Wird die Frage gestellt: «wo steht heute der Einkauf in der Digitalisierung», ist damit unmittelbar auch die Frage nach seiner strategischen Bedeutung verknüpft, da die Digitalisierung eine Investition in das zukünftige Bild des Einkaufs darstellt. 40 Jahre nach den ersten MRP Implementierungen und des nahezu unbegrenzten globalen Wachstums stehen wir heute vor neuen Realitäten: Pandemien, wirtschaftliche und politische Krisen, Ressourcen- und Kapazitätsengpässe läuten das Ende des Einkaufsprimats «Kostensenken» ein.
(Symbolbild Adrian Sulyok via Unsplash)
Trifft Digitalisierung auf die neuen Trends zeichnen sich bereits folgende Entwicklungen ab:
- Die Digitalisierung wird durch Automatisierung der Einkaufsprozesse den Personalbestand insbesondere im operativen Einkauf stark reduzieren, verfügbare Personalressourcen im Einkauf schwinden.
- Die Digitalisierung wird das Outsourcing von einfacheren Einkaufsprozessen erleichtern und vorantreiben. Der Rest des Einkaufs konzentriert sich auf die Beherrschung der neuen Beschaffungskomplexität. Die Anforderungen an Mitarbeitende steigen. Bisherige Kompetenzen, Prozesse und Werkzeuge werden hinterfragt, erweitert bzw. entwickelt.
- Der Wertbeitrag des Einkaufs zum Unternehmenserfolg verändert sich. Themen wie Transparenz, Compliance, Risiko und Innovation gewinnen an Bedeutung. Das Selbstverständnis des Einkaufs wird sich auf eine Re-Positionierung von Kernkompetenzen und neuen «Business-Services» aufbauen. Digitalisierung wird für eine fortgeschrittene Datennutzung (Sammlung, Verknüpfung, Analyse, Entscheide, Dokumentation) eingesetzt.
Allein aus der Automatisierung und dem Outsourcing würde sich ein Dark Procurement ergeben, in dem der Einkauf seinen mühsam eroberten Stellenwert schrittweise wieder verliert. Wie in vereinzelten Fällen bereits realisiert, könnte der Einkauf sogar aufgelöst werden, wären da nicht die neuen Herausforderungen in der Lieferkette.
Der Ausweg aus dem Dark Procurement könnte in folgenden Schritten erfolgen:
1. Re-Positionierung des Einkaufs
Um eine Re-Positionierung zu ermöglichen, braucht es eine neue Sichtweise auf den Einkauf. Ein Perspektivenwechsel macht neue Lösungsansätze sichtbar. So löst z. B. der Ansatz «Einkauf als Geschäftsmodell» eine viel stärkere Kundenorientierung aus: eine Kundensegmentierung macht die diversen Bedürfnisse der internen Anspruchsgruppen deutlicher. Die Leistungen des Einkaufs werden differenzierter und als segmentspezifische Services mit Mehrwert (value added services) beschrieben und angeboten. So werden auch die internen Kundenbeziehungen (CRM) in ihren unterschiedlichen Ausprägungen sicht- und gestaltbar.
2. Identifizierung und Entwickeln von Kernkompetenzen
Das Outsourcing von Geschäftsprozessen ist gängige Praxis, alle Unternehmensbereiche sind davon betroffen. Wichtig ist, auf Grund der neuen Positionierung die wichtigsten Aufgaben, deren Prozesse, Rollen und Methoden sowie notwendige und künftige Fähigkeiten der Mitarbeitenden zu identifizieren. So z. B. SC- und Netzwerkmanagement, Umgang mit Künstlicher Intelligenz usw.
Kernkompetenzen werden dadurch sichtbar, dass sie eher selten sind. Auf Grund ihrer organisatorischen Vernetzung sind sie kaum kopierbar und verwenden spezifische Ressourcen und ICT. Demzufolge führt jegliche Standardisierung zwar zur Kostensenkung, aber auch zum Outsourcing.
3. Entwicklung und Einsatz von ICT-Werkzeugen
Im Rahmen der Digitalisierung und der Re-Positionierung im Einkauf wird das Management von Technologien zum zentralen Management Werkzeug. Wie die wachsenden Start-up Communities im Bereich Einkauf und Logistik zeigen, bieten technologische Entwicklungen hohes Innovationspotenzial, das durch den Einkauf systematisch als Wettbewerbsvorteil genutzt werden sollte. Ein Warten bis sich ein Standard durchgesetzt hat, ist keine Option für einen modernen und zukunftsfähigen Einkauf.
Wie auch immer die Geschäftsleitung heute die Rolle des Einkaufs wahrnimmt bzw. zuweist, es wird durch das Angebot des Einkaufs beeinflusst und verändert. Der Ausweg aus dem Dark Procurement zu einem neuen, erweiterten Selbstverständnis des Einkaufs wird nur dann gelingen, wenn es ihm gelingt, sich aus der Ecke des Boxringes zu befreien, in die er als Verlierer der Digitalisierung gedrängt wird.
Das Logistikum Schweiz ist ein ausseruniversitäres Bildungs- und Forschungszentrum für Einkauf, Logistik und SCM. Es wird vom Verein Netzwerk Logistik Schweiz, der Fachhochschule Steyr (A), dem Verein Detranz sowie dem Kanton Uri getragen. Es bietet ein umfangreiches ReThink Programm an, um eine stetige Weiterentwicklung in den SCM Disziplinen zu unterstützen. Es betreibt in der Schweiz und Österreich Entwicklungs-, Test- und Schulungslabore. Das Logistikum Schweiz ist Bildungs- und Kompetenzpartner für den Masterstudiengang MSc in Logistik und SCM an der Hochschule Luzern. www.logistikum.ch
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Dieser Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 22-2
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