Die heutige Digitalisierung wäre durch verschiedene bahnbrechende Erfindungen aus Europa nicht möglich. Dennoch werden die meisten zeitgenössischen Erfolge woanders gefeiert – warum bloss?
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Manche Leser dieser Zeilen dürften das renommierte Forbes-Magazin kennen. Unter anderem erstellt das reichweitenstarke Wirtschaftsmedium regelmässige Chart-Listen erfolgreicher Unternehmen. Je nach Ausgangslage sind darin durchaus europäische Firmen vertreten. Blickt man allerdings auf die Top 100 Digital Companies, dürften nicht nur Schweizerinnen verwundert dreinschauen.
Denn sieht man einmal von Telekommunikationsdienstleistern ab, so herrscht dort weitgehende Abwesenheit europäischer Konzerne. Zwei der wenigen Ausnahmensind der deutsche SAP-Konzern (Software, Platz 22) sowie Philips aus den Niederlanden (u.a. Medizintechnik, Platz 48).
Das ist nicht zuletzt deshalb verwunderlich, weil Menschen und Firmen aus Europa an mehreren Punkten in der Geschichte der Digitalisierung bedeutende Rollen spielten – und das nicht nur in der fernen Vergangenheit eines Konrad Zuse.
Doch warum ist die heutige Lage so? Ist Europa tatsächlich kein nennenswerter „Player“ in der heutigen Digitalisierung mehr? Und wenn ja: Warum genau gerieten wir ins Hintertreffen?
Europa und die Digitalisierung: Meilensteine aus der „alten Welt“
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Eines muss man feststellen: Ohne Europa gäbe es keine Digitalisierung nach heutiger Prägung. Tatsächlich ist es sogar fragwürdig, ob irgendwer ausserhalb der topsoft Fachredaktion diese Zeilen lesen würde. Denn die massgeblich treibende Kraft hinter dem World Wide Web war der Brite Tim Berners-Lee – nebenbei erfand er unter anderem noch die HTML-Sprache.
Tatsächlich kann Europa noch mehr Meilensteine in Anspruch nehmen, etwa diese:
- Pascal (Schweiz): Bis heute eine der wichtigsten Programmiersprachen in universitären und sicherheitskritischen Bereichen; etwa in Verkehrstechnik und Energieversorgung.
- GSM und LTE (Europa): Unverzichtbare Standards für die Mobiltelefonie; LTE ist zudem Ausgangsbasis für 5G.
- mp3 (Deutschland): Aufgrund der Komprimierung ein Game Changer für Audiodateien und massgeblicher Beeinflusser der Musik- und Unterhaltungsindustrie.
- Bluetooth (Schweden): Einer der wichtigsten Drahtlos-Datenübertragungsstandards und unverzichtbar für unterschiedlichste IoT-Anwendungen.
- Suchmaschine (Barbados / Europa): 1990 entwickelte der barbadische CERN-Student Alan Emtage mit Archie die erste Internet-Suchmaschine und legte so die Basis für alles Weitere.
Damit endet Europas Bedeutung noch nicht. Zu nennen wären etwa die Grundlagen der Glasfasertechnologie (Vereinigtes Königreich), die Antivirus-Software (damalige Tschechoslowakei), der erste programmierbare Taschenrechner (Norwegen) oder die Chipkarte (Deutschland).
Es ist also nicht nötig, viele Jahrzehnte in die Vergangenheit zu blicken. In Zeiträume, in denen wichtige theoretische Entdeckungen durch Europäerinnen gemacht wurden. Ebenfalls mag Europa vielleicht nicht stark in der erwähnten Forbes-Liste vertreten sein. Dennoch existieren hier durchaus Erfolgsfirmen unterhalb von SAP, Telekom, Telefónica, Orange oder TE Connectivity.
