Anforderungen an agile Führungskräfte – agile Leadership

01.12.2022
4 Min.
Heute muss alles agil sein – auch Führungskräfte und das Leadership. Alle haben ihre eigene Interpretation davon, was «agil» bedeuten soll. Selbst das Wort «agil» wird sehr flexibel interpretiert.
 
Es gibt keine fixe Definition von «agile Leadership». Es wird laut Uni St. Gallen als «Überbegriff für Führungspraktiken, die das organisationale Lernen und Agilität vor dem Hintergrund laufender Adaption und Innovation in einer sich stetig ändernden Umwelt» gesehen.
 
Wie ich es definiere:
Agile Leadership hat zum Ziel sicherzustellen, dass sich eine Organisation laufend und mit grösstmöglicher Geschwindigkeit an die Veränderungen des Marktes bzw. Umfelds anpassen kann.
 
Agile Leadership ist kein Selbstzweck, sondern möchte die Mitarbeitenden so führen und die Organisationseinheit so gestalten, dass auch in einem dynamischen, anspruchsvollen und schwierig voraus sagbaren Umfeld die bestmögliche Leistung erbracht wird.
 
Es gibt viele ähnliche gelagerte Begriffe (z. B. Servant Leadership, Emergent Leadership, Shared Leadership), aber die Abgrenzung zu diesen hat in diesem Artikel keinen Platz. Ich versuche, aufgrund meiner Definition nachfolgend die wesentlichsten Aspekte für ein erfolgreiches «agile Leadership» aufzuzeigen.
 
Ins Zentrum möchte ich die Abbildung «Das Wertegerüst der agilen Kultur» aus dem neuen Buch von Bruno Jenny stellen und gehe nachfolgend auf die wesentlichsten Aspekte daraus bezüglich agile Leadership ein.
 
 

Abbildung: Das Wertegerüst der agilen Kultur [Jenny 2022]

 
 
Agiles Leadership betrifft primär die Führung von Teams bzw. Mitarbeitenden, die sich selbst organisieren können (und wollen). Mitarbeitende, welche in kreative, anspruchsvolle Prozesse eingebunden sind oder auch diejenigen mit einem spezialisierten Know-how und entsprechender Erfahrung haben andere Bedürfnisse an den Stil, wie sie geführt werden, als Mitarbeitende in «einfachen», sich wiederholenden Prozessen. Diese erstgenannten Mitarbeitenden brauchen ein entsprechendes Umfeld, um die für die Unternehmung notwendige Innovation bzw. Kreativität umsetzen zu können. Gute Ideen werden nicht dann geboren, wenn die Unternehmung dies vorgibt, sondern dann, wenn die Mitarbeitenden sich darauf fokussieren können.
 
Das Umfeld muss also erlauben, lösungsorientiert zu arbeiten. Es müssen also neue Wege gefunden werden, wenn die alten nicht funktionieren. Der Fokus liegt nicht primär auf der Analyse, weshalb etwas nicht funktioniert, sondern darauf, umgehend einen neuen Weg zu finden. Dieser Weg muss rasch umgesetzt werden können. Veränderungen müssen dort definiert werden können, wo sie auch anfallen und nicht irgendwo «weit oben». Damit dies nicht im Chaos endet, müssen die neuen und die bestehenden Handlungsweisen regelmässig reflektiert und daraus ggf. notwendige Anpassungen (Learnings) abgeleitet und umgesetzt werden.
 
Und genau das soll agiles Leadership sicherstellen und fördern. Um diesen Zielen gerecht zu werden, sollten agile Leader (bzw. Leadership-Teams) die folgenden Prinzipien/Werte berücksichtigen:
 
Um eine solche Organisation zu erreichen, ist Vertrauen wichtig. Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeitenden, dass diese ihr Bestes geben wollen. Damit verbunden auch das Vertrauen der Mitarbeitenden in die Führungsetage, dass ihre Arbeit geschätzt wird und konstruktive Ideen positiv aufgenommen und umgesetzt werden. 
 
Mit dem Vertrauen hängt zusammen, wie die Mitarbeitenden die Arbeiten erledigen. Müssen die Vorgesetzten jeden Schritt vorgeben und überwachen – nach dem KKK-Modell (kommandieren, kontrollieren, korrigieren)? Oder ist es dem Team freigestellt, wie die Arbeit umgesetzt wird? Die Reaktionsgeschwindigkeit steigert sich massiv, wenn die Arbeitsweise nicht zuerst durch (alle) Hierarchieebenen vordefiniert werden muss, sondern wenn die Teams sich selbst organisieren können. Sie wissen meist am besten, was funktioniert und was nicht. Das Schlagwort hierzu lautet «dezentralisierte Entscheidungen». Die Herausforderung an die agilen Leader besteht darin zu wissen, wo etwas vorgegeben und detailliert überwacht werden sollte und wo die Teams genügend Erfahrung und Kompetenzen haben, dies selbständig zu machen.
 
 
Heute muss alles agil sein – auch Führungskräfte und das Leadership (Symbolbild: HNFOTO / Adobe Stock)
 
 
Damit solche Teams eine hohe Leistung erreichen können, müssen sie nicht nur Auftragsdetails kennen, sondern auch die Grundidee/Vision. Wo möglich, sollten sie auch in die Erarbeitung dieser Vision eingebunden werden. Hier ist eine starke Kommunikation durch die agilen Leader angesagt. Ganz wichtig ist auch, dass das Team laufend miteinander kommunizieren kann. So werden Missverständnisse schnell aufgedeckt und neue Lösungen kreativ gefunden. 
 
