Das Laden von einem Elektrofahrzeug in einem Einfamilienhaus ist heute ein Kinderspiel: Die Ladestation ist im hausinternen Energiemanagement integriert, oft mit ansprechenden Apps zur Bedienung. Beim Laden in Mehrparteiengebäuden und Firmen ist das Nutzererlebnis und die Integration in übergeordnete Systeme noch nicht zufriedenstellend gelöst. Obwohl technisch heute alles umsetzbar ist, tun sich viele Akteure noch schwer mit nutzerfreundlichen Lösungen.
Damit Batterien von Elektrofahrzeugen ins rechte Licht gerückt werden, sollen Sie zukünftig helfen, unser Stromnetz zu entlasten. Dieses Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn eine einfache und digitale Interaktion zwischen Elektrofahrzeugen und Ladestation gewährleistet ist. (Bild Adobe Stock)
Vor dem Durchbruch von Tesla (2015 bis 2017) hatte die Elektromobilität höchstens ein Nischendasein und galt als Spielerei. Innert kurzer Zeit wurden Elektrofahrzeuge jedoch sehr populär und es brauchte Möglichkeiten, um sie aufzuladen. Dadurch wurde die Ladeinfrastruktur-Branche ins Rampenlicht gerückt, während sie sich noch in einer Pilotphase befand. Das traf auch auf die damit verbundenen Standards zu. Möchte man die heutigen Software-Plattformen zum Management von Ladestationen verstehen, so muss man zurückblicken in die Anfänge.
OCPP – Ein Standard prägt die Branche
Das heute verbreitete Kommunikationsprotokoll für Ladestationen, Open Charge Point Protocol (OCPP), wurde für die herstellerübergreifende Fernverwaltung, -überwachung und Abrechnung entwickelt. Das Protokoll entstand aus der Initiative E-Laad foundation (heute ElaadNL) in den Niederlanden aus dem Jahr 2009. Sie gründeten ein Forum mit dem Ziel, einen offenen Standard zu kreieren, der es Ladestationen und Ladestation-Managementsysteme von unterschiedlichen Anbietern ermöglicht, miteinander zu kommunizieren.
Um OCPP weiterzuentwickeln, wurde daraus 2014 die heute existierende Open Charge Alliance gegründet. Der grösste Erfolg der Allianz bleibt bis heute die Veröffentlichung des Standards OCPP 1.6, welcher weit verbreitet ist und bei fast allen Ladestationsherstellern standardmässig implementiert wird.
Bei diesen frühen Ladenetzwerken ging es zu Beginn fast ausschliesslich um einzelne, öffentliche Ladestationen.
Als in den letzten Jahren der Elektromobilität der Durchbruch gelang, wurden immer mehr Ladestationen im öffentlichen und privaten Bereich installiert. Diese Ladestationen mussten betrieben und abgerechnet werden. Dazu bedienten sich die meisten Ladeinfrastruktur Dienstleister (häufig Energieversorger) bei den Anbietern von Cloudplattformen für Ladestationen. Diese Systeme nutzen zur Integration und Abrechnung von Ladestationen hauptsächlich den oben erläuterten Standard OCPP 1.6.
Immer noch war das Laden in gemeinschaftlichen Tiefgaragen eine Nische, was sich aber rasch änderte. Somit begann man mittels Softwarelösungen, die hauptsächlich für öffentliches Laden ausgelegt waren, Ladestationen im privaten Bereich (Wohnüberbauungen und Firmen) zu betreiben und auch zu verrechnen. Die meisten Plattformen waren All-in-one Lösungen, die eher an Monolithen als an modulare flexible IoT-Plattformen erinnerten.
Die Konsequenzen davon sind im schnell gewachsenen Markt bis heute spürbar. Ein Beispiel ist die traditionelle Verrechnung von Stromkosten im Vergleich zur Berechnung von Ladekosten basierend auf der bezogenen Energie. Während für die eigene Stromrechnung vom Elektrizitätswerk Tarife mit 15-Minuten Verbrauchswerten verrechnet werden, so werden bei Ladevorgängen grundsätzlich nur der Wert vom Zähler beim Ladebeginn mit dem Wert vom Ladeende subtrahiert und mit einem Einheitstarif verrechnet.
Dies ist nicht grundsätzlich falsch, bringt aber z.B. bei der Umsetzung von zeitabhängigen oder dynamischen Preisen Herausforderungen mit sich. Speziell dann, wenn diese Logik nicht nur im OCPP-Standard, sondern auch in der Architektur der Managementplattformen für Ladestationen verankert ist. Natürlich gibt es Möglichkeiten solche Hürden zu umgehen, dies braucht jedoch Zeit.
Verschmelzung von Verrechnung und Steuerung
Aktuell sind die Anbieter von Ladestation Plattformen weiter und die Systeme werden flexibler. Dienstleister für Ladeinfrastruktur haben begonnen, Ladestationen in ihre unternehmensinterne Systemwelt einzubetten. Die Verknüpfungen mit ERP-Systemen, Kundenportalen, Asset-Management Software, Bezahllösungen etc. führen zu einem umfangreicheren Kundenangebot.
Der Trend geht weg von starren All-in-one Systemen hin zu modularen Lösungen, die sich anpassen lassen. Dabei kann selektiv entschieden werden, welche Funktionen durch bestehende Systeme abgedeckt werden und welche Funktionen von Ladestation Plattformen erbracht werden.