Europas digitale Konzerne – häufig eher „Hidden Champions“
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Der Hidden Champion ist ein Terminus aus der Wirtschaftswelt. Firmen, die keine gigantischen Umsätze einfahren, aber dennoch in ihrem Marktsegment zu den Weltmarktführern gehören.
Fun Fact: Just die Schweiz ist ein globales Musterbeispiel, denn hier existieren ausnehmend viele Hidden Champions bezogen auf die Bevölkerungszahl.
Viele europäische Digitalfirmen gehören hierzu. Andere sind weniger „hidden“ – wahlweise in speziellen Marktsegmenten oder allgemeiner gehalten. Neben den Unternehmen aus der Forbes-Liste könnte man hier folgende erwähnen:
- Fairphone (Niederlande): Einer der weltgrössten Hersteller nachhaltiger Smartphones. Seine Geräte werden unter fairen Bedingungen aus recycelten und fair gesourcten Rohstoffen produziert. Ausserdem sind sie explizit besonders leicht durch Besitzer zu reparieren und erhalten einen ausnehmend langen Ersatzteile- und Software-Support.
- Ericsson (Schweden): Durch den Rückzug vom Mobiltelefon-Markt 2012 in vielen Konsumenten-Köpfen nicht mehr präsent, ist das Unternehmen weiterhin ein bedeutender B2B-Player in Sachen Kommunikationstechnik und Mobilfunknetze.
- ASML (Niederlande): Ohne diese Holding würde die globale Halbleiterfertigung stillstehen. Denn die Niederländer sind der grösste Anbieter von Fotolithographie-Systemen – unverzichtbar für die Halbleiterproduktion.
- Spotify (Schweden): Der vielleicht bedeutendste „Influencer“ in Sachen zeitgenössischem Musikkonsum, -Streaming und -verteilung.
- Klarna (Schweden): Eines der wichtigsten Fintechs im Bereich E-Commerce und einer der wenigen wirklichen Konkurrenten des US-Marktgiganten PayPal.
- Ricardo (Schweiz): Eine der ganz wenigen Internet-Auktionsplattformen, die in ihrem Heimatland Marktführer eBay den Rang ablaufen.
- Zalando (Deutschland): Der Versandhändler, der sich stark auf Mode und Kosmetik konzentriert, gehört in Europa zu den umsatzstärksten Online-Händlern.
Erneut gilt: Diese Liste liesse sich fortsetzen. Wenden wir uns stattdessen den Europäerinnen und Europäern und ihren Ansichten und Haltungen zum Digitalen zu.
Europas digitale Bevölkerung: Zwischen hervorragend und uneinheitlich
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Erst vor wenigen Monaten vergab der Schweizer Bundesrat mehrere Neu-Lizenzen für Off- und Online-Glücksspiel. Unter anderem deshalb, weil die hiesige Bevölkerung speziell letzterem stark zugetan ist. Überhaupt lässt sich diese Tatsache auf einen Grossteil der Einwohnerinnen Europas übertragen – durch das Internet boomen Casinos und Sportwettenangebote von Irland bis nach Zypern.
Bloss: Ist das nun ein Beweis für eine insgesamt positive Digital-Einstellung oder eher für eine spielerische Leidenschaft? Nun, die Antwort ist eher ambivalent. Primär muss man hierzu die teils enormen soziokulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den vielen europäischen Staaten einbeziehen.
In einem stark technisierten Hochlohnland wie der Schweiz etwa muss das Thema Digitalisierung für die Menschen automatisch einen höheren Stellenwert besitzen als in einem weniger weit entwickelten Land.
Wer mag, kann sich beispielsweise dazu anschauen, wie viele Mobiltelefone es in den Ländern pro 1000 Einwohnerinnen gibt. Die Unterschiede selbst auf unserem Kontinent sind bemerkenswert. Vier Beispiele dafür:
- Luxemburg: 1089,57
- Schweiz: 955,34
- Slowakei: 775,81
- Rumänien: 50,22
Ebenfalls sind die Menschen aktive Nutzerinnen bzw. Partizipanten auf diversen anderen Gebieten der Digitalisierung; etwa
- Zugang und Nutzungshäufigkeit des Internets,
- Verwendung digitaler Zahlungsmethoden,
- digitaler Medienkonsum oder
- sozialmediale Teilhabe.
