Die Resultate der ersten Schweizer Studie zur Automation im E-Commerce sind erschienen. Wir haben uns mit Reto Baumgartner unterhalten. Er ist Co-Autor dieser Studie sowie Teilhaber und Key Account Manager der MySign AG.
Reto Baumgartner, was hat Sie bewogen, das Thema E-Commerce Automation genauer unter die Lupe zu nehmen?
In unserer langjährigen Beratungs- und Umsetzungstätigkeit als E-Commerce Agentur haben wir immer wieder gesehen, dass es unseren Kunden bei E-Commerce Projekten darum geht, Prozesse zu optimieren, Durchlaufzeiten zu verkürzen, Unterbrüche zu vermeiden, manuelle Tätigkeiten zu eliminieren, Aufwände und Kosten zu minimieren und die Geschwindigkeit zu erhöhen. Letztlich geht es also immer um die Automatisierung – mit dem Ziel, effizienter zu werden und gleichzeitig das Kundenerlebnis zu verbessern.
Ganzheitlich betrachtet, greift die Automatisierung auf sämtliche E-Commerce Bereiche zu. Aus diesem Grund haben wir versucht, E-Commerce Automation als umfassenden Ansatz zu strukturieren und dabei sechs Dimensionen entwickelt, die für jedes Unternehmen relevant sind. Mit der Studie wollten wir diese Dimensionen verifizieren und herausfinden, wie der Reifegrad bzw. die Maturität der Unternehmen in diesen E-Commerce Automation Dimensionen ist. Toller Nebeneffekt: Jedes Unternehmen, welches an der Studie teilgenommen hat, erkennt dabei wo seine grössten Potenziale liegen. Diese sind nämlich sehr individuell.
Welche Relevanz hat die Automatisierung von E-Commerce-Prozessen für die unzähligen kleinen und mittleren Onlinehändler?
Eine Hohe! Für die Kleinen geht es wie für die Grossen auch darum, den Aufwand zu optimieren. Die Motivation ist eine etwas andere. Bei den Grossen geht es um den Effizienzgewinn und darum, den gesamten Bestellprozess möglichst schnell, hürdenfrei und kostengünstig abzuwickeln. Bei den Kleinen geht es darum, Onlinehandel betreiben zu können, ohne dass der manuelle Aufwand sie auffrisst.
Wir hatten mal einen Kunden, der bei acht Shop-Bestellungen pro Tag das Handtuch warf, weil er meinte, die Abwicklung würde bei ihm bereits eine Person komplett auslasten. Da waren die Optimierungspotenziale offensichtlich und der Effizienzgewinn riesig.
Der Onlinehandel ist ein Kind der Digitalisierung und damit hochgradig steuerbar und eben auch automatisierungsfähig. Wie sieht der Onlinehandel der Zukunft aufgrund der Erkenntnisse aus dem Report aus?
Die Zukunft des Onlinehandels ist automatisiert! Das geht ganz klar aus der Studie hervor. Das Thema hat eine sehr hohe Relevanz bei den Unternehmen und mit dem umfassenden Ansatz der E-Commerce Automation konnten wir gut aufzeigen, wo die teilnehmenden Unternehmen bereits gut unterwegs sind und wo sie noch viel Potenzial haben. In den sechs untersuchten Dimensionen gibt es sehr grosse Unterschiede.
Welche Umfrageergebnisse des E-Commerce Automation Report haben dich am meisten überrascht? Was hättest du anders erwartet?
Es gab in der Tat einige Überraschungen: Positiv überrascht hat mich, dass die teilnehmenden Unternehmen bereits sehr weit sind, was ihre Shop-Performance angeht. Offenbar wurde in die Stabilität, Zuverlässigkeit und Sicherheit der Shop-Infrastruktur schon viel investiert. Auch was ihre eigene Organisation angeht, geben sich die Unternehmen gute Noten. Offenbar ist das Thema E-Commerce in den Organisationen bis in die GL oder den VR gut verankert und die Entscheidungskompetenzen sind klar geregelt.
Erstaunt an den Studienresultaten haben mich unter anderem zwei Einzel-Auswertungen: Obwohl das Thema KI in aller Munde ist, stehen die Unternehmen bezogen auf ihre E-Commerce Strategien mit KI erst ganz am Anfang. Das Potenzial ist zwar riesig und wird das Suchverhalten, die Produktbeschreibungen, Supportfunktionen und vieles mehr nachhaltig verändern, aber die Realität ist es (noch) nicht.
Und andererseits hat mich sehr erstaunt und auch etwas nachdenklich gestimmt, dass Unternehmen bei der Weiterentwicklung ihrer Shoplösungen ihre eigenen Kunden, also die späteren User der Plattformen, noch kaum miteinbeziehen. Dabei ist inzwischen klar belegt, dass UCD Ansätze, also die User ins Zentrum der Überlegungen zu stellen und auf sie zu hören, den Erfolg einer E-Commerce Strategie massiv erhöht.
Beim Stichwort Automatisierung denkt man als Erstes an Kosteneinsparungen und andere Vorteile für die Händler. Was haben die Kunden davon?
Aus meiner Sicht ist die Automatisierung im E-Commerce ein dreifacher Win. Für die Händler wird der Gesamtprozess effizienter. Für die Kunden wird das Einkaufserlebnis besser. Der Bestellprozess ist hürdenfrei, die Lieferzeit ist kürzer und die Zuverlässigkeit erhöht sich. Dies wiederum führt zu einer höheren Kundenbindung. Aber auch die Mitarbeitenden profitieren. Denn die umständlichen, manuellen und repetitiven Tätigkeiten, wie Beantwortung immer gleicher Supportfragen, Kontrolle der Zahlungseingänge, Benachrichtigung der Kunden bei Lieferschwierigkeiten etc. werden durch die Automation verringert oder sogar eliminiert und die Mitarbeitenden haben mehr Kapazität für relevantere und wertvollere Tätigkeiten, wie Kundenbetreuung bei komplexeren Fragen, Weiterentwicklung des Angebots, Erstellung von Marketingkonzepten usw.
Welche Unternehmen bzw. Teilnehmer der Umfrage weisen aus deiner Sicht einen besonderen hohen Maturitätsgrad hinsichtlich Automatisierung auf?
In unserem 56-seitigen Report zur Studie beleuchten wir mehrere Unternehmen, welche in Gewissen Dimensionen schon sehr weit sind. Dazu gehört die Flyerline Schweiz AG, die Mapo AG, die Olwo AG aber auch die HG Commerciale oder Dormakaba. Aber alle haben noch Potenzial. Umfassend in allen Dimensionen automatisiert ist noch keines der Unternehmen, das teilgenommen hat. Schaut man sich die ganz grossen Player im E-Commerce wie Apple, Amazon oder Zalando an, so haben diese aber auf jeden Fall bereits einen sehr hohen Grad an Automatisation erreicht. Vielleicht macht in den kommenden Jahren auch ein solches Unternehmen an der Studie mit und dient dann als Benchmark. Wäre sicher sehr spannend und aufschlussreich!
Vielen Dank für das Gespräch.
Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 23-3
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