Software-Beschaffung in Schweizer KMU erfolgte in der Vergangenheit häufig nach der Devise: alles aus einer Hand. Der neue Ansatz für die digitale Zukunft lautet: «Best-of-Breed».
«Best-of-Breed»: Die beste Mischung verschiedener Zutaten zu einer optimalen Lösung kombinieren
(Symbolbild Monicore via Pixabay)
Heute bilden ERP-Systeme das Rückgrat in der Administration von Schweizer KMU. In der Vergangenheit entschied sich ein KMU in der Regel für einen Hersteller und eine Standard-Software, die durchgängig auf einer modularisierten Systemarchitektur mit einheitlicher Datenbasis aufbaut. Zu Beginn wurden meist die Prozesse in der Buchhaltung, im Auftragswesen und im Lager organisiert und standardisiert. Aufgrund ständig steigender Anforderungen nahmen der Umfang und die Komplexität der Systeme laufend zu. Dies führte dazu, dass Anpassungen immer aufwendiger werden und der Kunde in einem System gefangen und an einen Hersteller gebunden ist, im Fachjargon als Lock-in-Effekt bekannt.
Für die Hersteller von ERP-Systemen wiederum ist es anspruchsvoll, sowohl funktional als auch technologisch mit dem Fortschritt mitzuhalten, neue spezialisierte Teillösungen zu entwickeln und wirtschaftlich profitabel anzubieten. Dies ruft junge «Nischenanbieter» auf den Plan, die Lösungen auf den Markt bringen, die im Zuge der Automatisierung und Digitalisierung der Geschäftsmodelle zunehmend essenziell sind. Beispiele dafür sind unter anderem das Dokumentenmanagement (DMS), das Customer Relationship Management (CRM) oder der Online-Shop, aber auch Lösungen, die speziell für neue Anwendungsbereiche und Branchen entwickelt werden.
Schnittstellen eröffnen Möglichkeiten
Lange Zeit wurden sie gefürchtet: Schnittstellen, die es erlauben, Drittlösungen an ein ERP anzubinden. Gerade den trägen Albatrossen mit geschlossenen ERP-Gesamtlösungen bot sich damit ein gewisser Schutz vor einem Wechsel der Kunden auf andere Systeme. Doch Cloudbasierte Lösungen und neue Technologien rund um Webservices leiten einen Paradigmenwechsel ein. Dank offener Schnittstellen lassen sich heute spezialisierte Einzellösungen in ein Standard-ERP mit offener Architektur integrieren und die Daten «realtime» austauschen. So können KMU ihre Kernprozesse weiterhin mit einem ERP organisieren und mit den bestmöglichen Lösungen ergänzen.
Dieser Ansatz, der Organisationen den Weg öffnet, ihr Geschäftsmodell bedürfnisgerecht zu digitalisieren, nennt sich «Best-of-Breed». Mit dem Einsatz von Produkten verschiedener Hersteller sinkt die Abhängigkeit gegenüber einem Anbieter und der Kunde profitiert vom Know-how der Spezialisten, die das Produkt nachhaltig weiterentwickeln. Was bedeutet dies aber für die Beschaffung von Software? Das Beispiel beim Schweizer Verband für Rechnungslegung und Controlling, veb.ch, verdeutlicht dies.
Ausgangslage: All-in-One-Lösung
Der
veb.ch ist der grösste Veranstalter von Lehrgängen, Netzwerkanlässen und Seminaren in seinem Berufsstand. Während mehr als zehn Jahren wurde ein ERP-System eingesetzt, womit nicht nur alle zentralen Aufgaben gesteuert wurden, sondern in dem auch die Website und damit wichtige Funktionen im Kurswesen integriert waren. Das ERP an neue Anforderungen anzupassen, wurde aufgrund der Komplexität zunehmend schwierig und verursachte zu hohe Kosten. Gleichzeitig konnten nicht einfach neue Teillösungen angebunden werden. Dies führte zu einer grossen Abhängigkeit und erschwerte die Evaluation nach einer bedürfnisgerechten Software.
Evaluation: Lösungen statt Hersteller
Mit dem Entscheid für eine Neu-Evaluation orientierte sich der Verband bei ähnlichen Institutionen über die Erfahrung mit ihrem Verwaltungssystem. Dabei zeigte sich schnell, dass es die eine durchgehende und begeisternde Lösung nicht gibt, jedoch die eine beispielsweise in der Kursverwaltung punktet und die andere im CRM-Bereich.
Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit den Vorteilen von «Best-of-Breed» wurde schliesslich der Evaluationsprozess geändert und statt nach einem Hersteller wurde nach spezialisierten Lösungen gesucht. Schnell ergab sich aus den Erfahrungen und Hinweisen der verschiedenen Anbieter die bestmögliche Software, bestehend aus spezialisierten Produkten für CRM, Kursverwaltung, Lernplattform sowie Finanz- und Lohnbuchhaltung.
Resultat: Agilität und Flexibilität
Der Kern der neuen Lösung ist weiterhin das ERP, wobei es sich neu um ein webbasiertes Branchen-ERP für die Bewirtschaftung des Kurswesens handelt. Dieses bildet das zentrale Werkzeug und bietet für alle Mitarbeitenden einen ortsunabhängigen Zugriff.
In die Lösung nahtlos integriert ist eine CRM-Plattform für Inbound Marketing und Sales, die zusammen mit der neuen Webseite von einer Webagentur realisiert wurde. Ergänzt wird das System zudem mit einer Lernplattform sowie mit einer Finanz- und Lohnbuchhaltung. Alle Produkte kommunizieren «realtime» über Webservices. Durch den klaren Fokus der einzelnen Anbieter konnte die Kompetenz und Performance verschiedener Stakeholder genutzt und der Wechsel in Rekordzeit von einem halben Jahr realisiert werden.
Das Fazit: ein logischer Schritt
Die traditionelle «All-in-One»-Philosophie steht auf dem Prüfstand. Die Rahmenbedingungen werden sich weiter verändern und der technologische Fortschritt voranschreiten, was Anbieter und Anwender laufend vor neue Herausforderungen stellt und auf allen Ebenen mehr Agilität und Flexibilität verlangt. Hier bietet «Best-of-Breed» beiden Seiten eine gute Möglichkeit, darauf zu reagieren.
Essenziell bei der Evaluation der «besten» Software ist eine koordinierte Projektleitung, was seitens des Kunden sowohl Kompetenz als auch adäquate Ressourcen verlangt. Weiter ist zu beachten, dass die Erstinvestition bei «Best-of-Breed» allenfalls höher sein kann als bei einer Gesamtlösung. Doch bereits bei den Folgekosten lassen sich durch den optimalen Einsatz von Lizenzen und Funktionen eventuelle Mehrkosten schnell amortisieren. Last but not least führt «Best-of-Breed» im Idealfall zu einem neuen Ökosystem, was den Software-Anbietern neue Türen öffnet und damit neues Potenzial eröffnet sowie
höhere Flexibilität ermöglicht.
Der Autor
Peter Herger ist Geschäftsführer und Mitinhaber der Proffix Software. Als Vorstandsmitglied des veb.ch ist er verantwortlich für die Digitalisierung des Verbandes.
www.veb.ch