Ebenso gilt das in der Gesamtbetrachtung. Hier zeigt etwa der renommierte I-DESI-Index, dass die Europäerinnen im globalen Vergleich nicht wirklich schlecht dastehen. Einige Euro-Staaten sind sogar besser als die besten globalen „Konkurrenten“.
Allerdings zeigt just dieser Index auf, wie weit Europa davon entfernt ist, ein einheitlicher „Monolith“ zu sein. Denn, nimmt man den Durchschnitt allein der EU-Staaten, dann wird der Unterschied deutlich. Er liegt merklich hinter anderen Ländern – allen voran die USA.
In der Praxis führt das zu einer Situation, in der Europäer auf manchen Gebieten Weltspitze sind, auf anderen hingegen deutlich darunter liegen. Viele Expertinnen sehen hierbei persönliche Einstellungen und Bildungshintergründe als massgeblich treibende Kraft.
Tenor: Die meisten Menschen auf dem Kontinent haben zwar brauchbare digitale Grundfähigkeiten und nutzen gerne unterschiedlichste Consumer-Class-Produkte und -Dienstleistungen – je nach finanziellem Background. Was die Einstellungen und das Wissen im Bereich „höherer Digitalisierung“ anbelangt, sinken die Werte hingegen rasch ab.
Wo es in Europa wirklich hakt
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An dieser Stelle sei etwas ausgeschrieben, was in diesem Text mehrfach etwas „zwischen den Zeilen“ zu lesen war: Die Schweiz ist ein „Spezialfall“, was das Digitale anbelangt. Sie muss nicht nur mangels EU-Mitgliedschaft losgelöst betrachtet werden – denn sie ist in vielen Bereichen besser als der europäische Durchschnitt.
Betrachtet man sich den, fällt rasch eines auf: Gerade aus breitgesellschaftlicher Sicht mangelt es auf dem Kontinent massiv an „klingenden Namen“. Schon viele hiesige Politiker, Journalistinnen und Privatmenschen stellten die Frage, warum es kein deutsches Facebook gäbe, kein italienisches Qualcomm, kein polnisches Windows, keine französische Apple-Alternative, kein irisches Google.
Denn wahr ist in der Tat, das, was die Europäerinnen an Hardware, Software und digitalen Dienstleistungen nutzen, entstammt ganz überwiegend anderen Weltregionen. Schlimmer noch. Sogar das, was zu den europäischen Erfolgsgeschichten gehört, würde vielfach nicht ohne starken Beitrag anderer Staaten bzw. Weltregionen funktionieren.
Die erwähnte niederländische Firma Fairphone etwa.
- Ihre Handys werden in China gefertigt;
- ebenso stammen die Chipsätze von Qualcomm;
- das Betriebssystem ist standardmässig Googles Android.
Natürlich soll das den niederländisch-europäischen Beitrag nicht klein reden. Denn ein Grossteil der Anstrengungen, um überhaupt ein faires, nachhaltiges Smartphone zu erschaffen, die Ressourcen zu besorgen und das Produkt marktreif zu machen, wurde in Europa geleistet. Ausserdem gibt es verschiedene Fairphones serienmässig mit dem alternativen Betriebssystem /e/OS – mit eindeutig französischen Wurzeln.
Zusätzlich muss man schon der Fairness halber eines sagen: Vielen anderen der grossen Player aus den USA und Asien geht es nicht anders. Auch Apple fertigt in Asien mit mehrheitlich asiatischen Hardware-Komponenten. Und ob ein Windows-Betriebssystem ohne gigantischen Beitrag asiatischer Programmierer, Software-Ingenieurinnen und ähnlicher Fachleute denkbar wäre, sei ebenfalls dahingestellt.
