Nebst Geschäftsprozessmanagement, intelligenter Business Software und kompetenten Wissens-Arbeitern braucht es für das Eintauchen in die digitale Transformation auch eine entsprechende IPO-fähige Infrastruktur. Das bedeutet konkret: Geräte müssen Daten empfangen, verarbeiten und auswerten sowie den Output an die Folgeempfänger übergeben können. Solche Komponenten müssen nicht zwingend einzelne Maschinen oder Geräte sein, sondern können auch – analog zum menschlichen Körper – im selben «Apparat» integriert sein. Naheliegend das Beispiel eines Roboters, welcher Daten in seiner Steuereinheit verarbeitet und anschliessend die Befehle an seine Greifer und Rollen weiterleitet. Um dies zu ermöglichen, müssen die verschiedenen Teile vernetzt sein und eine gemeinsame Datensprache nutzen.
Der prominenteste Prozessbereich, welcher aktuell in Zusammenhang mit der digitalen Transformation genannt wird, ist die Fertigung unter dem Begriff «Industrie 4.0». Dies stellt jedoch nur einen Ausschnitt aus dem Gesamtunternehmen dar. Wie oben dargestellt, geht es bei der digitalen Transformation um einen umfassenden Vorgang, welcher sich nicht nur auf allen Ebenen des Unternehmens abspielt, sondern darüber hinaus das gesamte Umfeld einbezieht. Einen Betrieb wie heute, der als mehr oder weniger losgelöste Einheit funktioniert, wird es im digitalen Zeitalter nicht mehr geben. Die Vernetzung von Produzenten und Konsumenten bringt es mit sich, dass sich ihre Rollen laufend ändern und überschneiden. Was sich im Unternehmen 4.0 alles verändert, zeigt nachfolgende Auswahl einiger Themen. Dabei kommen gesellschaftlich-technologischen Trends wie der Nutzung von Social Media, der globalen Vernetzung, Abhängigkeit von digitalen Medien usw. eine hohe Bedeutung zu. Sie werden die Arbeitswelt zunehmend beeinflussen.
Management
Die Führungskräfte von morgen gehören zu den Eingeborenen einer Welt, welche durch Vernetzung, Virtualität und Technologiewandel geprägt ist. Nicht nur als Anwender, sondern auch in ihrem Denken und Handeln. Die Realität wird zum virtuellen Spiel, Probieren geht über Studieren. Die zeitliche und örtliche Abgrenzung von Kommunikation, Informationen und Unterhaltung verschwindet. Das Smartphone ist TV, Telefon, Zeitung und Büro in einem. Privatleben und Arbeitswelt verschmelzen. Über soziale Netzwerke bleibt man in Kontakt und holt sich aktuelle Informationen. Technologie interessiert meist nur insofern, als sie den (total vernetzten) Zugriff auf Personen, Geräte, Dokumente ermöglicht.
Marketing/Vertrieb
Mit den Veränderungen bei den Kunden setzen sich Marketing und Vertrieb bereits seit geraumer Zeit auseinander. Social Media und Multi-Channel-Shopping werden nach wie vor die starken Treiber in diesem Bereich sein. Rundherum werden noch mehr Services angeboten werden: Beratung, Produkte-Individualisierung, Up-/Cross-Selling, Kundenbindungsmassnahmen, Transport, Garantie, Recycling sind nur eine kleine Auswahl an Optionen. Die persönliche Wertschätzung jedes Kunden oder jeder Kundin wird zur Herausforderung, lässt sich aber mit digitalen Hilfsmitteln lösen (Big Data und Marketing Automation lassen grüssen). Automatisierte IPO-Prozesse und vernetzte Systeme sind die Schlüssel dazu.
Beschaffung/Produktentwicklung
Im Detailhandel bereits seit langem erprobt, sind Themen wie Lager-/Filialbewirtschaftung, Streckengeschäfte und Just-in-Time Lieferungen. Das Unternehmen 4.0 wird seine Lieferanten noch näher an sich binden und in die Beschaffungsprozesse integrieren. Doch damit nicht genug: Auch in diesem Bereich werden ergänzende Leistungen wie etwa proaktive Vorschläge des Lieferanten zur Produktverbesserung oder zu neuen Einsatzmöglichkeiten eine Selbstverständlichkeit sein. Bei der Produktentwicklung werden Lieferanten und Konsumenten aktiv integriert. Mittels Crowd-Sourcing stehen fast unerschöpfliche Ressourcen zur Verfügung. Migros nutzt diese Möglichkeiten bereits seit ein paar Jahren und verzeichnet auf der Crowd-Sourcing-Plattform migipedia.ch 60’000 Benutzer, mit welchen das Unternehmen schon über 50 Produkte entwickelt hat und zu 13’000 Artikeln laufend Feedback bekommt.
