Von Daten zu Taten – Nachhaltigkeitsmanagement mit Prozessen, IoT und KI

24.09.2024
5 Min.

In der EU ist das Thema Nachhaltigkeitsreporting topaktuell, doch auch viele Schweizer Unternehmen sind betroffen. Denn wer in der EU tätig ist und gemäss Vorgaben zur nachhaltigen Berichterstattung verpflichtet oder entsprechender Zulieferer ist, muss diese Pflichten ebenfalls erfüllen. Zum Glück können KI-Lösungen beim Einhalten den Vorgaben behilflich sein.

 

 

Datenfluss und -verarbeitung von der Basis bis zum Reporting (Quelle: Eigene Darstellung)

 

Nachhaltigkeitsreporting ist derzeit in aller Munde und viele Unternehmen fürchten die Aufwände dafür. Die verpflichtende Berichtserstattung gilt in der EU in Zukunft für alle grossen Unternehmen, wobei als «gross» gilt, wer mindestens zwei der folgenden Kriterien überschreitet:
 
Nettoumsatz > 50 Millionen Euro 
Bilanzsumme > 25 Millionen Euro 
Mind. 250 Beschäftigte im Durchschnitt des Geschäftsjahrs
 
Darüber hinaus ist aber auch damit zu rechnen, dass Zulieferer ebenfalls in die Pflicht genommen werden und eine Berichterstattung verlangt wird, die dann in die Übergeordnete einfliesst. Da ca. 60% aller Exporte aus der Schweiz in die EU gehen werden auch hiesige Unternehmen auf Anforderung ihrer Partner in der Lieferkette oder direkt aufgrund der EU-Verordnung Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) oder den analogen Schweizer Regelungen berichten müssen. 
 

Nachhaltige Produkte sind gefragt

Zudem wünschen sich immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten nachhaltigere Produkte und Fertigungen. Daher müssen Unternehmen ein gutes Image bezüglich Nachhaltigkeit aufbauen und gleichzeitig dem Verdacht des «Greenwashings» entgegentreten, um ein langfristiges Verdrängen aus dem Markt zu verhindern.
 
Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) konkretisieren, angelehnt an die Strukturen der schon länger bekannten und vielfach verwendeten Global Reporting Initiative (GRI), die Offenlegungspflichten nach CSRD. Das gesamte Nachhaltigkeitsspektrum ist betroffen: Klimawandel, Biodiversität, Ökosysteme, Arbeitsbedingungen, Menschenrechte sowie Geschäftsethik.
 
ESRS und CSRD sind nicht nur für sich umfang- und weitreichende Werke. Sie fordern auch die Unternehmen, da nicht nur eine Berichterstattung über einen Ist-Stand verlangt wird, sondern vielmehr eine Implementierung eines umfassenden Nachhaltigkeitsmanagements mit dokumentierten Prozessen von den Zielen bis hin zur Erfolgsmessung. 
 
Aus diesen Gründen rücken nun wieder die Geschäftsprozesse und Daten in den Mittelpunkt des Interesses. Nur wer klar definierte Abläufe hat, die auch an die Mitarbeitenden kommuniziert und von diesen umgesetzt sind, kann sich auf die dadurch erzeugten Daten und Kennzahlen in den Business Systemen verlassen. Wie immer ist auch hier eine hohe Datenqualität entscheidend, damit in weiterer Folge diese Daten mit Hilfe von modernen KI-Methoden einen beträchtlichen Teil des Reportings ermöglichen.
 

Business IT als solide Basis

Das Institut für Informations- und Prozessmanagement (IPM) der Ostschweizer Fachhochschule (OST) beschäftigt sich intensiv mit diesen Themen. Der Einsatz von Business Software für eine durchgängige Umsetzung der Prozesse mit umfassender Datengenerierung zum Controlling und zur Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle stellt generell eine solide Basis für der Unternehmenserfolg dar. Neu hinzu kommt nun die Aufbereitung der Daten für oben genannte Nachhaltigkeitsaspekte. Zwar lassen sich nicht alle Dimensionen automatisiert durch Prozessdaten abbilden, vieles kann jedoch entweder direkt messen oder nach Aufbau von ergänzenden Stammdaten entsprechend hochrechnen. 
 
Daher wird folgender Phasenplan empfohlen, mit dem Unternehmen Schritt für Schritt in ein optimales Nachhaltigkeitsmanagement kommen:
 

1. Phase: Basisdaten nutzen 

In dieser Phase können Daten bzgl. des Energieverbrauch, z.B. Strom-/Gas-Rechnungen oder direkt die Buchungen in der Kreditorenbuchhaltung bzw. einer Kostenrechnung, über eine «Rückwärtsrechnung» von den Preisen zu den bezogenen Mengen genutzt werden.
 
Analog können kann als CO2-relevante Kennzahl die Anzahl und die Distanzen der LKW-Fahrten aufgrund der im System gespeicherten Transportaufträge gewonnen werden.
 
