Die nationale Initiative «Industrie 2025» hat sich zum Ziel gesetzt, das Thema Industrie 4.0 auf dem Schweizer Werkplatz voranzutreiben. Dazu gehören auch die Erfassung von Daten zum aktuellen Stand der Industrie sowie die Ableitung entsprechender Massnahmen. Seit gut zwei Jahren ist die Initiative mit ihrer Mission «Informieren, Sensibilisieren, Vernetzen und Fördern» unterwegs. Eine Zwischenbilanz aus Sicht des Werkplatzes und der Initiative.

Oft werden wir Vertreter von Industrie 2025 gefragt, wie weit denn die Umsetzung von Industrie 4.0 auf dem Werkplatz Schweiz fortgeschritten sei. Diese Frage ist durchaus verständlich, möchte doch jeder Unternehmer wissen, wo er im Vergleich steht. Will man eine fundierte Antwort geben, muss man sich überlegen, was denn der Endzustand der vierten industriellen Revolution sein soll.

Die Frage nach dem Fortschritt von Industrie 4.0 in der Schweiz

Es gibt zahlreiche Aspekte, welche verdeutlichen, wie schwierig es ist, diesen Zustand zu bestimmen. Nachfolgend ein paar davon:

  1. Der technologische Fortschritt, besonders im digitalen Bereich, ist heute so dynamisch, dass sich laufend neue Möglichkeiten ergeben.
  2. Aber: Nicht alles was technisch machbar ist, wird auch wirtschaftlich sinnvoll sein.
  3. Unsere Industrie ist derart heterogen, dass sich kein allgemeingültiges Bild ableiten lässt. Man denke nur an die unterschiedlichen Herausforderungen eines Lohnfertigers, der anhand von Kundenzeichnungen Einzelteile innerhalb Wochenfrist herstellt, im Gegensatz zu einem Grossanlagenbauer, welcher Projekte in Millionenhöhe über mehrere Jahre abwickelt.
  4. Sogar innerhalb einer Branche gibt es marktbedingt grosse Unterschiede bezüglich des Fortschritts. Ist die Digitalisierung z.B. im Werkzeug-Maschinenbau ein Fokusthema, ist sie im Drahtzieh-Maschinenbau noch ein Nebenschauplatz.

Somit ist eine Pauschalaussage über den Fortschritt der Umsetzung von Industrie 4.0 in der Schweiz kaum möglich, ebenso der Vergleich mit anderen Volkswirtschaften. Das macht es Unternehmen schwierig, sich bezüglich des eigenen Fortschritts zu orientieren. Ein Ausweg wäre, dass jedes Unternehmen (aus heutiger Sicht) eine eigene Definition für den Endzustand von Industrie 4.0 erarbeitet, abgestützt auf seine individuellen Rahmenbedingungen, Marktleistungen und den Markt. So kann es auch möglich sein, von einer „me-too“-Strategie zu einer Innovationsstrategie zu wechseln und nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren.

Wo setzen Unternehmen Industrie 4.0-Projekte um?

Eine Umfrage in der MEM-Branche zeigt, dass sich die Mehrheit der Unternehmen mit dem Thema befassen. Über 76% der Umfrageteilnehmer geben an, mindestens ein Projekt mit Digitalisierungs- und Vernetzungscharakter umgesetzt, in Arbeit oder in Planung zu haben. Das ist grundsätzlich ein erfreulich hoher Wert. Bei der Auswertung, in wie vielen Unternehmensbereichen dies der Fall ist, stellt man aber fest, dass Industrie 4.0 noch kein flächendeckendes Thema ist. Die meisten Projekte wurden in der Zusammenarbeit mit dem Kunden, in Produktionsprozessen und in der Wartung/Instandhaltung angegangen. Am wenigsten haben sich Unternehmen bis jetzt mit neuartigen Geschäftsmodellen befasst.

Wo sehen die Unternehmen den Nutzen von Industrie 4.0?

Den grössten Nutzen sehen sie in der Steigerung der Produktivität und in der Schaffung von Zusatznutzen für den Kunden. Diese differenzierte Ansicht über Industrie 4.0 ist sehr erfreulich. Denn die neuen Möglichkeiten helfen einerseits Prozesse zu optimieren, aber eben auch neue innovative Marktleistungen zu kreieren. Beide Stossrichtungen müssen verfolgt werden. Berücksichtigt man die Einschätzung der Unternehmen bezüglich der grössten Potenziale von Industrie 4.0, kommt eine weitere wichtige Stossrichtung dazu: Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.

Aktivitäten der Initiative Industrie 2025

Über die Hälfte der Umfrageteilnehmer identifizieren „fehlendes Verständnis und Unklarheiten“ gegenüber dem Thema Industrie 4.0 als sehr grosses Hindernis bei der Umsetzung. Industrie 2025 will mit dem Leitgedanken „Informieren, Sensibilisieren, Vernetzen und Fördern“ einen wesentlichen Beitrag zum Abbau dieses Hindernisses leisten.

Informieren: Die permanente Information der relevanten Akteure rund um das Thema ist eine der Hauptaufgaben von Industrie 2025. Galt es vor zwei Jahren noch, ein gemeinsames Verständnis von Industrie 4.0 zu schaffen, kann heute diese Sache schon viel differenzierter angegangen werden. Industrie 2025 hat den Anspruch, das Thema möglichst in seiner ganzen Breite zu erfassen. Dabei geht es nicht nur um technologische, sondern um sämtliche Themen, die durch eine digitale Transformation eines Unternehmens beeinflusst werden, wie z.B. auch Veränderung der Arbeitswelt, Aus- und Weiterbildung, Leadership, Cultural Change, Change-Management usw. Dieser Themenkomplex wird in verschiedenen Formaten, wie z.B. Referaten, Sammlung von Praxisbeispielen, Newsletter, Studienreisen, Zeitungsartikel, Guidelines usw. einem breiteren Publikum zugänglich gemacht.

