Die Diskussion über ChatGPT ist in vollem Gange, aber dabei geht vergessen, dass es schon länger fast identische Tools gibt, die mit GPT3 arbeiten. Eines davon heisst Neuroflash. Mr. Campaigning AG setzt dies seit letztem Sommer ein. Auch ein Drittel dieses Textes wurde von Neuroflash mit GPT3 geschrieben.
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Wie jeder Hype unterscheidet sich auch der um ChatGPT durch die damit einhergehenden Emotionen von einer nüchternen Betrachtung dieser Innovation. Emotionen führen schnell zu Fehleinschätzungen.
Trifft dies auch auf die aktuelle Diskussion über die angebliche Verletzung von Urheberrechten durch ChatGPT und andere neuronale Netzwerke zu, die kreativ neue Texte, Musik oder Bilder erschaffen?
Ein neuronales Netzwerk wie ChatGPT lernt durch «maschinelles Lernen». Dabei wird es mit Texten, Musikstücken oder Bildern gefüttert, anhand derer es Muster, Regeln und Konzepte erkennen soll. Aus dem Gelernten kann die KI dann neue Kreationen generieren. Gibt man als Beispiel in ChatGPT seine Hausaufgaben aus dem Deutschunterricht ein, lassen sich per Knopfdruck Texte erzeugen, die Lehrer für ein Werk des Schülers halten können. Unabhängig von der moralischen Frage stellt sich die rechtliche: Verletzen KI-Werke Urheberrechte?
Laut dem deutschen Urheberrechtsgesetz muss ein Werk «persönlich geistigen Charakter» aufweisen, um urheberrechtlich geschützt zu sein. Dies ist bei KI-Werken der Fall. Allerdings ist unklar, wie genau das Gesetz auf KI-Werke anzuwenden ist.
Arbeitet die KI anders als ein Mensch?
Vielleicht können zusätzliche Fragen eine Antwort erleichtern: Inwiefern unterscheidet sich das kreative Schaffen einer KI vom dem eines Menschen? Lassen sich Kunstschaffende nicht auch von älteren Werken inspirieren? Lernen sich nicht auch von Anderen? Ist die KI-Komposition nicht vielmehr ein weiterer Schritt in der künstlichen Evolution, bei der sich Maschinen immer mehr an die menschliche Kreativität annähern?
Diese Fragen sind von entscheidender Bedeutung für das Verständnis von künstlicher Intelligenz und ihrer Rolle in unserer Gesellschaft. Sie sollten daher offen diskutiert werden. Und dabei müssen sämtliche Tatsachen betrachtet werden. Dazu gehört auch, dass Künstler sich tatsächlich von anderen inspirieren lassen. Wer etwa dem Gitarristen Angus Young von AC/DC genau zuhört, erkennt darin Elemente von Chuck Berry und anderen Pionieren des Blues und Rock 'n' Roll. Anders als bei ChatGPT würde in diesem Fall aber niemand auf die Idee kommen, AC/DC die Verletzung von Urheberrechten vorzuwerfen. Wieso eigentlich nicht?
Liegt es daran, dass sich Angus Young offen über seine Einflüsse äussert? Oder daran, dass die Musik von AC/DC ganz anders klingt als die der Pioniere des Rock 'n' Roll, lauter, schneller und härter? Das liegt vor allem an der besonderen Spielweise von Angus Young. Er ist also eindeutig ein Künstler, der auf seinen Vorbilder aufbauend etwas Neues und Eigenes geschaffen hat. Auch andere Musiker haben so ihren eigenen Stil entwickelt und damit etwas Einzigartiges geschaffen.
Die Frage, ob kreative KIs aufgrund des maschinellen Lernens Urheberrechte verletzen, müsste also vielleicht korrekt formuliert lauten: Schaffen sie etwas Neues und Eigenes, mit dem sie sich von ihren Inspirationen unterscheiden?
So einfach ist es leider auch nicht. Die spanische Band '77 veröffentlichte drei Alben mit eigenen Kompositionen, die zum Verwechseln ähnlich wie Alben von AC/DC aus den siebziger Jahren klangen. Anders als bei einer KI würde jedoch niemand auf die Idee kommen, sie deswegen zu verklagen. Auch AC/DC nicht. Liegt der Unterschied in der Beurteilung nur darin, dass es sich einmal um Menschen und ein anderes Mal um Maschinen handelt?
Fallbeispiele für die Arbeit mit GPT3 und DALL E2
Seit 2007 betreut Mr. Campaigning den Schweizerischen Pensionskassenverband ASIP bei der Kommunikation. Immer im Interesse der Versicherten unterwegs ist dabei die Effizienz – der sparsame, aber möglichst wirkungsvolle Einsatz der Mittel – ein wichtiger Aspekt bei der Planung und Umsetzung von Kommunikationsmassnahmen. Weil Mr. Campaigning zudem immer auf die innovativsten Technologien setzt, begann der ASIP schon 2010, Social Media zu nutzen, liess 2017 einen Chatbot Fragen zur AV2021 beantworten und gab bei evAI Intelligence GmbH KI-gestützte Marktanalysen in Auftrag, um immer am Puls der Zeit mit diversen Anspruchsgruppen zu kommunizieren. In den letzten Monaten kamen zudem die KI-Netzwerke GPT3 und DALL E2 vermehrt zum Einsatz.