In einzelnen Branchen sind Daten bezüglich des Verschnitts in CAD-Systemen vorhanden, um diese dann als Verlust bzw. Abfall zu bewerten.
 
Aus der Lohnbuchhaltung können Daten bzgl. Krankenständen, Arbeitsunfällen (z.B. definiert durch Krankenstand aufgrund von Arbeitsunfall) oder Mitarbeitenden-Fluktuation («Anzahl Austritte»/ «Gesamtzahl Mitarbeitende» in definierten Zeiträumen) als Kennzahlen für den Bereich der betrieblichen Gesundheit gewonnen werden.
 

2. Phase: Prozessdaten aktivieren

Diese Stufe ist geprägt von Prozessen, die definiert bzw. mittels Process Mining im Sinne eines Re-Engineerings aufgezeichnet werden, um damit exakte Ist-Daten für die einzelnen Arbeits- bzw. Produktionsschritte zu gewinnen. 
 
Werden Durchlaufzeiten nun mit entsprechenden Kennzahlen wie Energie-, Wasser-, Personal- oder anderem Ressourcen-Einsatz bewertet, können detaillierte Erkenntnisse über ökologische, ökonomische und sozialen 
 
Nachhaltigkeitsdimensionen gewonnen werden. Weitere Indikatoren wie Verpackungsmaterial, Abfall oder Sondermüll können anschliessend auf der Basis von Produktionsparametern hochgerechnet werden.
 
Damit entstehen aufschlussreiche Erkenntnisse, die aus verschiedenen Perspektiven (Prozess, Produkt, Standort…) betrachtet werden können.
 
Der Einsatz von Prozessmodellen (z.B. BPMN), Process Mining und Prozesssimulationen ermöglichen den Aufbau von Feedback-Schleifen, um eine gezielte Verbesserung in den komplex zusammenhängenden Nachhaltigkeitsdimensionen zu prüfen, bevor sie effektiv im Unternehmen umgesetzt werden.
 

3. Phase: IoT/IIoT nutzen

Die in der Phase 2 gewonnenen Erkenntnisse werden in der anschliessenden mit Hilfe von Internet of Things (Iot) bzw. Industrial IoT (IIot) über alle Ebenen der Automatisierungspyramide weiter verfeinert. Während die Phase 2 eher auf Soll-Vorgaben und groben Rückmeldewerten basiert, kann in dieser Stufe mit tatsächlichen, über Sensoren gewonnenen Daten gearbeitet werden. 
 
So könnte dann z.B. der Energieverbrauch einer Maschine in Aufheiz-/Anlauf-, Produktions- und Abkühl-/Nachlauf-Phasen aufgetrennt werden. Daraus lassen sich dann weitere Verbesserungsmassnahmen ermitteln.
 

4. Phase: KI im kontinuierlichen Verbesserungsprozess

Das Nachhaltigkeitsmanagement wird durch den Aufbau von Optimierungsregelkreisen vervollständigt. 
In dieser Phase können auch KI-Methoden, wie z.B. Machine Learning, eingesetzt werden, um in den gesammelten Daten Muster, Ausreisser, Zusammenhänge und Tendenzen zu erkennen, die eine schnellere, effektivere und zielorientiertere Optimierung ermöglichen.
 
Die Daten bilden also einen digitalen Zwilling der Organisation (DTO) bzw. zumindest einer Organisationseinheit.
 
Prozesssimulationen helfen, um den Effekt dieser Veränderungen vorab zu prüfen. Dies ist umso wichtiger, als die Optimierung einer Kenngrösse die Veränderung anderer Dimensionen nach sich ziehen kann. 
 
Je nach Branche und Unternehmensgrösse kann jede der oben beschriebenen Phasen der angestrebte Zielzustand sein. Was sich aber klar zeigt: Ohne automatisierte Datenerhebung sind keine Erkenntnisse zu gewinnen. Daher muss ein daten- und prozessbasiertes Nachhaltigkeitsmanagement mit allenfalls ergänzten Stammdaten in den Business Systemen angestrebt werden. 
 
Nur wenn manuell zusammengetragene und in komplizierten Excel-Dateien aufbereitete Kennzahlen der Vergangenheit angehören, können die Aufwände im Nachhaltigkeitsmanagement klein gehalten werden. KI-Methoden, Process Mining und Process Simulation helfen darüber hinaus im Netzwerk von abhängigen Indikatoren die möglichen Optima für das jeweilige Unternehmen zu finden.

 

 

Die Autorenschaft

 

Dr. Stefan Stöckler und Valmir Bekiri MSc sind Mitarbeiter im Institut für Informations- und Prozessmanagement der 
OST – Ostschweizer Fachhochschule. Sie beschäftigen sich unter anderem intensiv mit Prozess- und Nachhaltigkeitsmanagement und sind darüber hinaus im Projekt SmartFactory@OST für diese Themen zuständig. www.ost.ch/ipm

 
 

Der Beitrag erschien im topsoft Fachmagazin 24-2

 

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