KI-Basismodelle wie grosse Sprachmodelle (LLMs) dominierten lange die Diskussionen. Doch jetzt konzentrieren sich Investoren zunehmend auf Unternehmen, die KI-Anwendungen entwickeln, die für bestimmte Anwendungsfälle greifbare Vorteile bringen. Laut S&P Global Market Intelligence und 451 Research haben KI-Unternehmen ohne eigene Basismodelle im ersten Quartal 2024 mehr als doppelt so viele Investitionen angezogen wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Symbolblid von Braden Collum via Unsplash
Eines der wohl besten Versprechen der KI ist ihre Fähigkeit, Arbeitenden Zeit zu sparen. Damit die KI aber wirklich etwas bewirken kann, brauchen Unternehmen KI-Tools, die auf bestimmte Branchen oder Aufgabenbereiche zugeschnitten sind. Gleichzeitig müssen diese auch vertrauenswürdig und zuverlässig sein. KI-Chatbots, die auf LLMs basieren, können zwar gut kommunizieren und allgemeine Ratschläge geben, doch fehlt es ihnen oft an den erforderlichen Spezialkenntnissen. Das macht sie anfällig für Ungenauigkeiten oder Halluzinationen aufgrund ihrer breiten Palette von Trainingsdaten. Hier können gezieltere Tools, die auf spezifische Anwendungsfälle abgestimmt sind, zuverlässigere und genauere Ergebnisse liefern.
KI-Olympioniken - Spezialisierte Tools für bestimmte Disziplinen
Um diesen Punkt zu veranschaulichen, blicken wir auf die Olympischen Spiele: KI-Basismodelle sind wie die Kerneigenschaften eines guten Olympioniken: Sie stehen für Fitness, Hingabe und ein unermüdliches Streben nach Spitzenleistungen. Bei den Olympischen Spielen gibt es jedoch 32 Sportarten mit über 400 verschiedenen Veranstaltungen, die jeweils unterschiedliche Fähigkeiten und Erfahrungen erfordern - ähnlich wie die verschiedenen Branchen und Berufsrollen in der Wirtschaft. Und während KI die Kerntechnologie für verschiedene Produkte und Dienstleistungen bereitstellt, muss jedes dieser einzelnen Produkte mit den entsprechenden Fähigkeiten ausgestattet sein, um einen Mehrwert für den jeweiligen Anwendungsfall zu bieten.
Es ist selten, dass ein Athlet bei den Olympischen Spielen in mehreren Sportarten oder Disziplinen antritt. Jeder Athlet ist für seine Sportart hoch spezialisiert. Ein Sprinter zum Beispiel optimiert seine Kraft und seinen Körperbau, um über kurze Distanzen kraftvoll und schnell zu sein. Das bedeutet jedoch, dass er für andere Disziplinen, wie z. B. den Langstreckenlauf, nicht geeignet ist. Die bekanntesten KI-Chatbots von heute sind Allrounder. Sie sind so konzipiert, dass sie über ein allgemeines Weltwissen in einem breiten Spektrum von Themen verfügen. Ein Chatbot kann zwar oberflächliche Informationen zu einer breiten Palette von Themen liefern, ist aber nicht unbedingt für spezifischere Aufgaben geeignet.
Nehmen wir beispielsweise ein KI-gestütztes universelles Suchwerkzeug: Es muss in der Lage sein, schnell die richtigen Informationen zu finden und abzurufen. Wie ein Sprinter, der die 100 m läuft, ist es so optimiert, dass es bei jedem Durchlauf entscheidende Sekunden spart. Es gibt jedoch auch andere Aufgaben, die eine KI erfordern, die für eine dauerhafte Leistung über einen längeren Zeitraum ausgelegt ist, ähnlich wie ein Langstreckenläufer. So müssen beispielsweise prädiktive KI-Modelle für Geschäftsprognosen die Aktivitätsmuster der einzelnen Unternehmen durch die Analyse historischer Daten lernen und dieses Wissen im Laufe der Zeit aufbauen. Indem sie sich auf die Geschäftsabläufe des Unternehmens spezialisieren, können sie auf der Grundlage früherer Ergebnisse Prognosen über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens erstellen.