Logistik
Ausgehend von der steigenden Kundenerwartung nach rascher (sofortiger) Lieferung und einem immensen Kostendruck haben viele Unternehmen ihre Logistikprozesse in der Vergangenheit bereits stark optimiert. Eine ideale Grundlage, um diese jetzt auch noch zu automatisieren und zu vernetzen! Vom Bedarf über die Bestellung zum Transport und der termingerechten Lieferung bis hin zur Einlagerung und darüber hinaus bis zum Versand an den Kunden können Systeme, Produkte und Transportmittel in Echtzeit miteinander kommunizieren. Bei Störungen im Ablauf werden umgehend Alternativen vorgeschlagen. Die Realisierung innovativer «Unternehmen 4.0»-tauglicher Logistikkonzepte gehört zu den spannendsten Herausforderungen der Zukunft.
Produktion
Die Vernetzung von Maschinen und Produkten untereinander und die daraus abgeleitete Automatisierung von Prozessen gehören zu den Hauptanliegen der «Industrie 4.0»-Initiative. Die Fertigungshalle wird zum cyber-physischen Schauplatz, wo sich IT, Elektronik und Mechanik verbinden und über eine gemeinsame Dateninfrastruktur kommunizieren. Gerade weil der Automatisierungsgrad dabei sehr hoch ist, müssen Arbeitsabläufe im Detail analysiert, verstanden und dokumentiert werden. Da bei diesen Prozessen die Kunden eine zentrale und vor allem aktive Rolle einnehmen, müssen Möglichkeiten eingeplant werden, wo und in welcher Form Kundenwünsche und -bedürfnisse integriert werden können. Losgrösse 1 bedeutet die totale Individualisierung der Serienproduktion – ein Widerspruch in sich? Nicht nur die Entwicklungs- und Herstellprozesse sind davon betroffen, sondern das gesamte Geschäftsmodell.
Service
Maximale Kundenorientierung wird sich in dem Mass in der Servicequalität manifestieren, wie das Unternehmen 4.0 in der Lage ist, proaktiv auf seine Kunden einzugehen. Dazu gehören nicht nur die präventive Wartung von Geräten, schnellstmöglicher Reparatur- oder Austauschservice, sondern auch Beratung und Vorschläge für Zusatz- oder Neubeschaffungen. Dazu braucht es umfassende, tiefe Kenntnisse über den Kunden und die installierte Basis sowie eine aktive Vernetzung aller Geräte im laufenden Betrieb. Kein Gerät ohne Sensor und Sender, lautet die Devise im Service des Unternehmens 4.0.
Organisation und Arbeit werden neu definiert
Die technologischen und prozessualen Veränderungen führen bereits jetzt zu einem markanten Wandel bei Arbeits- und Organisationsmodellen. Immer mehr Firmen setzen auf Flexibilität. Wann, wo und wie gearbeitet wird, steht plötzlich zur Disposition. Technisch ist heute fast alles möglich. Die Herausforderungen liegen oft in der organisatorischen Umsetzung. Mobiles Arbeiten bietet unumstritten viele Vorteile, kann aber aufgrund der permanenten Erreichbarkeit auch zur totalen Erschöpfung führen. Mit der Automatisierung und Rationalisierung von Arbeitsprozessen zeichnet sich aber ein noch schwerwiegenderes Problem ab: Der Wegfall vieler unqualifizierter Jobs. Nicht alle werden in anspruchsvolleren Funktionen platziert werden können. Die sozialen Auswirkungen gehen angesichts der digitalen Goldgräberstimmung im Moment leider etwas unter.
Das Unternehmen 4.0 wird mit einem breiten, ständig wachsenden Fächer an Herausforderungen konfrontiert. Wer den Anschluss nicht verlieren will, sollte die Entwicklung nicht aus den Augen verlieren.
Das «Unternehmen 4.0» ist und bleibt spannend. Noch stehen wir ganz am Anfang einer umwälzenden Entwicklung, in welcher am Ende Darwin Recht behalten wird. Das Rad der Zeit kann auch bei der digitalen Evolution nicht zurückgedreht werden. Es empfiehlt sich, alle «Sensoren» auf Empfang zu schalten und laufend zu prüfen, inwiefern Veränderungen als Chancen genutzt werden können.
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Der Autor
Christian Bühlmann war Chefredaktor des topsoft Fachmagazin.