Dennoch ist es im grossmassstäblichen Überblick schlichtweg bemerkenswert, dass Europa es scheinbar kaum aus eigener Kraft schafft, einen wirklich grossen Wurf zu landen, der zu einem so globalen, sehr breit bekannten und genutzten „Goldstandard“ wird wie beispielsweise Betriebssysteme aus den USA oder Chipsätze aus Taiwan.
In diesem Sinn ist der deutsche SAP-Konzern sozusagen die klassische Ausnahme, welche die Regel bestätigt. SAP ist das weltgrösste ausseramerikanische Software-Unternehmen, einer der wichtigsten Marktgiganten bei betrieblicher Software – und hunderten Millionen Anwenderinnen aus der täglichen Arbeit bekannt.
Wo es andere digitale Weltmarktführer europäischer Prägung gibt, da sind diese in der grossen Masse nur in Nischen präsent. Produkte und Dienstleistungen, die so zig-millionenfach genutzt werden wie die von
- Amazon,
- Google,
- AliExpress,
- Netflix,
- YouTube,
- HP,
- Xiaomi,
- OpenAI,
- LG oder
- Foxconn
sucht man auf dem europäischen Kontinent weitgehend vergebens. Schon 2020 warnte Carl Bildt in aller Deutlichkeit deswegen. Der ehemalige schwedische Ministerpräsident und spätere Aussenminister dazu:
„The results of these failures are clear to see in the rankings of the world’s unicorns (start-ups valued at $1 billion or more). According to one recent index, six of the ten largest are from the US, three are from China, and one is from Singapore. Other indices give China the biggest share of major unicorns; but none show European start-ups anywhere near the top.
Though many start-ups eventually will fail, at least some of today’s highly valued companies will go on to become the giants of tomorrow’s digital economy, dominating our lives as much as today’s Big Tech firms do. It’s no use complaining about Chinese state support or less-regulated US markets. The companies that succeed will be built on innovative business models that deliver what customers want.
Late last year, to lend new momentum to the transition to a carbon-neutral economy, the European Parliament declared a “climate emergency.” That is a perfectly understandable objective to prioritize. But Europe also needs to declare a domestic “digital emergency,” lest it continue falling behind in the industries that will be necessary for achieving all other development goals – including a green economy.”
Vereinfacht gesprochen: Europa dürfe nicht nur den Klimanotstand erklären, sondern müsse ebenso den digitalen Notstand ausrufen. Andernfalls würde der Kontinent weiter bei denjenigen Industrien zurückfallen, die für die Erfüllung sämtlicher Ziele wichtig seien; inklusive derjenigen für Europas grüne Transformation.
Brandaktuell werden solche Kritiken noch erweitert – vor allem mit Blick auf den massiven Aufstieg künstlicher Intelligenz. Was KI anbelangt, so existieren in Europa zwar viele Start-Ups. Alle mit grossen Ambitionen. Im Vergleich mit ChaptGPT und Konsorten ist bislang jedoch nur wenig wirklich vorzeigbar.
Zwar will die EU solche Firmen fördern. Bloss ist Europa erstens bekanntlich mehr als nur die EU und zweitens ist das bislang einzige vorzeigbare Ergebnis nicht ein sichtbares „Boosten“ der KI-Entwicklung, sondern vielmehr deren Einschränkung durch den umfangreichen EU AI Act – das weltweit erste Gesetz, das künstliche Intelligenz reguliert.
Wohl wurde dieses Werk mit besten Absichten in Richtung Verbraucherinnenschutz aufgestellt. Aber es zeigt nach Ansicht vieler eben eine grundlegend falsche Denkweise. Eine, die ursächlich für das generelle „Dilemma“ der europäischen Digitalisierung sei.