Fehler werden passieren, diese müssen gemacht werden dürfen! Nur so können die Mitarbeitenden Neues ausprobieren und den besten Weg eruieren. Wenn jeder Fehler aber «bestraft» wird, wird das die Kreativität der Mitarbeitenden beschränken. Und natürlich geht auch das Vertrauen der Mitarbeitenden in die Führung verloren. Das heisst, dass eine konstruktive Fehlerkultur etabliert werden muss, in welcher die Mitarbeitenden auch den Mut haben, etwas Neues auszuprobieren.
 
Wie schon Tom De Marco in seinem Buch «Spielräume» ausführlich darlegt, kann Kreativität nur dort entstehen, wo die Mitarbeitenden sich nicht nur mit dem operativen Geschäft auseinandersetzen müssen, sondern auch Arbeitszeit in neue Ideen investieren dürfen und sollen. «Spielräume sind auf allen Ebenen notwendig, damit die Organisation effektiv arbeiten und wachsen kann. Sie sind das Schmieröl des Wandels. Gute Firmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Spielräume kreativ zu nutzen wissen. Schlechte sind davon besessen, sie mit Stumpf und Stiel auszurotten.».
 
Ein grosser Feind all dieser Punkte stellt «Mikromanagement» dar. Wir leben in einer Zeit, in welcher alles «überwacht» werden soll. Am liebsten würde man die Innovationskraft der einzelnen Mitarbeitenden mittels KPI (Wie viele «Erfindungen» haben die Mitarbeitenden pro Zeiteinheit gemacht?) messen und dies gleich noch ihrem Salär gegenüberstellen. Gewisse Kontrollen braucht es ohne Zweifel, z. B. Nachvollziehbarkeit des Produktionsprozesses im medizinisch-technischem Umfeld, Geldflüsse kontrollieren etc. Und vom Arbeitsgesetz her ist der Arbeitgeber auch verpflichtet, die Arbeitszeiten zu überwachen. Das heisst aber nicht, dass zwingend jede Minute «produktiv» verbucht bzw. nachgewiesen werden muss, was genau gemacht wurde.
 
Alle diese Aspekte sicherzustellen und unter einen Hut zu bringen, zeichnet agiles Leadership aus. Dies gelingt, wenn die Leader das Team im Sinn eines «servant Leadership» unterstützen. Die Führung coacht die Mitarbeitenden und hält ihnen den Rücken frei, so dass diese sich auf die Herausforderungen konzentrieren können. Natürlich geben agile Leader auch Impulse, wenn das notwendig ist. Aber auch hier sollte das Team möglichst miteinbezogen werden, indem beispielsweise die Ziele gemeinsam vereinbart oder Lösungen miteinander gesucht werden. 
 
Die Zusammensetzung der Teams ist ebenfalls wichtig für ein agiles Leadership. Um gute Lösungen zu finden, sollten die Teams aus Leuten mit unterschiedlichsten Fähigkeiten zusammengestellt werden (crossfunktionale Teams). Ein zentraler Erfolgsfaktor stellt die Erfahrung der Mitarbeitenden dar. Je erfahrener das Team ist bzw. die einzelnen Mitarbeitenden sind, umso weniger «spürbare» Führung brauchen diese, weil sie z. B. schon gelernt haben, Probleme zu lösen. 
 
Gutes agile Leadership stellt die Rahmenbedingungen sichert, damit
  • die Mitarbeitenden Freiräume haben, um sich kreativ mit den anstehenden Herausforderungen auseinanderzusetzen
  • die richtigen Mitarbeitenden zum richtigen Zeitpunkt fokussiert zusammenarbeiten können
  • ein Klima des gegenseitigen Vertrauens herrscht, so dass die Mitarbeitenden gute, eigene Entscheidungen treffen und umsetzen können
  • eine intensive, möglichst direkte Kommunikation zwischen allen Beteiligten sichergestellt ist
  • die Führung nur so weit spürbar ist, wie dies absolut notwendig ist und die Mitarbeitenden im Sinn eines Coachings unterstützt und begleitet werden
Natürlich kann auf der Ebene eines Teams eine Person dieses im Sinn des «agile Leaderships» führen. Ich bin aber überzeugt, dass dies nur dann wirklich gelingen kann, wenn die entsprechende Organisation dies ebenfalls zumindest «passiv unterstützt». 
 
Die aus den agilen Werten abgeleiteten Führungsprinzipien bilden Handlungsgrundsätze und wichtige Führungsleitplanken für das Management. Sie sind die Basis für eine moderne Führung [Jenny 2022].
 
Quellen:
[UniSG] https://agile.iwi.unisg.ch/agile-leadership-vergleich-agiler-fuehrungskonzepte/
[Jenny 2022] Strategien agil umsetzen – mit adaptivem Projektmanagement
[DeMarco] Spielräume – Projektmanagement jenseits von Burnout, Stress und Effizienzwahn
 
 

Der Autor

Roland Heini ist dipl. Wirtschaftsinformatiker, agile Master und Mitglied der Geschäftsleitung der SPOL AG. Er arbeitet seit über 30 Jahren im Projektgeschäft, leitet agile sowie konventionelle Projekte und coacht Organisationen und Teams bei der Einführung oder Optimierung agiler Vorgehensweisen.
 

Kursangebote SPOL AG: www.pm-akademie.ch

 
Publikation in Zusammenarbeit mit:
VIW – Wirtschaftsinformatik Schweiz
www.viw.ch | T +41 31 311 99 88
 
 

Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 22-3

 

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