Auch prädiktive KI-Modelle müssen ihre Prognosen ständig an die sich ständig ändernden Betriebsabläufe und externen Geschäftsfaktoren anpassen. Jüngste Forschungen des Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory des MIT haben jedoch gezeigt, dass mehrere grosse Sprachmodelle, die zusammenarbeiten, genauere Ergebnisse liefern, so dass vielleicht eine neue Art von KI-Ökosystem entstehen wird.
Zukunft der KI ein Zehnkämpfer? Oder eher ein Team aus spezialisierten Athleten?
Wenn wir uns die Entwicklung des KI-Ökosystems ansehen, gibt es zwei verschiedene Wege, die die Branche einschlagen kann. Der erste ist ein Wettlauf um das beste KI-Modell für allgemeine Zwecke. Dieses KI-System würde bei einer Vielzahl von Aufgaben Spitzenleistungen erbringen, so wie ein Zehnkämpfer in der Lage ist, verschiedene Disziplinen zu bewältigen, vom Sprint über den Weitsprung bis zum Stabhochsprung. Der Vorteil wäre eine nahtlose Nutzererfahrung, die den Arbeitsablauf eines Mitarbeitenden rationalisiert. Wie der Zehnkämpfer, der in keiner einzelnen Disziplin an die Leistung des Spezialisten herankommt, könnte ein allgemeines KI-Modell jedoch Schwierigkeiten haben, das gleiche Leistungsniveau zu erreichen wie stärker fokussierte Tools.
Der alternative Weg sieht das künftige KI-Ökosystem als ein Netzwerk spezialisierter KI-Produkte, ähnlich wie ein Team spezialisierter Sportler. In diesem Modell fokussiert sich jede KI auf einen bestimmten Bereich, ähnlich wie sich einzelne Sportler auf bestimmte Sportarten konzentrieren. Dieser Ansatz spiegelt wider, wie ein olympisches Team die Talente von Sprintern, Schwimmern und Turnern kombiniert, um das kollektive Medaillenpotenzial für ihr Land zu maximieren. Die Spezialisierung stellt sicher, dass jede KI in ihrem Bereich optimale Leistungen erbringt, die oft die Fähigkeiten eines Allzwecksystems übertreffen. Der Erfolg dieses vernetzten Ansatzes erfordert jedoch eine ausgeklügelte Koordinierung und Interoperabilität, um ein nahtloses Erlebnis für die Nutzer zu schaffen.
Wenn wir versuchen vorherzusagen, wie sich künftige KI-Ökosysteme entwickeln werden, können wir bei den bevorstehenden Olympischen Spielen einen Blick auf zwei mögliche Wege werfen: Ob wir am Ende ein universelles KI-Tool im Stil eines Zehnkämpfers oder ein Netzwerk von Tools haben werden, das einem Team spezialisierter Athleten ähnelt, hängt von den Zielen und Entscheidungen der Unternehmen ab – eben ähnlich wie jedes Land bei den Olympischen Spielen unterschiedliche Ziele verfolgt. Ob strategische Fokussierung auf ein Spezialgebiet über die Optimierung der Gewinnwahrscheinlichkeit bis hin zu einem breiteren Ansatz, der darauf abzielt, so viele Goldmedaillen wie möglich in möglichst vielen Disziplinen zu gewinnen - die Art des KI-Ökosystems, das jedes Unternehmen implementieren wird, ist bedingt von den eigenen Zielen. Für einige Unternehmen erfordert das Wachstum durch die Gewinnung von Marktanteilen in einem fluiden Markt Schnelligkeit und Agilität, während die Kundenbindung in einem stagnierenden Markt anderen einen eher strategischen, langfristigen Plan abfordert.
Der Autor
Andy Wilson ist Senior Director of New Product Solutions bei Dropbox
Mit über 18 Jahren Erfahrung in den Bereichen interaktive Fernsehdienste, Broadcast-Innovation, Produktmanagement und digitale Rechte für die BBC und nach einer führenden Position bei der Digital Production Partnership-Initiative schloss sich Andy Wilson im Jahr 2018 Dropbox an, wo er heute den Posten des Senior Director of New Product Solutions bekleidet. Er arbeitet täglich eng mit Unternehmen zusammen, um so viel Wert wie möglich aus dem Know-how der Technologie und den Produkten von Dropbox zu schöpfen. Andy Wilson lebt und arbeitet in London.