Zwischen Attitüde und Regulierungswünschen: Warum es in Europa stockt
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ChatGPT steht zweifelsohne nicht zuletzt deshalb an der derzeitigen KI-Spitze, weil das dahinterstehende Unternehmen OpenAI schlichtweg „einfach machen“ konnte und kann, ohne auf verschiedensten Ebenen durch bürokratische Eingriffe seitens der US-Regierung gehemmt zu werden. Bei anderen US-Tech-Konzernen sieht es ähnlich aus.
Ebenso konnten verschiedene in China beheimatete Unternehmen wohl auch deshalb ihre Marktposition einnehmen, weil Chinas Regierung seit Jahren schon Milliarden von Yuan in die Branche hineinpumpt.
In beiden Staaten existiert zudem eine generell positive Einstellung breiter Bevölkerungsschichten zu technischem Fortschritt – nicht nur bezogen auf Digitalisierung. Diese Punkte allein sind nicht allesentscheidend. Aber sie sind zumindest anteilig verantwortlich, warum Europa in der Masse einfach kein solches „digitales Standing“ entwickeln konnte. Für dieses Kapitel wollen wir möglichst viele der Ursachen ansprechen:
- Uneinheitlichkeit: Europa besteht aus Dutzenden Staaten; teils in der EU vereint, teils durch den Euro verbunden, teils aber nur durch die Geographie – alle haben eigene Regierungen, viele eigene Sprachen. Selbst wenn es Europa (auch ohne Russland) auf mehr Einwohner bringt als die USA, so ist diese Kleinteiligkeit dennoch ein Grund-Hemmnis, weil sämtliche gemeinsamen Anstrengungen massiv erschwert werden.
- Einstellungen: In vielen europäischen Nationen hegen die Menschen stark divergierende Ansichten gegenüber der Digitalisierung. Einer der Gründe dafür liegt daran, weil speziell West- und Mitteleuropa bereits „gute Zeiten“ ohne Digitalisierung kannten. Das sorgt häufig für Skepsis gegenüber Veränderungen.
- Gründungsklima: Zwischen Wagniskapitalgeberinnen, die bei digitalen Themen eher zögerlich sind, Einwohnern, die keine ausgeprägte Selbermacher-Attitüde hegen und Regierungen, die es vielfach Gründerinnen und deren Start-Ups durch Gesetze unnötig schwer machen, herrscht in vielen Ecken Europas ein Geist, der eine Start-Up-Mentalität erschwert.
Gerade im Bereich der grossen Tech-Konzerne gehen viele auf die klassische Erfolgsgeschichte zurück: Eine gute Idee zur richtigen Zeit, ein bisschen Startkapital, eine grosse Portion Mut und nicht zu viel Bürokratie. All das ist in Europa vielfach schlichtweg schwieriger. - Politik: In Europa überwiegt die Demokratie. Das heisst, Menschen wählen diejenigen Politikerinnen und Parteien, die ihre Interessen am besten vertreten. Vielerorts regieren deshalb Menschen, die – einfach gesprochen – nicht die nötige Einstellung gegenüber der Digitalisierung haben. Wohl betonen die meisten Euro-Politikerinnen, wie wichtig ihnen das Thema sei. Aufgrund vieler Gesetze und Regularien zeigt sich jedoch oft das Gegenteil.
