten fallen in dieser Phase des Lebenszyklus an. Ein grosser Kostenfaktor im Betrieb von Gebäuden sind nicht genutzte Flächen bzw. leerstehende Räumlichkeiten. Die sinnvolle Belegung von Räumen oder Sitzungszimmern kann mit den Daten des digitalen Zwillings in Echtzeit koordiniert und optimiert werden. Eine flexible Nutzung von Gebäudeflächen und deren Vermietung werden wir in Zukunft vermehrt beobachten können.
  • Gesundheit für Nutzer: Wir Menschen verbringen bis zu 90 % unserer Zeit in Gebäuden und geschlossenen Räumen. Für unsere Gesundheit sind eine hohe Lichtqualität und ein gesundes Raumklima ohne Schadstoffe sehr wichtig. Der digitale Gebäudezwilling trägt einen wesentlichen Teil zur Gesundheitsförderung in Gebäuden bei, da die Lichtsteuerung und das Klima automatisch im Sinne der Nutzer reguliert wird. In der neuen europäischen Norm EN 17037 gibt es erstmalig europaweit anwendbare Empfehlungen für die Tageslichtversorgung und die Tageslichtqualität in Gebäuden.
  • Bestandsbauten: Umbauten aber auch kleine Änderungen, wie etwa ein Transfer eines Beamers von A nach B, werden im digitalen Zwilling eins zu eins und in Echtzeit nachgeführt – vollautomatisch, kostengünstig und im Sinne der Stakeholder
 
 
 

Datenqualität und Datensicherheit 

Datenqualität und Datensicherheit sind Kernelemente für die Zukunftssicherung eines intelligenten Gebäudes. Zukunftssicherheit heisst, die technologische Weitsicht, dass alle installierten Produkte auch künftig reibungslos betrieben werden können. 
 
Bezüglich Sicherheit sind sowohl die physische Sicherheit als auch die Cybersicherheit wesentlich. Folgende wesentlichen Empfehlungen gelten hierbei:
 
  • Physische Sicherheit: Sicherung der Gebäudezugänge, Sicherheitsrichtlinien und Überwachung von Gebäuden, auch hinsichtlich Anomalien, die auf einen Cyberangriff hindeuten können.
  • Schutz vom Netzwerk: Installation von Firewalls, verschlüsselte Datenübertragung.
  • Schutz von Systemen (IT, Betriebstechnik) und Systemintegrität: Schutz einzelner Terminals und Systemen vor unbefugten Zugriffen und Änderungen.
 
 

Ausblick

Dank der umfassenden Steuerungs- und Informationsmöglichkeiten, die der Digitale Zwilling bereits in der Planungsphase bietet, können künftige Bauten auch im Hinblick auf ihre Umweltverträglichkeit optimiert werden. Nachhaltige Gebäude verursachen weniger Kosten und sind ein geringeres Zukunftsrisiko. Der Bau von CO2-neutralen Gebäuden ist technologisch möglich und sollte in der Praxis im Sinne aller Stakeholder schneller zur Umsetzung kommen. 
 
Aktuell gibt es in der Schweiz wenig Gebäude, die das Potenzial von digitalen Zwillingen nutzen. Vermutlich liegt der Anteil aktuell unter einem Prozent. Das Potenzial ist jedoch gemäss aktueller Trendstudien gross, und kann innert 10 Jahren bei ca. 30 % oder mehr liegen. Die Mehrwerte der digitalen Zwillinge erschliessen sich heute also definitiv zu wenig. 
 
Die Gründe hierfür sind vielfältig und haben meistens mit Schnittstellen in der Wertschöpfungskette und fehlenden Standards zu tun. Die Zusammenarbeit im digitalen Eco-System bedarf zudem neuer Skills und Methoden, die Prozesse müssen neu gedacht und gelebt werden. Es benötigt bei der Umsetzung also nicht nur Technologie, sondern viel mehr Prozess- und Mensch, sprich das Zusammenarbeiten im digitalen Eco-System.
 
 

Schweizer Initiative BUILDing360.ch

Das BUILDing360-Portal ist eine Initiative der HHM Gruppe, die vom grössten Autodesk-Systemhaus Mensch und Maschine Schweiz AG unterstützt und gefördert wird. Sie verfolgt mit seinen Entwicklungen die drei Themenkorridore «Planung, Realisierung und Betrieb» am Bau und ermöglicht die gemeinsame Basisarbeit für künftiges digitales Planen und Bauen im digitalen Eco-System.
 
 
Der Artikel entstand in Zusammenarbeit mit www.swonet.ch
 
 

Die Autorin

Als engagierte Unternehmerin, Digital-Expertin, Verwaltungsrätin und Dozentin ist Stephanie Züllig eine visionäre Gestalterin der digitalen Zukunft. Mit ihrer internationalen Industrieerfahrung bei Siemens und ihren CEO und CFO Erfahrungen treibt sie mit ihrer eigenen Firma die digitale Transformation von Unternehmen voran.
 
 

 

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