Trotz der rasanten Entwicklung bestehen bei Ladestationen im privaten Bereich nach wie vor Einschränkungen, insbesondere bei der Abrechnung, der Nutzerfreundlichkeit und bei der intelligenten Integration in Energie Management Systeme. Die Unterschiede der einzelnen Player am Markt sind gross und die Einbettung der Ladestationen wird noch eine Weile anhalten.
Weitere Verbesserung wird sicherlich der 2018 veröffentlichte OCPP 2 bringen. Er ergänzt OCPP 1.6 dort, wo er Lücken hat. OCPP 2 ist aber aktuell erst bei wenigen Ladestationsherstellern implementiert.
Generell lässt sich beobachten, dass aktuell eine Verschmelzung, im übertragenen Sinne, zwischen Ladestationen und Gebäuden stattfindet. Das heisst zum Beispiel, dass die Verrechnung von Ladevorgängen öfters mit der allgemeinen Verrechnung von Energie bei Gebäuden zusammengeführt wird. Zudem werden Ladestationen stärker mit Energie Management Systemen und anderen übergeordneten Steuerungen verknüpft. Die isolierte dynamische Regelung von Ladestation, abhängig vom Gesamtverbrauch eines Gebäudes, entspricht heute weitgehend dem Standard.
Diese Verschmelzung von Verrechnung und Steuerung ist wichtig, weil nur so ein einfaches und intelligentes Ladeerlebnis für alle ermöglicht werden kann. Beispielsweise können dadurch dynamische Preise verarbeitet und Solarstrom vom Dach effizient genutzt werden, ohne dass Elektroautofahrer sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzen müssen.
Einfache Interaktion mit Nutzer für bessere Integration ins Stromnetz
Im stark wachsenden Markt für Ladeinfrastruktur wird es zwangsläufig zu einer Marktkonsolidierung kommen, bzw. sie hat bereits begonnen. Übrigbleiben werden die Lösungen, die Hardware, Software und «Gebäude» nahtlos ineinander integrieren und ein optimales Nutzererlebnis schaffen.
Dabei sind mit Nutzenden nicht nur Fahrerinnen von Elektrofahrzeugen gemeint, sondern auch Systemadministratoren, Verwaltungen oder Elektroinstallateure. Auch in B2B-Märkten setzen sich immer mehr Softwarelösungen durch, die ein ansprechendes Nutzererlebnis bieten, nicht zwangsläufig die mit dem grössten Funktionsumfang. Fachspezialisten haben immer weniger Zeit, sich im Detail mit allen Systemen auseinanderzusetzen. Es wird deshalb bevorzugt genutzt, was intuitiv und selbsterklärend ist.
Nebst einem besseren Nutzererlebnis und der stärkeren Einbindung der Ladestationen in Gebäude, wird aber auch die Integration von Elektrofahrzeugen ins Stromnetz an Bedeutung gewinnen. Einerseits kann sichergestellt werden, dass die Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen netzdienlich erfolgen, andererseits besteht die Möglichkeit, die Energie der Fahrzeugbatterien bei Bedarf ins Netz zu speisen.
Netzdienlich bedeutet, Fahrzeuge dann zu laden, wenn genügend oder zu viel Energie im Netz vorhanden ist und entsprechend nicht oder langsamer zu laden, wenn eher wenig Strom verfügbar ist. Dies kann über Preissignale im Strom oder direkte Steuersignale vom Netzbetreiber erreicht werden, auch eine Mischung ist denkbar. Aktuell werden beide Ansätze in der Schweiz nicht umgesetzt.
Wenn das Fahrzeug Energie ins Netz speist, wird von bidirektionalem Laden oder V2X gesprochen. Dabei kann das Fahrzeug Strom aus der Batterie einem Gebäude, einem Gerät oder dem Stromnetz zur Verfügung stellen. Geschieht dies zur passenden Zeit, hilft dies, Engpässe kurzfristig zu überbrücken und das Stromnetz zu stabilisieren. Für flächendeckendes bidirektionales Laden fehlen aktuell noch die Fahrzeuge, finanzielle Anreize und teilweise regulatorische Rahmenbedingungen.
Wichtig ist das Nutzererlebnis
Bis Elektrofahrzeuge via Ladestationen vollständig im Netz eingebunden sind, wird noch etwas Zeit vergehen. Unabhängig davon, wie die intelligenten Lösungen in Zukunft aussehen werden, muss der Kundschaft ein erstklassiges Nutzererlebnis geboten werden. Nur dann wird die breite Masse von Elektroautofahrer überhaupt interessiert sein, die eigene Ladestation für intelligente Funktionen zur Verfügung zu stellen. Denn die Nutzenden wollen vor allem eines: Keine Probleme beim Laden und ein geladenes Fahrzeug, dann wenn sie es brauchen. Damit es bald so weit ist, sind alle Marktteilnehmer weiterhin
gefordert.
Der Autor
Stefan Funk ist Geschäftsführer & Gründer der mygrid AG. Mygrid möchte für alle Beteiligten das beste Ladeerlebnis zuhause und in Unternehmen schaffen. Stefan Funk hat zuvor das Technologie & Lösung Team für Ladeinfrastruktur bei einem grossen Schweizer Energieunternehmen geleitet und ist seit vielen Jahren im Energiebereich und Softwareumfeld tätig.
www.mygrid.ch
Publikation in Zusammenarbeit mit:
VIW – Wirtschaftsinformatik Schweiz
Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 23-3
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