Hinzu kommt speziell auf EU-Ebene eine vielkritisierte Mischung aus umfangreicher Bürokratie und der Tatsache, wonach selbst einheitliche Vorgaben aus Brüssel vielfach in Landesrecht umgewandelt werden müssen – wodurch wiederum Uneinheitlichkeit entsteht. So zeigen beispielsweise mehrere Umfragen für Deutschland ganz klar: Die dortige Bürokratie wird als das grösste einzelne Hemmnis für Gründungswillige angesehen. - Andere Schwerpunkte: Europa hat sehr ambitionierte Ziele für den Klimaschutz. Nun gehört Digitalisierung zu den wichtigsten Werkzeugen für dessen Umsetzung. Bloss kann man auf dem Kontinent diesbezüglich vielfach auf das Angebot aus Nordamerika und Asien zurückgreifen. Das Thema zieht jedoch noch weitere Kreise:
Für viele Bürger und Politikerinnen in Europa (nicht nur der EU) ist Digitalisierung wichtig – jedoch nicht so wichtig wie Klimaschutz. Daher richten sich viele Anstrengungen eher in Richtung von letzterem, wodurch oftmals die Digitalisierung weniger Beachtung erhält; nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht. So haben die USA und China definitiv einen Digitalisierungsvorteil. Unter anderem in Sachen Treibhausgasemissionen und Klimapolitik sind jedoch sowohl EU als auch Europa (wenigstens in weiten Teilen) deutlich besser aufgestellt. - Ressourcen: Die Digitalisierung benötigt enorme Ressourcen. Gemeint sind nicht nur Rohstoffe, sondern ebenso Humanressourcen, Bildungseinrichtungen, Forschungsstandorte und nicht zuletzt Konzerne. In verschiedenen Bereichen mangelt es Europa an einer oder anderer Stelle an diesen Ressourcen.
Beispielsweise fehlt es Europa völlig an der extremen Dichte von Elite-Universitäten, wie sie die USA aufweist. Von den 20 besten Hochschulen der Welt befindet sich nur eine kleine Handvoll in Europa. Das wirkt sich nicht nur in Sachen Forschung aus. Es ist ebenso dafür verantwortlich, dass weniger junge ausländische Fachkräfte den Weg zu uns einschlagen – zumal diese in den USA später noch auf bessere berufliche Chancen und Gehälter hoffen können.
Aufmerksame Leserinnen werden es vielleicht bemerkt haben: Bei all diesen Punkten ticken die Uhren in der Schweiz ein wenig anders als im grossen Rest von Europa. Es dürfte mitverantwortlich dafür sein, warum wir ein besseres digitales Standing als viele andere europäische Nationen haben – mit solchen Ausnahmen wie Schweden als explizites Gegenbeispiel.
Fazit: Europa hat den Anschluss noch nicht verloren – aber die Gefahr ist definitiv gross
Für manche scharfzüngigen Kritikerinnen ist Europa in seiner Gesamtheit auf dem besten Weg, ein „digitaler failed State“ zu werden. Eine so überspitzte Betrachtung lässt sich jedoch keinesfalls halten. Denn erstens liegen einige der am stärksten digitalisierten Länder der Erde in Europa. Zweitens ist es schlichtweg unseriös, Europa als einheitliches Konstrukt zu betrachten – alle Länder zusammengerechnet besteht der Kontinent aus nicht weniger als 47 einzelnen Staaten; selbst die EU bringt es auf 27.
Last, but not least, ist selbst Europa in seiner Gesamtheit diesbezüglich eher ambivalent. Der Kontinent ist Heimat verschiedener Erfindungen, kleiner Firmen und grosser Konzerne, die entweder heute für die Digitalisierung unverzichtbar sind oder sie in der Vergangenheit erst möglich gemacht haben.
In der Tat gibt es hier einige Baustellen, die insbesondere im Vergleich mit den grossen Konkurrenten und Europas Bedeutung für die Weltwirtschaft brandgefährlich sind. Tatsächlich muss man sich dieser annehmen, und zwar schnell. Denn was jetzt noch bloss ein gewisser, teils schon herber Rückstand ist, hat definitiv das Potenzial, sich zu einem tatsächlichen Anschlussverlust zu entwickeln.
Einen solchen darf Europa sich keinesfalls leisten, weil sonst noch sehr viel mehr in Gefahr ist als bloss das gute Bewusstsein, zumindest einige breitbekannte digitale Player zu beheimaten.