Wie macht man Digitalisierung? Folge 1

11.01.2018

Wie macht man Digitalisierung?

Kurz vor Weihnachten regte sich mir gegenüber ein netter junger Mann aus einem KMU ziemlich heftig über einen «Digitalisierungs-Anlass» auf, organisiert vom regionalen Gewerbeverband. Grund der Verstimmung war die Zusammensetzung der Referenten und Diskussionsteilnehmer am Panel: Lauter «Chefs aus Banken, Verwaltung und Politik, keiner hat je eine Zeile programmiert und erklären uns nun wie man Industrie 4.0 und Disruption machen soll!» Die Analyse kumulierte in der zusammenfassenden Feststellung «nichts als warme Luft».

Schon nicht. Aber es gibt einen breiten Graben zwischen Visionen und Theorien auf der einen Seite und der praktischen Umsetzung auf der anderen Seite. Dieser breite Graben lässt aber viele noch so gut vorgebrachte Ideen scheitern, denn dummerweise funktioniert das tolle neue Geschäftsmodell nur, wenn die technischen Details in den neuen Prozessen funktionieren. Und zusätzlich sollte das Geld in der richtigen Richtung fliessen. Das ist machbar, darüber reden reicht aber nicht: Digitalisierung funktioniert nur, wenn man sich konkret im Detail damit befasst.

Ganz nach der Redewendung «machen ist wie wollen, nur krasser» will ich in einigen Schritten zeigen, wie die Digitalisierung funktionieren kann. Dazu habe ich mir einen Fall ausgedacht (Kundenfälle kann ich nicht nehmen) und werde die Schritte von den Ideen über den Lötkolben bis zur Anbindung an die Business-Software versuchen zu beschreiben. Bewusst halte ich mich dabei an das Minimum an Einsatz – komplizierter und besser machen ist immer möglich. Hier soll man also sehen, was es mindestens braucht. Wozu braucht? Ja eben:

Am Anfang ist die Vision

Auch hier. In meiner Fiktion ist dies der Ist-Zustand: Ich bin ein Service-Dienstleister für Maschinen die im industriellen Umfeld eingesetzt werden. Ich sitze auf meinem Stuhl am Telefon und warte, bis jemand anruft und meldet, dass seine Maschine kaputt ist. Dann renne ich hin und repariere. Dieser Ist-Zustand hat mindestens zwei Schwächen:

  • Der Arbeitsanfall ist nicht planbar
  • Der Kunde hat einen Betriebsausfall

Daher wünsche ich mir den Soll-Prozess so: Die Maschine soll mir melden, wenn es ihr nicht mehr so gut geht, damit ich auf der Bildfläche erscheine, solange sie noch läuft. Ich repariere kurz vor dem Ausfall. Oder mache mindestens den Betreiber darauf aufmerksam, dass es bald soweit ist. Soweit so gut.

Die Sache mit der Physik

Welche Symptome zeigt die Maschine denn vor dem Ausfall? Was geht ursächlich kaputt? Sobald ich das weiss, kann ich die Symptome mit Sensorik erfassen und elektronisch melden. Hier braucht es Hirnarbeit: Recherche der letzten Service-Rapporte, Gespräche mit den Serviceleuten. Das mache ich und finde heraus: für meine Maschine ist ein Lagerschaden das typische Problem für einen Ausfall. Wie macht sich der bemerkbar? Da muss ich mal etwas in die Physik einsteigen. Ich könnte zum Beispiel mal die Schwingung anschauen von einer Maschine mit guten Lagern und einer bei welcher ein Lager ausgeleiert ist. Natürlich wäre es besser, ich würde das nicht bloss bei einer einzigen Maschine untersuchen, sondern von zum Beispiel 100’000 Maschinen. Dann bin ich viel sicherer und weiser. Daraus könnte man ein Projekt machen mit BigData und künstlicher Intelligenz und definieren, bei welchem Verhalten wie bald ein Ausfall zu erwarten ist. Aber eben: Ich will mal einfach anfangen und nicht schon unüberwindbare Hürden aufstellen nur um zu beweisen, dass ein solches Projekt für ein KMU sowieso zu gross ist. Bevor die Software Intelligenz aufbaut, möchte ich also selbst mal herausfinden, was überhaupt vorgeht.

Setup «supereinfach»

Ein Schwingungssensor muss her, damit ich mir ein Bild machen kann von ganzen und von angeknacksten Lagern. Die Suche nach Vibrationssensoren ergibt ein seltsames Bild. Einerseits recht teure Apparate, andererseits ultrabillige Teile welche eher so nach Bastelecke aussehen. Meine Entscheidung ist klar: Bastelecke! Ich kaufe mir so ein Ding für knappe 2.-. Beschreibung gibt es zwar nicht dafür, aber es habe einen Digital- und einen Analogausgang. Ich gestehe hiermit öffentlich: Ich bestelle es in China.

Vibrationssensor

Direkt an einen PC kann ich diesen Sensor nicht anschliessen. An jede meiner zu überwachenden Maschinen will ich ja auch keinen PC hängen, das ist viel zu teuer. Von der Leistung her gesehen nicht wirklich weniger als ein PC aber mit vielen Ein- und Ausgängen bieten sich die Rechner unter den Namen Arduino, Raspberry Pi, etc. an. Für gut 30.- kaufe ich einen Raspberry Pi etwas älterer Machart.

Raspberry Pi 2 B+

Auf diesem Bild gut sichtbar sind die vielen Anschlüsse: Hinten 4 USB, LAN, vorne HDMI, Klinkenbuchse für Audio, ein kleiner USB für die Stromversorgung ab Handy-Ladegerät. Links ein Slot für eine Speicherkarte und hinten die grosse „Bürste“ welche viele Möglichkeiten anbietet. Der Rechner hat eine Grundfläche in der Grösse eines Visitenkärtchens.

Gespannt, wie es weitergeht? Hier geht es zu zweiten Teil.

 

 

Autor: Dr. Marcel Siegenthaler