DALL E2 kreierte neue Bilder, die ich zur Illustration von Blog-Artikeln verwende, ohne dass die Verletzung von Copyrights befürchtet werden muss. Im politischen Umfeld der Altersvorsorge müssen Blog-Artikel oft sehr schnell als Reaktion auf aktuelle Diskussionen veröffentlicht werden. Dann bleibt meist keine Zeit mehr, die Graphic-Design-Abteilung zu briefen und mit einer passenden Illustration zu beauftragen. DALL E2 hingegen liefert eine Illustration in weniger als zwei Minuten.
Der Textgenerator GPT3 wiederum ist hervorragend geeignet, um Sachverhalte zu erklären. Am 31. August 2022 wollte ich aufgrund von Medienberichten zum Thema ESG die Position des ASIP veröffentlichen, dabei aber auch noch erklären, worum es sich bei ESG handelt und was deren Sinn ist. Weil die Sache eilte und mir nur 15 Minuten zur Verfügung standen, nutzte ich Neuroflash. Diese Plattform greift ebenso wie das aktuell gehypte ChatGPT auf das GPT3-Netzwerk von OpenAI zu und produziert Texte für so verschiedene Anwendungen wie Blog-Artikel, Slogans, Google-Adwords-Texte usw.
Als Briefing gab ich «Die Bedeutung von ESG-Kriterien und ihr Sinn» ein. Heraus kam ein erklärender Text, mit dem ich die Stellungnahme des Verbands perfekt ergänzen konnte. Die Qualitätskontrolle fand durch den Verbandsdirektor statt, der innerhalb weniger Minuten grünes Licht für die Veröffentlichung gab. Bis dahin waren 10 Minuten vergangen.
Erst nach der Kontrolle erfuhr der Direktor, dass der erklärende Text durch eine Künstliche Intelligenz geschrieben worden war. Es war ihm nicht aufgefallen – ein weiterer Qualitätsbeweis. Hätte der Text seltsam gewirkt, ohne dass der Direktor wusste, woher er stammte, wäre das ein Zeichen für Überarbeitungsbedarf gewesen. So jedoch ging er problemlos durch und wurde veröffentlicht. Auch auf der Website von Mr. Campaigning finden sich mehrere von Neuroflash geschriebene Erklärtexte, zum Beispiel die Erklärung von Reputationsmanagement, von Public Affairs oder Führung und Change Management. Dabei mussten die Texte auf der Website von mir stärker nachgebessert werden als der Text über ESG.
Dies könnte daran liegen, dass es sich bei ESG um ein klar umrissenes Themengebiet handelt, über das zwar viel geschrieben, über das aber auch eine weit verbreitete Einigkeit bezüglich seiner Bedeutung herrscht. Ganz anders sieht es bei den Themen Reputationsmanagement, Public Affairs und Change-Management aus. Hier herrscht ein Wildwuchs von Definitionen, weil jeder Anbieter von Dienstleistungen in diesem Bereich versucht, mit eigenen Definitionen zu glänzen. Dies macht es einem neuronalen Netzwerk schwerer, die passendste Definition zu finden.
Mr. Campaigning nutzt Neuroflash auch zum Entwerfen von Reden. Als ich zum Beispiel eine Ansprache zur Eröffnung einer Versicherungsfiliale halten durfte, lieferte Neuroflash einen passenden Text über «die Bedeutung von Versicherungen für Wirtschaft und Gesellschaft» (Briefing). Diesen musste ich nur noch mit ein paar persönlichen Bemerkungen «würzen» und fertig war eine Rede, die viel Applaus erntete. Niemand hätte auf Nachfrage sagen können, welcher Teil der Rede von einer KI geschrieben worden war. Auch nicht der Auftraggeber. Hauptsache zufrieden und inhaltlich korrekt. Letzteres muss aber immer noch durch Menschen überprüft werden.
Das zeigt das letzte Beispiel. Die Frage «Wer ist Peter Metzinger?» beantworten sowohl ChatGPT als auch Neuroflash mit einem völlig falschen Text, der vermutlich auf eine Verwechslung mit dem Philosophen Thomas Metzinger zurückgeht. Wieso Peter Metzinger angeblich in Tübingen geboren sein soll, bleibt jedoch ein Rätsel.
Fazit: entgegen den aktuellen Behauptungen, ChatGPT stelle eine ernsthafte Bedrohung für Google dar, ist die Anwendung schlecht geeignet für Recherchen, die korrekte Ergebnisse liefern sollen. Die bessere Anwendung ist es, Steilvorlagen für Texte und Reden schreiben zu lassen.
Der Autor
Peter Metzinger ist Dipl. Physiker, Campaigning-Pionier (Spitzname «Mr. Campaigning») und Spezialist für Veränderungsmanagement unter erschwerten Bedingungen. Im Mai 2020 lancierte er die Plattform ReclaimTheFacts, um sich durch Campaigning für Fakten gegen die Verbreitung von Falschinformationen zu engagieren. Er ist überzeugt, dass sich den Fakten zu stellen, eine Gesellschaft auf Dauer wohlhabender, friedlicher und krisenresilienter macht.
www.mrcampaigning.com
Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 23-1
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