Sensibilisieren: Oft braucht es zu einem Gebiet ein vertieftes Verständnis und den Austausch mit entsprechenden Experten. Industrie 2025 bietet für ausgewählte Themen Seminare an. Diese sind als Informationsveranstaltungen zu verstehen, die während 3 – 4 Stunden einen tieferen Einblick ins Thema geben. Sie bieten einerseits Grundwissen oder die Basis für weitere Ausbildungssequenzen. Das Angebot wird ständig erweitert mit dem Ziel, die ganze thematische Breite abdecken zu können. Zudem wird aktuell an einem Executive Seminar für das C-Level gearbeitet. Zahlreiche Gespräche haben ergeben, dass sich vor allem Entscheider mit dem Thema noch sehr schwer tun. Wichtige Aspekte werden zudem in Arbeitsgruppen vertieft. Die Resultate sind öffentlich. Die Themen der fünf bestehenden Arbeitsgruppen sind: „Einstieg in Industrie 4.0“, „CPS basierte Automation“, „Smart Data“, „Normen und Standards“ und „Digitale Geschäftsmodelle“.

Vernetzen: Die Initiative will die verschiedenen Akteure (wie z.B. Unternehmen, Hochschulen, Lösungsanbieter) zusammenbringen. Industrie 4.0 ist komplex und beinhaltet Expertise aus verschiedensten Disziplinen. Kaum ein Unternehmen ist heute in der Lage, alle nötigen Kompetenzen im eigenen Haus zu halten, deshalb wird ein funktionierendes Netzwerk immer wichtiger. Konkret veranstaltet Industrie 2025 jährlich zwei Grossveranstaltungen zum Thema. Einerseits die F&E-Konferenz zu Industrie 4.0, welche mit über 25 Kurzvorträgen einen guten Überblick gibt, was an den Hochschulen in diesem Thema läuft. Und andererseits die ganztägige Jahrestagung Industrie 2025, welche Sachthemen aufnimmt und Beispiele aus der Praxis zeigt; begleitet von einer Tischmesse. Zudem hat sich Industrie 2025 über die Jahre ein starkes Partnernetz mit aktuell 35 Partnern aus unterschiedlichen Disziplinen aufgebaut.

Fördern: Nach wie vor gibt es zahlreiche Unternehmen, die noch nicht konkret mit Industrie 4.0 begonnen haben. Aus diesem Grund will die Initiative diesen Unternehmen Anschubhilfe geben. Dazu hat Industrie 2025 die Arbeitsgruppe „Einstieg in Industrie 4.0“ ins Leben gerufen. Das Ziel ist, ein generisches Vorgehensmodell kombiniert mit einem Werkzeugkasten zu entwickeln. Das Vorgehensmodell soll vor allem KMU ermöglichen, selbständig ein erstes Industrie 4.0-Projekt zu identifizieren und umzusetzen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, den Prozess zur Identifikation erster Projekte begleitet zu durchlaufen. Industrie 2025 wird dazu entsprechende Dienstleistungen anbieten. Im Moment existiert das Vorgehensmodell in einer ersten Version. Parallel ist man bereits mit Industrieunternehmen daran, dieses konkret anzuwenden. Das Release des Vorgehensmodells ist auf Mai 2018 geplant.

Ausblick Industrie 2025

Während einzelne Unternehmen noch gar nicht begonnen haben, andere in der Umsetzung einzelner Projekte sind, stehen wiederum weitere vor der Herausforderung, eine ganzheitliche Strategie aufgrund der Erfahrungen aus den ersten Industrie 4.0-Projekten zu erarbeiten. Dieses Strategiethema wird Industrie 2025 gemeinsam mit den Partnern und Industrieunternehmen angehen. Das Thema „Industrie 4.0-Sicherheit“ ist ein grosses Bedürfnis. Eine entsprechende Arbeitsgruppe ist im Aufbau.

Der Austausch unter Industrieunternehmen ist wichtig und hilft, die Lernkurven schneller zu durchlaufen. Industrie 2025 ist an der Planung von Erfahrungsaustausch-Gruppen. Die Wanderausstellung Cafeteria i4.0 zeigt anhand der Produktion einer Tasse Kaffee verschiedene Aspekte von Industrie 4.0.

Industrie 2025 bietet für Industrieunternehmen folgendes Angebot: Die Wanderausstellung wird für eine Woche direkt im Firmengebäude aufgebaut, so dass die Mitarbeiter sie selber ausprobieren können. Zusätzlich werden am ersten Tag Einführungsreferate, Workshops und Demonstrationen zum Thema Industrie 4.0 angeboten.

 

 

Der Autor

Philip Hauri, (Masch. Ing FH, eMBA FH) ist Geschäftsführer a.i. bei Industrie 2025 und Ressortleiter Innovation & Digitalisierung bei Swissmem. Er verfügt über langjährige Erfahrungen im Innovations- und Entwicklungsumfeld, Produktmanagement und Verkauf sowie der Geschäftsführung in der Industrie.

 

 

 

 

Die Initiative Industrie 2025 ist eine nationale Non-profit-Organisation, welche von den Branchenverbänden Swissmem, SwissT.net, electrosuisse und asut gegründet wurde. Mittlerweile haben sich 35 Partner angeschlossen.